Ramona Bachmann, am 25. Dezember werden Sie 30 Jahre alt. Was wünschen Sie sich zum runden Geburtstag?
Einen Sieg gegen Belgien im letzten EM-Qualifikationsspiel.
Kommen Sie, diese Antwort ist uns noch etwas zu langweilig ...
Geschenke sind schön – aber wir haben doch alles. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Vielleicht dies: Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Weihnachten und meinen Geburtstag mit meinen Eltern und meiner Freundin Alisha verbringen könnte. Das ist wegen Corona nicht selbstverständlich.
Schauen Sie der Zahl «30» gelassen entgegen?
Hmm, (lacht). Es ist schon spannend, wie extrem schnell man älter wird, gerade im Fussball. Man lebt in einer Blase. Trainings, am Wochenende, Spiel, dann vergeht eine Saison, dann die nächste. Wenn ich zurückschaue, denke ich schon: Ui, das ist ziemlich schnell gegangen. Zum Glück fühle ich mich noch nicht wie 30. Und die Drei am Rücken, ja, das tönt noch komisch. Aber warum sollte es mir anders gehen als vielen anderen? Wie heisst es so schön: «Das Leben beginnt erst mit 30 so richtig». Dann hoffe ich doch darauf.
Sie haben in diesem Corona-Sommer von Chelsea zu Paris St. Germain gewechselt und Ihren Lebensmittelpunkt von London nach Paris verlegt. Konnten Sie sich trotzdem gut einleben?
Die Umstände sind nicht einfach. Aber mittlerweile kann ich sagen: Ich fühle mich daheim. Auch wenn ich noch nicht viel von Paris gesehen habe. Eine neue Stadt ist immer eine Umstellung, eine neue Kultur, eine neue Sprache, neue Leute, neue Beziehungen, eine neue Wohnung, ich habe überall bei null angefangen.
Und derweil steht das öffentliche Leben fast still.
Ja. Es ist ein Trost, dass es allen gleich geht. In Paris dürfen wir maximal eine Stunde pro Tag raus, fürs Einkaufen oder die Arbeit. Man muss ein Formular ausfüllen. Ich schöpfe diese Stunde stets aus, mein Hund kommt jeweils mit. Natürlich hilft es in dieser Fülle von Neuem schon ziemlich, dass wir stets Fussballspielen konnten.
Wie ist das Einleben sportlich geglückt? Allzu oft durften Sie noch nicht spielen für den PSG – warum?
Ich hatte einen sehr guten Start. Dann hat mich leider ein Muskelfaserriss am Bauch zurückgeworfen, ich habe dadurch einen Monat verloren. Natürlich hätte ich gerne schon mehr gespielt.
Unmittelbar bevor Sie zum Nationalteam kamen, gewann der PSG das grosse Duell gegen Lyon 1:0. Wie haben Sie es erlebt?
Es war ein grosser Sieg. Lyon war in der Meisterschaft ungeschlagen seit 2016 – das sagt schon viel aus. Wir haben taktisch anders gespielt als sonst, viel defensiver. Und es ist alles aufgegangen. Schön, dass wir nun die Tabellenspitze übernommen haben.
Es scheint, als wäre Ihre Karriere etwas ins Stocken geraten. Ist das zu hart formuliert?
Schon ein bisschen. Ich hatte eine schöne Zeit bei Chelsea. Ich war dreieinhalb Jahre dort und lange lief alles wie gewünscht. Im letzten Jahr hat es nicht mehr gepasst. Ich wurde immer unzufriedener, weil ich immer weniger Spielzeit erhielt, aus meiner Sicht natürlich zu Unrecht (lacht). Der Spielstil des Teams hat nicht mehr zu mir gepasst. Ich bin zu ehrgeizig, um das auf mir sitzen zu lassen. Und darum habe ich diese Veränderung auch angestrebt. Weil eine Fussballkarriere auch nicht ewig dauert. Und ich weiss, dass es viele Mannschaften gibt, denen ich sehr viel weiterhelfen kann mit meinen Qualitäten.
Vielleicht entsteht der Eindruck auch, weil Sie schon seit jeher nach dem Maximum streben. Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie gesagt: «Ich will die beste Spielerin der Welt werden», und es klang voller Überzeugung. Nervt es Sie, immer wieder damit konfrontiert zu werden?
Das war einfach meine Einstellung: Ich wollte die Beste der Welt werden. Und ich sagte das auch. Wenn ich jetzt zurückschaue, dann höre ich eine junge Frau, die voller Motivation war, sich so schnell wie möglich ins Profileben zu stürzen. Ich bin auch der Meinung, dass man träumen darf, ja sogar soll. Was mir in jungen Jahren sicher fehlte, war das Bewusstsein dafür, dass Fussball ein Mannschaftssport ist. Ich war sehr auf mich selbst fixiert – ich betrachte das nicht nur als negativ – aber mittlerweile sage ich eben genauso klar: Teamerfolg hat einen grösseren Wert als persönliche Auszeichnungen.
Wenn Sie Ihre Träume ansprechen: Als Sie 16-jährig alleine im Flugzeug nach Schweden sassen, um den ersten Vertrag zu unterschreiben, ohne eine Ausbildung fertig gemacht zu haben – wie haben Sie sich das Fussballer-Leben ausgemalt? Und was hat sich davon erfüllt über all die Jahre?
Ich hatte grosse Ziele und Träume, und ich bin sehr zufrieden, wie viel sich davon erfüllt hat. Was mir als junge Frau aber nicht bewusst war: Es ist überhaupt nicht selbstverständlich oder «normal», eine Profikarriere hinzulegen. Es braucht extrem viel dafür. Verzicht an erster Stelle. Du bist weg von der Familie, Freunden, Verwandten. Daran denkt man nicht, wenn man einfach Fussball spielen will. Aber es ist entscheidend. Immer wieder verzichten, natürlich auch auf Partys. Und ein weiterer wichtiger Punkt: Es ist essenziell, verletzungsfrei zu bleiben.
Das tönt, als hätten Sie sich das Leben als Profi leichter und unbeschwerter vorgestellt.
Ich finde, als junger Mensch soll man absolut unbeschwert ans Leben herangehen. Ich habe mir über solche Sachen nie Gedanken gemacht, das ist vielleicht auch besser so (lacht). Ich weiss jedenfalls nicht, ob ich heute am selben Ort wäre, wenn ich als 16-Jährige nicht einfach ins Flugzeug gestiegen wäre mit der Idee im Kopf, jetzt professionell im Ausland Fussball zu spielen. Und natürlich: Ich hatte eine Familie, die mich dabei unterstützt hat. Ich weiss nicht, ob das alle so machen würden, schliesslich hatte ich keine Ausbildung. Am Ende hat vieles zusammengepasst, und dafür bin ich dankbar.
Auch im Nationalteam bürdet man Ihnen stets die Last auf, für die entscheidenden Szenen besorgt sein zu müssen. Wie gehen Sie damit um?
Das ist für mich keine Last. Es ist mein Spielstil. Ich erwarte das auch von mir selbst. Und es motiviert mich, wenn Trainer, Mitspielerinnen und Zuschauer genau diese Erwartung von mir haben. Im Gegenzug erhalte ich auch die nötigen Freiheiten auf dem Platz, um für diese entscheidenden Dinge zu sorgen.
Nationaltrainer Nils Nielsen hat mir gesagt: «Ramona muss viel Risiko nehmen, das ist ihr Spiel. Und wenn es mal nicht gut geht, dann muss sie einfach weitermachen und weiterprobieren. Wenn am Ende eine entscheidende Aktion steht, sind vier oder fünf verlorene Bälle völlig egal. Das ist einerseits das Gute. Aber auch das Schlechte. Weil die Gefahr besteht, dass sie sich immer erklären muss, wenn es nicht läuft.» Können Sie es wirklich so leicht wegstecken, wenn sie zwei mittelmässige Spiele erleben wie in den letzten zwei EM-Qualifikationsspielen?
Was er sagt, ist für mich nichts Neues (lacht). Sie können mir glauben, dass auch ich versuche, meine Fehler zu reduzieren, mich weiter zu verbessern. Und natürlich stört es mich, wenn es nicht läuft. Aber es ist schon so: Es gibt Ausnahmekönnerinnen, die etwas mehr Freiheiten haben. Zwei, drei Spielerinnen – das muss nicht nur ich sein! Aber klar ist: 11 Spielerinnen wie ich im selben Team? Nein, das würde nicht gehen.
Nun steht für die Schweiz das letzte EM-Qualifikationsspiel an in Belgien. Ein Punkt reicht für die EM – ist die Ausgangslage verlockend oder gefährlich?
Ich finde es gefährlich, in Gedanken ein Unentschieden zuzulassen. Es ist noch alles möglich und nichts entschieden. Als es um die WM ging, haben wir denselben Fehler schon einmal gemacht, die Qualifikation in letzter Sekunde verpasst. Man sagt ja: Aus Fehlern lernt man. Und ich habe das Gefühl, wir sind reifer geworden.
Sie waren die Pionierin, Transfers von Schweizer Fussballerinnen ins Ausland – das gab es zuvor nicht. Welche weiteren Schritte braucht der Frauenfussball derzeit?
Es ist gut, dass es fast schon «normal» geworden ist, dass sich Schweizerinnen im Ausland als Profis etablieren können. Dieses Wissen, dass ein solcher Traum nicht völlig realitätsfremd ist, tut unseren Talenten gut.
Wie viel Geld können Sie pro Jahr auf die Seite legen?
Genug. Wie viel konkret, das möchte ich jetzt nicht grad offenlegen, ich weiss gar nicht, ob ich das dürfte. Aber ich kann einiges sparen. Nicht nur wegen meines Einkommens im Verein, auch dank Sponsoren. Und natürlich habe ich nicht fürs ganze Leben ausgesorgt, da besteht schon ein grosser Unterschied zu den Männern, die im Leben einen einzigen guten Profivertrag unterschreiben müssen und dann haben sie ausgesorgt. Diesen Unterschied gibt es. Aber wenn meine Karriere zu Ende geht, müsste ich nicht grad morgen einen neuen Job haben, um über die Runden zu kommen. Das ist eine beruhigende Absicherung.
Welche Schritte müssen dann in der Schweiz folgen?
Das Problem ist, dass es in der Schweiz viel zu viele Spielerinnen gibt, die neben dem Fussball arbeiten müssen, um zu überleben. Auch Nati-Spielerinnen. Und das ist ein riesiger Unterschied. Man denkt schnell: Easy, sind ja nur ein oder zwei Trainings am Tag. Aber diese Überlegung greift zu kurz. Die Erholung ist zentral. Fehlt diese, fehlt das entscheidende auf hohem Niveau. Und Verletzungen nehmen zwangsweise extrem zu. Das würde ich als erstes verbessern wollen. Dass sämtliche Nati-Spielerinnen nicht mehr arbeiten müssen.
Nehmen Sie auch den Verband in die Pflicht?
Ich weiss auf die Schnelle nicht, wie man das regeln sollte. Und ich bin mir bewusst, dass es schwierig ist, einfach solche Forderungen in den Raum zu stellen. Aber wir sollten dringend beginnen, darüber zu reden.
Der Frauenfussball hat sich sowohl international wie auch hierzulande enorm entwickelt. Leider hat in vielen Teilen der Welt, - unter anderem auch in der Schweiz - die Vermarktung mit der übrigen Entwicklung nicht Schritt gehalten.
Doch die ersten Schritte zur Verbesserung sind eingeleitet. Natürlich unterstützt von Könnerinnen wir Ramona Bachmann. Ich drücke die Daumen für heute Abend gegen Belgien.