Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht der 30-Jährige über seine Schweizer Wurzeln, den Traum vom Aufstieg und Vergleiche mit Julian Nagelsmann.
Fabian Hürzeler, wie gut sind Ihre Schweizerdeutsch-Kenntnisse?
Ich verstehe eigentlich alles, spreche auch ein, zwei Sätze. Fliessend reden kann ich aber nicht.
Sie sind in Houston geboren und in München aufgewachsen, Ihr Vater stammt aus Schaffhausen. Wie oft sind Sie noch in der Schweiz?
Aufgrund des Jobs und weil ich keine Grosseltern mehr in der Schweiz habe, wird es leider immer weniger. Aber ich bin definitiv ein Fan von Bergen. Und in der Schweiz gibt es sehr schöne davon. Meine Tante hat ein Ferienhaus in Davos, wo wir früher öfters waren. Es ist auf jeden Fall ein Ziel, dort mal wieder hinzufahren.
Sie hassen Unpünktlichkeit – ist das das schweizerischste an Ihnen?
Ja, das würde ich ganz klar sagen. Ich wurde gelehrt, dass Pünktlichkeit wichtig ist und mit Disziplin zu tun hat.
Sie waren bis im Dezember 2022 Co-Trainer von Timo Schultz, übernahmen nach dessen Entlassung erst als Interims- und später als Cheftrainer bei St. Pauli. Was hat sich seither für Sie verändert?
Das Leben [lacht]. Ich erfahre eine andere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. In meiner Denkweise, in meinem Handeln und meiner Art zu führen, habe ich nicht viel verändert. Ich stehe noch für dieselben Werte, bin noch derselbe Charakter. Es gibt keinen Grund, überheblich zu werden. Es geht darum, alles zu tun für den Erfolg des Vereins.
Sie starteten mit zehn Siegen und führten den Klub nicht nur aus dem Tabellenkeller, sondern fast in die Bundesliga. Was hat der verpasste Aufstieg mit Ihnen persönlich gemacht?
Natürlich war eine gewisse Enttäuschung da. Ich habe diese aber in positive Energie umgewandelt und aus den Rückschlägen gelernt, vieles hinterfragt und noch mehr investiert. Wir drehen jetzt für den Erfolg des Vereins noch mehr Steine um.
Sie mussten seit Ihrem Amtsantritt vor mehr als einem Jahr erst zwei Niederlagen hinnehmen. Zu Beginn dieser Saison gab es nach einem Auftaktsieg gegen Kaiserslautern vier Unentschieden in Serie, drei davon endeten torlos. Kamen in dieser Zeit Zweifel auf?
Das ist irgendwo menschlich. Ich würde es aber nicht als zweifeln, sondern als hinterfragen bezeichnen. Wichtig ist es, den Prozess anzuschauen: Was haben wir gut gemacht im Spiel? Wie sind die Ergebnisse zustande gekommen? Man soll sich nicht von Ergebnissen beeinflussen lassen. Wenn du deinen Weg kontinuierlich gehst, davon bin ich überzeugt, kommt auch der Erfolg.
Das hat bei Ihnen funktioniert. Nach der Winterpause haben Sie die Tabellenführung übernommen, der Aufstieg scheint möglich. Was würde Ihnen dieser bedeuten?
Es ist noch ein weiter Weg. Ich lebe in der Gegenwart und mache mir nicht allzu viele Gedanken über die Zukunft. Ich befasse mich immer nur mit dem nächsten Spiel.
Sie haben am Dienstag gegen Düsseldorf die Möglichkeit, in den Halbfinal des DFB-Pokals einzuziehen. Erst ein Mal kam St. Pauli so weit, 2006 scheiterte der damalige Regionalligist mit 0:3 am FC Bayern.
Die Chance auf den Coup ist sicherlich so gross wie noch selten, da nicht mehr viele Erstligisten dabei sind. Düsseldorf zu schlagen, wird jedoch nicht einfach, weil es eine extrem gute Mannschaft ist. Wir müssen ans Leistungsoptimum kommen.
Sie haben kein Team mit Superstars, der deutsche Moderator, Journalist und Autor Arnd Zeigler bezeichnete Ihre Truppe gar als «No-Name-Mannschaft». Was macht den FC St. Pauli trotzdem so stark?
Genau das. Dieses Wir-Gefühl, dieses Homogene in der Mannschaft. Wir haben vielleicht nicht die besten Einzelspieler, aber die Spieler sind miteinander ‹connected›. Sie haben auf und neben dem Platz belastbare Beziehungen aufgebaut. Das heisst: Sie können sich gegenseitig die Meinung sagen, ehrlich kritisches Feedback geben, ohne den Respekt zu verlieren. Aus diesem Wir-Gefühl entsteht eine gewisse Trainingskultur. Die Spieler haben Lust an Leistung. Sie versuchen, besser zu werden, sagen das von sich aus und nicht, weil ich es will. Das ist für mich sehr entscheidend.
Sie sind der jüngste Trainer im deutschen Profibereich, sind gar jünger als einige Ihrer Spieler. Birgt dies Potenzial für Konfliktherde?
Für mich spielt das Alter keine Rolle. Wichtig ist die Art des Führens. Du musst authentisch bleiben. Spieler lechzen nach Inhalten. Wenn sie merken, dass der Trainer sie besser macht oder es zumindest versucht, dann folgen sie ihm auch.
Was wäre für Sie ein Leben ohne Fussball?
[überlegt lange] Mein Leben wäre nicht sinnlos ohne Fussball, aber der Fussball gibt meinem Leben einen Sinn. Ich beschäftige mich extrem gerne tagtäglich mit der Materie und liebe es, mit den Menschen im Verein durch dick und dünn zu gehen. Für mich ist Fussball Obsession, Leidenschaft.
Sie waren von 2004 bis 2012 in der Jugend des FC Bayern, spielten etwa mit Emre Can zusammen, der heute Captain von Borussia Dortmund ist, und liefen bis zur U19 für die deutsche Auswahl auf. Wieso hat es nicht mit der Profikarriere geklappt?
Gute Frage [überlegt wieder lange]. Am Ende, so ehrlich muss ich sein, fehlte es an Qualität. Ich war zwar überall solide und gut. Mir hat aber die eine Waffe gefehlt, ich war nirgends herausragend. Als klar war, dass es nichts wird mit der Profikarriere, war es eine grosse Enttäuschung. Aber ich trauere dem heute nicht nach. Alles, was ich erlebt habe, hat mich als Persönlichkeit reifen lassen.
Einen ähnlichen Weg, wie Sie ihn eingeschlagen haben, ist der heutige Bundestrainer Julian Nagelsmann gegangen. Er wurde in Hoffenheim mit ebenfalls 28 Jahren vom Co- zum Cheftrainer ernannt. Sie werden häufig mit ihm verglichen. Nervt Sie das?
Es ist normal, dass Parallelen gezogen werden. Aber: Nagelsmanns Karriere ist faszinierend, einmalig. Er hat mit Hoffenheim Grosses erreicht, hat beim grössten, deutschen Verein gearbeitet und ist jetzt Bundestrainer. Er ist einer der besten Trainer, die wir in Deutschland haben. Davon bin ich noch weit weg. (abu/sda)
Die Nationalität auch nicht.