Ein Torgarant, ja mehr noch, eine Klublegende, ein Gesicht dieser prosperierenden Fussballfirma, verabschiedet sich wütend in die italienische Fussballprovinz Como. Ein Trainer, der fast alle Ziele erreicht hat, die er erreichen sollte, hat bis dato keine Gewissheit, ob der Arbeitgeber auch nächste Saison noch Verwendung für ihn findet.
Business first. Total entseelt sei dieses YB, hört man auch. Sicher, im Rückblick auf den 28. April 2018 schlägt auch das YB-Herz der Kritiker von heute noch immer in atemberaubender Kadenz. 2:1 gegen Luzern. Der erste Meistertitel seit? Genau, 32 Jahren. Und wer das Siegtor damals geschossen hat, ist im kollektiven Gedächtnis abgespeichert: Jean-Pierre Nsame. Oder Schämpu, wie sie ihn nennen, weil sie ihn so gern haben in Bern.
Ein Held für die Ewigkeit, längst zur Ikone geworden, allein, weil er in 242 Spielen für YB sagenhafte 140 Tore erzielt hat. Nun, so die Kritiker, wird unser Schämpu wie eine ranzige Butter einfach so weggeschmissen.
Und was machen sie nur mit dem Trainer, Raphael Wicky? Double-Gewinner 2023, Champions-League-Teilnehmer, Europacup-Überwinterer und nun wieder auf Meisterkurs. Vielleicht verlaufen einzelne Spiele unter seiner Leitung etwas gar pragmatisch. Sehr wahrscheinlich ist er mit seiner anständigen, aber auch leicht distanzierten Art nicht der charismatischste Trainer, den Bern je gesehen hat. Aber bitte: Was hat der Wicky noch zu beweisen bei YB? Nichts. Trotzdem wurde er bislang nicht mit einer Vertragsverlängerung belohnt.
Ach, was waren das für Zeiten zu Beginn dieses Jahrtausends. Die schnucklige Holztribüne im Neufeld, die Kunstszene am Spielfeldrand, die Wohngemeinschaft mit Trainer Schällibaum und Sportchef Bickel. Romantik in der Endlosschlaufe.
Selbst als YB mit dem prall gefüllten Portemonnaie der Familie Rihs im Sommer 2005 ins neue Stadion einzog, musste man sich in Basel und Zürich kaum Sorgen machen, dass im Schweizer Fussball nun eine neue Zeitrechnung anbrechen würde. YB war zwar gross, blieb aber schnucklig, ungefährlich. Sympatische Loser. «Veryoungboysen» wurde zum Markenzeichen und das Bonmot von Kuno Lauener, Frontmann von Züri West, «Rang zwöi isch ou suberi Büez», zum Seelenbalsam.
Doch dann kommt ein Mann, der zwar Berner durch und durch ist, aber mit dieser Genügsamkeit so gar nichts anfangen kann. Dabei wirkt er gar nicht so energisch. Wie sollte er auch, mit diesem herzigen Dialekt. Und dann hört dieser Mann auch noch auf einen Namen, den man in anderen Landesteilen vielleicht einer Hauskatze gibt: Wuschu. Doch dieser Wuschu hat das YB-Gebilde mit Ecken und Kanten angereichert.
Christoph Spycher hört es zwar nicht gern, wenn man die YB-Metamorphose vom Jöh-Klub zur selbstbewussten Erfolgsmaschine auf ihn reduziert. Aber er wurde erst als Sportchef und seit Mai 2022 als Mitglied des Verwaltungsrats zum Gesicht jenes YB, für das eine Silbermedaille wertlos geworden ist. «Die lange Zeit ohne Titel wurde zu einem Mythos, den YB mitgetragen hat», sagt Spycher.
«Aber wenn man erfolgreich ist, muss man einen Weg finden, wie man den Erfolgshunger beibehalten kann. Es gibt hier Spieler, die in sechs Jahren fünfmal Meister geworden sind. Sie sind gut, keine Frage. Aber wir müssen ihnen immer wieder klarmachen, dass der Istzustand nicht gut genug ist, wir immer besser werden müssen. Und dafür braucht es nicht nur Kontinuität, sondern auch immer wieder frische Energie.»
YB ist heute an einem ähnlichen Punkt, wie es sein nächster Gegner FC Basel während der dominanten Phase war. Seriensieger, Ligakrösus und von allen Seiten wird mehr erwartet. Die Fans - die plötzlich nicht mehr nur gmögig sind – fordern Spektakel, Lokalkolorit, Identifikation, Champions-League-Abende und Titelfeiern à gogo. Die Spieler fordern mehr Geld. Die Trainer bessere Spieler. Und über allem schwebt die Genügsamkeit wie ein Damoklesschwert.
Dieser Gefahr begegnete die damalige Führungs-Crew um Bernhard Heusler in Basel mit teils unpopulären Massnahmen. Beispielsweise, als Alex Frei mitten in der Saison seine Karriere beendete. Oder als Murat Yakin nach zwei höchst erfolgreichen Jahren als Trainer nicht weiterbeschäftigt worden ist. Es sind Entscheidungen, die selten vereinbar sind mit der Emotionalität der Fans. Und deshalb gerne als unsentimental taxiert werden.
Christoph Spycher hat schon Fanliebling Guillaume Hoarau verabschiedet. Nun muss er immer wieder erklären, warum man Nsame a) den Vertrag über den Sommer hinaus nicht verlängert und b) in der aktuellen Transferphase nicht nach Genf ziehen lässt und damit dem Wunsch des verdienten Stürmers entspricht. Stattdessen spielt er fortan in der Serie B für Como.
«In der Führung treffen wir keinen Entscheid für uns persönlich», sagt Spycher. «Ausserdem ist kein Spieler grösser als die Mannschaft, ist kein Mitarbeiter grösser als der Verein. Und ich bin der Letzte, der wichtiger ist als YB. Hätte es beispielsweise Miralem Sulejmani verdient, noch zehn Jahre für YB zu spielen? Als Fan sage ich ja. Aber in meiner Position muss ich entscheiden, was für YB am besten ist. Es braucht Rationalität, um Entscheidungen zum Wohl von YB zu fällen. Aber wir sind nicht kaltherzig. Wenn es einem unserer Spieler schlecht geht, gibt es keinen menschlicheren Klub als YB.» Nsame wird das – wenn überhaupt – erst mit etwas Abstand so sehen.