Vor einem Jahr standen Sie vor Ihrer WM-Premiere als Schweizer Headcoach. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in Ihr zweites WM-Turnier?
Patrick Fischer: Die dominierende Emotion ist grosse Freude. Für mich waren die WM-Turniere schon als Spieler immer absolute Highlights. Ich bin sehr motiviert.
Was konnten Sie aus der letzten, missglückten WM-Kampagne lernen?
Wir haben damals im Vorfeld sehr viel investiert und haben dann am Turnier leider wenig dafür zurückbekommen. Unsere Analyse hat ergeben, dass wir vielleicht ein wenig über unser Ziel hinausgeschossen sind.
Das heisst?
Wir haben zu offensiv agiert. Wir haben zwar viele Tore geschossen, aber auch zu viele kassiert. Das mussten wir korrigieren. Seit dem Deutschland-Cup im letzten November, wo es immer noch nicht so ganz wie gewünscht lief, sind wir aber taktisch dort, wo wir stehen wollen. Wir spielen mit weniger Risiko im Forechecking. Das heisst, dass wir den Puck weniger oft erobern werden, dafür stehen wir defensiv viel sicherer und kompakter.
Was bedeutet das punkto Spielermaterial?
Uns war bewusst, dass wir vor allem in der Verteidigung zu viele leichte und kleine Spieler hatten. Deshalb haben wir heuer diesbezüglich mehr auf den körperlichen Aspekt geschaut und auf grosse, kräftige Spieler gesetzt.
Gingen Sie selber als Headcoach auch über die Bücher?
Als Trainer muss man sich ständig hinterfragen und ein Stück weit auch neu erfinden. Nach einem Misserfolg, wie bei uns an der letzten WM, muss man sowieso alles analysieren. Ich habe viel mit meinem Hockeyumfeld gesprochen, reflektiert und versucht herauszufinden, was die Mannschaft braucht.
Wie wichtig ist die Tatsache, dass Sie im Gegensatz zur letzten Saison nun ein ganzes Jahr Zeit hatten, sich auf die WM vorzubereiten?
Ich fühle mich deutlich ruhiger. Letztes Jahr war alles sehr hektisch. Ich merke, welche Vorteile es hat, wenn man schon im Sommer mit den Spielern reden und seine Ideen vermitteln kann. Viele Fragen waren schnell beantwortet. Ich brauche diese Ordnung, diese Klarheit, damit ich gut funktioniere.
Auf dem Posten der Assistenztrainer gab es markante Mutationen. Felix Hollenstein und Reto von Arx wurden durch Tommy Albelin und Christian Wohlwend ersetzt. Welche Rolle spielen diese Wechsel?
Wir hatten schon im letzten Jahr ein sehr gutes Trainerteam. Leider ist der erwünschte Erfolg ausgeblieben. Nach diesen Wechseln sind die Rollen innerhalb des Coaching-Staffs nun noch spezialisierter.
Wie muss man sich das vorstellen?
Tommy Albelin war ein langjähriger NHL-Verteidiger. Das Unterzahlspiel ist sein Business. Er war diesbezüglich schon als Spieler bei den New Jersey Devils ein Spezialist. Er bringt da ein extremes Wissen und Know-how ins Team und ist zudem ein beruhigendes Element. Christian Wohlwend ist als U20-Nationaltrainer das Bindeglied zu den jungen Spielern, die wir laufend in die Nati einbauen wollen. Er ist eher der emotionale Typ. Dazu haben wir heuer erstmals einen Goalietrainer dabei, was während eines WM-Turniers ebenfalls ausschlaggebend sein kann. Auch im Off-Ice-Bereich haben wir in physischen und mentalen Belangen Fachleute involviert. Es gab also viele Veränderungen. Die waren auch nötig
Das heisst, Sie fühlen sich angesichts dieser grossen Unterstützung selber auch rundum wohl?
Absolut. Ich vertraue meinem Staff und kann mich so selbst auf meine Kernkompetenzen, das Powerplay und die taktische Gesamtverantwortung konzentrieren. Das ist gut so.
Nationalmannschafts-Aufgebote waren in den letzten Jahren immer ein Politikum. Wie erlebten Sie heuer die Zusammenarbeit mit den NLA-Klubs?
Als extrem befriedigend. Für mich ist es natürlich auch einfacher. Ich habe noch mit vielen der aktuellen NLA-Sportchefs zusammengespielt, habe zum Teil noch unter amtierenden NLA-Trainern selber gespielt und kenne sie daher sehr gut. Die Unterstützung war sehr gut, die Bereitschaft mitzuhelfen wirklich vorhanden. Dafür möchte ich den Klubs danken.
Da zahlt sich vermutlich aus, dass Sie intensiv den Kontakt zu den Klubs suchen.
Ja, ich versuche, bei jedem Klub zweimal pro Saison vorbeizuschauen und mich mit den Trainern und Sportchefs auszutauschen. Diese Leute sehen ihre Spieler jeden Tag und können mir wichtige Informationen geben.
Haben Sie versucht, Spieler wie Roman Wick, Julien Sprunger oder Severin Blindenbacher zu einem Comeback zu motivieren?
Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit als Nationaltrainer, Ende 2015, noch einmal einen Anlauf genommen. Aber jetzt sind diese Personalien für mich ad Acta gelegt. Der einzige Spieler, bei dem die Türe noch ein Spalt offensteht, ist Julien Sprunger – sobald sich dessen private Situation ändern würde. Aber das ist nicht der Fall bis jetzt.
Bedauern Sie, dass diese Spieler ihre Prioritäten anders setzen?
Natürlich sind es gute Spieler. Aber die Spieler sind wiederum nur so gut, wie sie auch motiviert sind. Wenn die Motivation fehlt, dann macht es keinen Sinn.
Gab es bei Martin Plüss eine realistische Chance auf ein Comeback?
Ja. Ich bin mit Martin immer in Kontakt gestanden. Letztes Jahr war eher ich der, der bezüglich eines WM-Aufgebots Bedenken hatte. Dieses Jahr sahen wir beide, dass es eine gute Möglichkeit gäbe für ein Comeback. Schliesslich hat aber er nach dem Ende der Meisterschaft von sich aus verzichtet. Was hauptsächlich damit zusammenhängt, dass seine sportliche Zukunft noch ungeklärt ist. Dafür habe ich volles Verständnis. In seinem Alter muss er wirklich vollumfänglich bereit sein, ein WM-Turnier zu spielen.
Kehren wir zurück zur kommenden WM: Was kann man von der Schweizer Mannschaft erwarten?
Unser Credo ist: Wir sind eine Mannschaft mit Herz. Wir wollen schnell spielen, hart spielen – und vor allem mit viel Leidenschaft. Der Einsatz wird immer stimmen – das können wir versprechen. Wir werden alles geben, damit wir eine erfolgreiche WM für die Schweiz bestreiten können.
Und resultatmässig? Wie weit kann die Schweiz kommen?
Das primäre Ziel ist klar: Wir wollen in die Viertelfinals. Wenn wir unser Potenzial ausschöpfen, dann werden wir das auch schaffen. Aber es gilt die alte Regel: Man muss Spiel für Spiel nehmen.
Entscheidend wird der WM-Auftakt. Im letzten Jahr war die Niederlage gegen Aufsteiger Kasachstan letztlich ein zu grosses Handicap. Dieses Jahr wartet mit Slowenien wieder der Aufsteiger als erster Gegner.
Wir sind uns einig, dass die Slowenen für uns eine machbare Aufgabe sind. Es ist ein sehr guter Gegner, aber keiner vom Kaliber Kanadas. Ein guter Auftakt ist zweifellos wichtig für das Selbstvertrauen. Deshalb müssen wir diese Chance nützen.
Aus Nordamerika steht mit Denis Malgin nur ein NHL-Spieler im WM-Kader. Im Hinblick auf die Winterspiele, welche höchstwahrscheinlich ja ohne NHL-Spieler über die Bühne gehen werden, ein Vorteil?
Eine erfolgreiche WM kann bedeuten, dass sich hier schon die Olympia-Mannschaft herauskristallisiert. Es geht nachher schnell. Da werde ich das Team nicht mehr gross umkrempeln.
Spüren Sie bei den Spielern eine gewisse Spannung deswegen?
Wer ein gutes WM-Turnier absolviert, hinterlässt sicher einen bleibenden Eindruck beim Trainer-Staff. Die Jungs wissen, um was es geht. Ich habe auch keine scheinheiligen Absagen erhalten. Da hat das Thema Olympische Spiele mit Sicherheit geholfen.
Haben Sie sich überlegt, an der WM auf NHL-Spieler zu verzichten?
Nein. Ich versuche, immer mit der bestmöglichen Mannschaft an der WM anzutreten. Da ist jeder NHL-Spieler selbstredend eine gute Option für uns.
Welche Schlagzeile wollen Sie am Ende der WM am liebsten lesen?
«Die Schweiz ist Weltmeister!» (lacht).