Lieber Granit
Ich mag gar nicht lange drum herumreden, sondern komme gleich zum Punkt: Bitte, tu das nicht. Geh nicht nach Saudi-Arabien. Folge nicht dem Geld des saudischen Staatsfonds! Erlieg diesem Lockruf nicht. Es wäre so schade, würdest du dich dem Neom SC anschliessen, mit dem du jedoch mündlich schon einig sein sollst, wie Sky Sport Deutschland schreibt.
Es geht mir dabei nicht einmal primär darum, welchen Ruf Saudi-Arabien hat mit seiner misogynen Politik und dem auf vielen Ebenen menschenverachtenden Verhalten. Erst jüngst hat Amnesty International in einem Bericht festgehalten, dass die Anzahl der Hinrichtungen auf «erschreckende Weise» angestiegen ist.
Das sind alles Werte, die dir doch nicht egal sind. Dir, dem Vater dreier Töchter, der in seiner Rolle als Rekordnationalspieler und Captain der Schweizer Fussballnationalmannschaft Vorbildcharakter hat. Du hast immer klar Kante gezeigt – ob es nun allen passt oder ganz oft eben auch nicht.
Mein Unverständnis projiziert sich aber vor allem auf die sportliche Ebene. Granit, du bist noch immer erst 32 Jahre alt. Du hast noch einige Jahre auf internationalem Top-Niveau vor dir. Du bist, wie viele sagen, die dich kennen, seit gewisser Zeit so fit wie kaum je. Und dass du seit deinem Wechsel zu Leverkusen dein ohnehin schon unglaubliches fussballerisches Niveau noch einmal steigern konntest, durften wir alle bewundernd verfolgen.
Du bist Hirn und Herz einer Mannschaft, die die Regentschaft Bayern Münchens beendet hatte. Du hast mit deinen Geniestreichen ein Team angeführt, das nur ein einziges Spiel in der Saison 2023/2024 verloren hatte. Und auch wenn es in dieser Spielzeit nicht zu einem neuerlichen Titel gereicht hat: Deine Qualität ist geblieben.
Dieses Auge für die entscheidenden Pässe, den am besten positionierten Kollegen, den richtigen Moment. Du bist ein Metronom – bei Leverkusen und in der Nati.
Und auf diesem Leistungsniveau, um das dich wohl viele andere 32-Jährige beneiden, willst du nach Saudi-Arabien? Komm schon. Du bist zu gut für das. Viel zu gut!
Ja, ich verstehe, dass du aufgrund der Situation in Leverkusen, wo nicht nur Coach Xabi Alonso, sondern diverse Schlüsselspieler nicht mehr da sind, eine Luftveränderung brauchst. Du hast dich neben deiner Fussballintelligenz immer auch durch deine Mentalität ausgezeichnet. Dass es schwerfällt, 150 Prozent zu geben, wie du es immer tust, wenn um dich herum das Gerüst des Teams auseinanderbricht – absolut nachvollziehbar.
Darum: Geh. Verlass Leverkusen. Aber tu es in eine Richtung, wo deine Qualitäten nicht irgendwo zwischen Wüstensand und Öl-Milliarden unterzugehen drohen. In einem Land, in dem sich viele deiner Kollegen nicht wohlgefühlt, die Übung frühzeitig abgebrochen haben. Frag doch mal Ivan Rakitic oder Jordan Henderson.
Wie zu hören ist, lockt dich auch Fenerbahce Istanbul. Ja, dort würdest du wohl kaum die kolportierten und äusserst reizvollen 10 Millionen netto verdienen, welche dir der Neom SC bieten soll. Aber: Du hättest die Aussicht, möglicherweise Champions League zu spielen! Und ganz ehrlich, so gut, wie du drauf bist, würdest du in der Königsklasse noch einmal richtig zaubern können. Gegen Real Madrid. Gegen Manchester City. Oder vielleicht sogar gegen deinen FC Basel.
Wenn du schon noch nicht nach Hause kommen magst, dann bitte geh in eine kompetitive Liga. Bei Fenerbahce würdest du mit José Mourinho zusammenarbeiten. Ein grosser Name an der Seitenlinie, der dir nach den Jahren unter Lucien Favre, Arsène Wenger oder Ottmar Hitzfeld noch fehlt. Das wäre doch reizvoll, oder nicht?
Vor allem aber würdest du in Istanbul – oder doch noch in Mailand oder Turin, wo ich dich ohnehin lieber sehen würde – jenem Ziel näher sein, das du immer als wichtiges herausgehoben hast: persönlich auf einem Top-Niveau zu sein, wenn im nächsten Juni die WM beginnt. Jene Endrunde, die wahrscheinlich deine letzte sein wird.
Dann braucht die Schweiz ihr Hirn und Herz in bester Verfassung. Also bitte, Granit, geh nicht nach Saudi-Arabien!
(riz/bzbasel.ch)
Einer mehr, dem Menschenwürde und Menschenrechte schnurzegal sind. Hauptsache die Kohle stimmt. Man kann ja schliesslich nie genug davon haben.