Die jüngste Leidensgeschichte ist jene der Stabhochspringerin Angelica Moser. Sie zeigte gestern Abend im Stade de France einen eigentlich extrem starken Olympiafinal. Bis und mit 4,80 Meter übersprang die amtierende Europameisterin jede Höhe im ersten Versuch und lag so mit der Titelverteidigerin Katie Moon auf dem geteilten ersten Platz. Zur Einordnung: Moser ist in ihrer noch jungen Karriere erst ein Mal höher als 4,80 Meter gesprungen.
Nach den perfekten Sprüngen scheiterte die 26-Jährige allerdings zunächst zweimal an 4,85 Meter, dann im letzten Versuch auch an 4,90 Meter. Nur weil die Kanadierin Alysha Newman erstmals seit Jahren bei einem Outdoor-Meeting wieder höher als 4,80 Meter sprang, verpasste Moser die angestrebte Medaille.
So blieb ihr nur der ungeliebte vierte Platz und die damit verbundenen Tränen. Schon wieder so eine verfluchte Ledermedaille.
Es ist bereits das achte Mal, dass die Schweiz an den Spielen in Paris auf dem vierten Platz landet. Simon Ehammer im Weitsprung, Maud Jayet im Segeln, Cédric Butti im BMX Racing, Schwimmer Noé Ponti über 100 m Delfin, Jan Schäuble und Raphaël Ahumada im Leichtgewichts-Doppelzweier, Martin Dougoud im Kanu-Slalom, Pascal Walker, Lisa Lötscher, Fabienne Schweizer und Célia Dupré im Doppelvierer und gestern eben Angelica Moser. Dazu kommen sechs fünfte Plätze.
Vierte Plätze kommen immer mit riesigem emotionalem Zwiespalt: Einerseits ist ein vierter Platz eine herausragende Leistung. Angelica Moser ist die viertbeste Stabhochspringerin der Welt, noch nie war eine Schweizer Leichtathletin bei Olympia so gut klassiert. Andererseits zählen gerade bei den Olympischen Spielen eben vorwiegend die Medaillen. «Das gute Ergebnis hilft jetzt auch nicht, es tut einfach nur weh», sagte auch die Zürcherin gestern Abend nach der verpassten Medaille mit Tränen in den Augen.
Uns Zuschauern geht es da gleich. Wir freuen uns über eine starke Leistung. Aber wir leiden auch mit unseren Sportlerinnen und Sportlern, die es verdient gehabt hätten, dass ihr Effort auch mit Edelmetall belohnt wird.
Der Vorwurf, dass Schweizer Athletinnen oder Athleten «mental einfach nicht bereit sind» und deshalb oft auf dem vierten Platz landen, ist übrigens barer Unsinn. Viel mehr ist einfach Glück und Pech im Sport ein grösserer Faktor, als es viele Fans wahrhaben wollen. Es war Pech, dass bei Noè Ponti wohl ein Fehler des Gegners beim Anschlagen nicht rechtzeitig entdeckt wurde. Und es war Pech für die Schweiz, dass Alysha Newman ausgerechnet gestern ihren besten Outdoor-Sprung seit Jahren zeigte.
Bei den Leichtathleten war man als Team schon lange nicht mehr so nah dran an den extrem kompetitiven Disziplinen. Die ganze Welt rennt und springt. Da ist nur schon das Diplom eine riesige Leistung.