Wieder nicht Weltmeister. Wieder «nur» Zweiter. Tom Lüthi beendet die Saison mit dem 2. Platz beim GP von Valencia und dem dritten WM-Schlussrang. Doch er sagt: «Ich glaube, wir dürfen stolz sein. Ich konnte im letzten Rennen um den Sieg kämpfen.»
Er hat recht. Mit dem vierten Podestplatz in Serie in den vier letzten Rennen hat er einen eindrücklichen Schlussspurt gezeigt. Ohne die Krise in der Saisonmitte wäre der WM-Titel möglich gewesen. «Wir müssen analysieren, warum wir die Richtung nicht früher wiedergefunden haben», sagt Lüthi. Es sei die Summe von Details gewesen. Nichts Dramatisches. Aber so seien die Punkte verloren gegangen, die am Ende gefehlt haben. «Wir können die Situation jetzt aber nicht mehr ändern und das Wichtigste ist, dass wir zum Ende der Saison wieder ums Podest kämpfen konnten.»
Das ist die Sicht zurück mit einem weinenden Auge. Aber es gibt den Blick nach vorne mit einem lachenden Auge. Tom Lüthi fährt in der zweitwichtigsten Töff-WM längst im Adelsstand der Legende. Er ist geblieben und seine Gegner sind gekommen und wieder gegangen.
Der Emmentaler ist der einzige Moto2-Star, der sein Glück in der MotoGP-Klasse nicht gefunden hat, nach einer Saison in der «Königsklasse» (2018) wieder zurückgekehrt und erneut erfolgreich ist. Für alle anderen war das Scheitern ganz oben ein Karriereknick. Für Lüthi war es hingegen «nur» ein missglücktes Abenteuer, ein «Betriebsunfall» in einer langen Karriere. In der Schweiz ist er auch als Siegfahrer in der Moto2-Klasse ein Star mit guten Werbeeinnahmen.
So kommt es, dass der Emmentaler inzwischen fast alle wichtigen Moto2-Statistiken anführt und doch noch nie Weltmeister in dieser Klasse geworden ist. Seinen Titel hat er 2005 bei den 125ern geholt. Er hat in der Moto2-Klasse am meisten WM-Punkte und Podestplätze herausgefahren und um auch die ewige GP-Siegerliste der zweitwichtigsten WM anzuführen, fehlen nur noch vier Siege. Er ist nach Luigi Taveri bereits jetzt der grösste Schweizer Solo-Rennfahrer aller Zeiten. Nicht statistisch, Stefan Dörflinger hat mehr WM-Titel. Aber was die Dauer der Karriere und die Erfolge in der zweitwichtigsten WM betreffen.
Ein Blick auf die WM-Schlussrangliste 2019 sagt uns, warum Tom Lüthi nächste Saison ein weiteres Mal auf den WM-Titel hoffen darf: Er steht auf dem dritten Platz. Vor ihm haben sich Weltmeister Alex Marquez und Brad Binder klassiert.
Bereits steht fest, dass Binder nächste Saison für KTM in der Königsklasse fährt. Eigentlich sollte Alex Marquez 2020 wieder in der Moto2-WM antreten. Aber inzwischen hat Jorge Lorenzo den Rücktritt erklärt und ganz oben wird sein Platz bei Honda frei. Es ist nicht auszuschliessen, dass Alex Marquez trotz Vertrag für die Moto2-WM 2020 nächste Saison im Team seines grossen, weltmeisterlichen Bruders Marc Marquez die «Königsklasse» für Honda fährt.
Selbst dann, wenn der Spanier in der Moto2-WM bleibt: Diese Saison hat sich gezeigt, dass er mental nicht «unverwundbar» ist. Wenn Lüthi während des ganzen Jahres auf dem Niveau der ersten drei und der letzten vier Rennen fährt, kann er Weltmeister werden. Der 33-Jährige wird nächste Saison der erfahrenste Pilot der Moto2-Klasse sein.
Die Chancen, dass es nicht mehr zu einem Zwischentief kommen wird wie in diesem Jahr sind gross. Lüthi fährt im gleichen Team mit der gleichen Maschine und wird von den gleichen Technikern betreut. Die Erfahrungen können umgesetzt werden. Deshalb gehört Tom Lüthi 2020 zu den Titelanwärtern – unabhängig davon, ob Alex Marquez noch einmal antritt oder in die «Königsklasse» aufsteigt. Der Titel muss das Ziel sein. WM-Zweiter war er schon zweimal (2016 und 2017).
2020 wird ausgerechnet Dominique Aegerter (29) wieder Tom Lüthis Teamkollege sein. Wie 2015 und 2016. Aber der Rohrbacher ist nicht mehr sein Rivale in der gleichen Klasse und auf der gleichen Maschine.
Es ist wie eine Ironie der Töffgeschichite: Dominique Aegerter hat sich mit einem 12. Platz und dem 22. WM-Schlussrang aus der Moto2-WM verabschiedet. Aus der Klasse, in der er einst ein Star war. Nun findet er sich in der gleichen Situation wieder wie damals, als er 2006 seine GP-Karriere in der 125er-Klasse begonnen hat: Als Bewunderer seines unerreichbaren Idols Tom Lüthi. Er fährt im Team von Lüthi die E-WM. Also die WM mit den elektrischen Töffs.
In dieser E-Klasse fährt nur, wer keine andere Wahl mehr hat. Es ist die WM der Desperados. Zusätzlich hat Aegerter die Rolle eines Ersatzfahrers. Um einzuspringen, wenn Lüthi oder dessen Teamkollegen Marcel Schrötter etwas zustossen sollte. Oder wenn ein anderes Team einen Ersatzpiloten braucht. Genau so ist Jesko Raffin wieder ins GP-Geschäft zurückgekehrt. Er fährt 2020 im Team des Holländers Jarno Janssen die Moto2-WM.
Dominique Aegerter also wie Jesko Raffin? Nein. Erstens hat Raffin mit 23 Jahren die Zukunft noch vor sich. Aegerter hat seine Zukunft mit 29 Jahren hinter sich. Und sein fahrerisches Niveau und technisches Verständnis reichen schon seit zwei Jahren nicht mehr zu Spitzenplätzen. Nur sagt ihm das keiner.