
Sag das doch deinen Freunden!
Ja, jetzt ist es definitiv eine griechische Tragödie. Eine griechische Tragödie geht ungefähr so: Der Hauptdarsteller gerät durch schicksalshafte Verstrickungen in eine Lage, die er mit allem, was er tut, nur noch verschlimmert. Die herannahende, sich immer deutlicher abzeichnende Katastrophe kann er nicht mehr abwenden.
So ist es bei Sepp Blatter. Der Sonnenkönig des Fussballs ist gestürzt worden. Acht Jahre Sperre. Es ist zwar nicht so, dass er kein Fussballstadion mehr betreten darf, wie da und dort behauptet wird. Aber es ist so, dass er nicht mehr in offizieller Mission in ein Fussballstadion gehen darf. Sepp Blatter müsste sich einfach eine Eintrittskarte kaufen und unters gewöhnliche Volk mischen. Undenkbar. Unvorstellbar.
Gestürzt worden ist er von einem FIFA-Gericht, das er einst selber installiert hat. Als er uneingeschränkter Herrscher war. Dass sich dieses Gremium gegen ihn wenden könnte: Unvorstellbar. Undenkbar. Und doch ist es so gekommen.
Der Sonnenkönig gestürzt. Durch die eigene Gerichtsbarkeit. Ein politisches, ein heuchlerisches Urteil. Spektakulärer liesse sich der Welt nicht vorgaukeln, dass nun bei der FIFA alles anders, besser wird. Und nichts ist lustvoller, als einen König stürzen zu sehen – und nachzutreten. Auch für das Verfahren gegen Sepp Blatter finden wir einen Begriff aus der griechischen Antike. Scherbengericht. Es war ein Verfahren, unliebsame oder zu mächtige Bürger aus dem politischen Leben der Stadt Athen zu entfernen. Die Verbannung betrug zehn Jahre.
Dabei zeigt gerade dieses Verfahren, dass Sepp Blatter eben nicht korrupt war. Er hat sich nicht bereichert. Es ging und geht ihm um etwas ganz Anderes: Um Macht und Ehre. Um seine Macht zu sicheren, hat er offensichtlich einem Kumpel (Michel Platini) eine siebenstellige Summe zukommen lassen (Stimmenkauf).
Sepp Blatter kann gegen diese Sperre kämpfen. Mit einem Rekurs, einem Gang vor das internationale Sportgericht oder ein staatliches Gericht. Diesen Kampf kann Sepp Blatter vielleicht juristisch gewinnen, obwohl die Chancen gering sind. Aber wir wissen nie, wie Gerichte entscheiden. Es gibt einen bitterbösen Spruch, der doch der Wahrheit nahekommt: Vor den Richtern sind wir wie auf hoher See – in Gottes Hand.
Aber den Ruf, die Ehre kann Sepp Blatter mit einem Gerichtsurteil, von welcher Instanz auch immer, nicht mehr retten – und die Macht bekommt er nie mehr zurück. Es ist ein aussichtsloser Kampf gegen die Windmühlen der öffentlichen und vor allem der veröffentlichten Meinung. Das Spiel ist aus.
Wer sagt es ihm, dass das Spiel aus ist? Seine Anwälte und Berater sicher nicht. Zu lukrativ sind diese Mandate – und erst noch mit dem Aphrodisiakum der Medienpräsenz. Es tut weh, zusehen zu müssen, wie sich einer der verdienstvollsten, einst mächtigsten Schweizer Sportfunktionäre zum Tanzbären seiner Anwälte und Berater macht und immer mehr zu einer tragischen Figur wird. Schlimmer noch: zu einer lächerlichen, traurigen Gestalt. Sein Kampf um die Wiederherstellung seiner fussballerischen Ehre ist eines der tragischsten Schauspiele, das uns der internationale Sport je zugemutet hat.
Warum tut sich Sepp Blatter das an? Warum nicht in einem letzten, gut inszenierten Auftritt vor den Weltmedien den Rückzug verkünden? Sich dem FIFA-Urteil unterziehen, auf seine grandiose Karriere, sein reiches Fussballleben verweisen und erklären: Ich habe alles geschaut, alles genossen – nun ist die Zeit des Kämpfens vorbei. Ich setze mich zur Ruhe, schreibe meine Memoiren (oder lasse sie schreiben) – und wer weiss, vielleicht ist dann dem Gescheiterten gar ein Comeback als Buchautor und «Elder Statesman» vergönnt.
Wie einst Richard Nixon. Sepp Blatter, so etwas wie der Richard Nixon des internationalen Sports? Ein verwegener, aber faszinierender und irgendwie doch treffender Vergleich. Auch der ehmalige US-Präsident scheiterte, wie Sepp Blatter, nicht wegen persönlicher Bereicherung. Sondern wegen unredlicher Methoden beim Bestreben, an der Macht zu bleiben.
Mit einem ganz grossen Unterschied: Richard Nixon, der einzige US-Präsident, der von seinem Amt zurücktreten musste (um der Amtsenthebung zuvorzukommen), ist auch als Schurke bezeichnet worden.
Ein Schurke ist Sepp Blatter, der einzige FIFA-Präsident, der seines Amtes enthoben worden ist, ganz sicher nicht.