Ähnlich wie bei Mujinga: Diese Fähigkeit macht Ditaji Kambundji zur perfekten Sportlerin
Wie kann man nur so abgebrüht sein? Wenn der Leistungsdruck maximal wird, der Bauch sich vor dem Start vor Nervosität zusammenzieht und die Herausforderung unüberwindbar gross erscheint, ja dann kommt Ditaji Kambundji erst so richtig auf Betriebstemperatur. Mit ihrem WM-Titel in Tokio hebt sie diese einzigartige Fähigkeit auf ein neues Level.
Die Qualität, am Tag X die beste Leistung abzurufen, stellt seit Jahren auch die zehn Jahre ältere Schwester Mujinga regelmässig unter Beweis. Von der derzeit hochschwangeren WM-Dritten von 2019 über 200 m hat sich die erst 23-jährige Ditaji Kambundji viel abgeschaut. Sie sagt im Schweizer Fernsehen nach ihrem Goldsprint über die Hürden: «Ich habe mir nie eine Limite gesetzt. Denn ich hatte immer Vorbilder, die mir zeigten, dass alles möglich ist.»
Schon früh attestierte man der jüngsten von vier Kambundji-Schwestern ein noch grösseres Talent als der WM-Dritten von 2019 über 200 m. Ihre Muskelfasern seien noch explosiver, was sie zur idealen Sprinterin macht. Die wichtigste Qualität aber steckt in Ditaji Kambundjis Kopf: ihr Umgang mit den eigenen Nerven. «Ich liebe dieses Gefühl, wenn der Druck grösstmöglich ist und von mir verlangt wird, meine beste Leistung abrufen zu müssen», sagt sie vor Weltklasse Zürich.
Die Prophezeiung der Hürdenlegende
Auch wenn ihr bisheriger Schweizer Rekord mit 12,40 deutlich hinter den Zeiten der Finalgegnerinnen in Tokio liegt, traut die Fachwelt der 23-Jährigen diesen Exploit zu. Allen voran Hürdensprint-Legende Colin Jackson, heute Leichtathletik-Experte bei der britischen BBC. Er sagt nach Kambundjis Titel über 60 m Hürden an der Hallen-EM im März diesen Jahre mit der zweitschnellsten Zeit der Geschichte ganz nüchtern zu CH Media: «Wenn man diese Leistung auf die 100 Meter hochrechnet, dann sind wir für Ditaji bei einer Zeit von 12,20.»
Kambundji stürmt schliesslich mit 12,24 und einem um 16 Hunderstelsekunden verbesserten Schweizer Rekord zu WM-Gold. «Ich wusste, dass ich eine solche Zeit in den Beinen habe», sagt sie. Weltrekordhalterin Tobi Amusan (12,12) aus Nigeria liegt als Zweite bereits deutlich zurück. Kambundji: «Ich habe mir gesagt, das wird mein Rennen, denn ich weiss, was ich kann.»
Ditaji Kambundji schreibt in Tokio nicht nur Schweizer Sportgeschichte und feiert nach Kugelstösser Werner Günthör (1987, 1991 und 1993) sowie 800-m-Läufer André Bucher (2001) erst als dritte Person einen Weltmeistertitel in der Leichtathletik. Sie schafft es auch auf eindrückliche Art, dass dieses imense Selbstvertrauen, welches sie ausstrahlt, in keiner Weise überheblich oder arrogant wirkt.
Familie Kambundji steht für Bodenständigkeit
Diese einmalige Bescheidenheit, welche die gesamte Kambundji-Familie mit dem aus dem Kongo stammenden Vater Safuka und der Berner Mutter Ruth auszeichnet, demonstriert Ditaji Kambundji auch im Olympiastadion von Tokio. Ihre Ehrenrunde führt sie zuerst zu ihren Eltern, später sagt sie beim TV-Interview: «Ich habe gefühlt in meinem Leben noch nie so viele Tränen vergossen. Ich kann die Aufnahme mit der Familie nicht schauen, sonst beginne ich gleich wieder zu grännen.» Und angesprochen zu ihrer Leistung, meint die neue Weltmeisterin: «Ich bin einfach schnell gerannt und dann habe ich Gold gewonnen.»
Ditaji Kambundji ist eine Sportlerin zum Anfassen. Mit stoischer Gelassenheit erfüllt sie bei Meetings in der Schweiz Autogrammwünsche und stellt sich für Selfies zur Verfügung. Ein Lächeln gehört stets dazu. Trainingstechnisch vertraut sie neben den Einheiten bei Mujingas Lebenspartner und Sprinttrainer Florian Clivaz in Bern auch auf das Auge von Hürdentrainerin Claudine Müller. Die bescheidene Baslerin begleitete Jason Josephs Weg an die Weltspitze und gibt seit zweieinhalb Jahren einmal pro Woche wichtige technische Inputs auch an Ditaji weiter.
Die 45-jährige Sportwissenschafterin Müller war selbst Leichtathletik-Mehrkämpferin und drängt sich als Mensch nie in den Vordergrund. Doch ihr Blick fürs und aufs Detail sorgen dafür, dass Ditaji Kambundji heute technisch auf dem allerhöchsten Niveau steht. Vorbei sind die Zeiten, als die 23-Jährige bei internationalen Meisterschaften anstatt auf dem Podest nach einem Sturz auch einmal auf dem Boden landete. Heute grännt Ditaji Kambundji definitiv aus Freude.
