Wie zwischen Playoff-Final und WM ein wenig auf andere Gedanken kommen? Nun ja, mit einer kleinen Reise. Möglichst umweltgerecht mit der Eisenbahn. Da trifft es sich gut, dass die Eisenbahn von Zürich nach Venedig fährt. Direkt. Mit Speisewagen. Umsteigen ist nicht nötig. Venedig interessiert den Chronisten aus einem ganz besonderen Grund schon lange.
Ein Text der Schriftstellerin Petra Reski – sie ist auch Mafia-Spezialistin – hat schon vor einiger Zeit mein Interesse geweckt. Sie behauptet nämlich, in Venedig gebe es keine Katzen mehr. Sie muss es wissen, denn sie lebt seit 1991 in der Stadt. Die interessante Textstelle:
Eine Stadt ohne Katzen? Kann das sein? Erst noch eine Stadt, die ein Katzenparadies sein müsste wie keine andere: Keine Autos, weder elektrische noch welche mit Verbrennungsmotoren (Zürich Utopia?). Keine Strassenbahn. Keine Busse. Keine rollenden Räder, unter die sie geraten könnten. Sicherer ist das Leben der Katzen in keiner anderen Stadt. Kommt dazu: Katzen gibt es überall. Selbst an den entlegensten Orten der Welt. Sogar auf Inseln weit draussen im Ozean. Auf St.Helena beispielsweise. Aber keine in Venedig?
Viel gäbe es zu erzählen aus der Stadt in der Lagune mit einer mehr als tausendjährigen Geschichte. Aber für einmal geht es um Katzen.
Das Tempo des Lebens bestimmen die Fussgänger. So wird es schon vor mehr als 500 Jahren gewesen sein. Bloss waren damals die Räder der Handwagen wahrscheinlich mit Eisen und nicht mit Gummi beschlagen. Hunde gibt es in allen Grössen und Farben. Venedig ist eigentlich eine Stadt der Hunde. Viele sind gar in teure Stoffe gekleidet. Das macht den Kontrast noch interessanter: So viele Hunde und keine Katzen. Kann das sein?
Ausschau halten nach Katzen: Und dann, endlich am dritten Tag die ersten Erfolge. An einem Hauseingang kündet ein Schild von der Existenz der hier wohnhaften Katze namens Minou. Mit der Bitte, Minou doch hier abzuliefern, wenn sie in den Strassen aufgefunden werden sollte.
Am gleichen Tag taucht in einer kleinen Gasse eine scheue schwarze Katze mit weissen Pfoten auf. Sie verschwindet gleich wieder. Eine Sichtung, fast so aufregend und selten wie die eines Leoparden in einer afrikanischen Stadt.
Es scheint, dass es hier, ein wenig abseits der berühmten Plätze und Brücken, doch noch Katzen gibt. Da ist eine zweite: Sie sitzt im Fenster. Hinter Gittern.
Und schliesslich und endlich treffen wir eine echte Hauskatze. Sie faulenzt draussen auf einem eigenen Tischchen vor dem vorzüglichen Speiserestaurant «La Colonna» in der Nähe der Kirche «Santa Maria dei Miracoli». Sie heisst Bambilla. Der freundliche Wirt klärt auf: Es gebe schon noch Katzen in Venedig. Aber sie werden im Haus gehalten und zeigen sich nicht in den Gassen. Nicht einmal nachts. Da hatten wir also Glück, dass wir wenigstens eine in den Gassen gesehen hatten und nun beim Wirt sogar eine antreffen, die sich offiziell im Freien aufhalten darf.
Der Chronist hat Ferien. Er verzichtet auf tieferschürfende Recherchen über das Schicksal der Katzen von Venedig. Immerhin: Der Beweis ist erbracht. Es gibt eben doch Katzen in Venedig. Und er hat wieder einmal gelernt: Man soll nicht alles glauben, was geschrieben wird. Es lohnt sich immer, nachzusehen. Die Schriftstellerin, die so wunderbare Bücher über Italien und Venedig schreibt, hat mit dem Venedig ohne Katzen ein klein wenig übertrieben.
Bleibt noch eine Frage, die einfach nicht ausbleiben kann und darf: Gibt es in Venedig auch Hockey? Sport ist wichtig in der Stadt. Das Fussballteam ist gerade Schlusslicht in der höchsten Liga. Das «Stadio Pierluigi Penzo», benannt nach einem Kampfflieger und mit dem Baujahr 1913 das zweitälteste eines Profiklubs in Italien fasst rund 11'000 Fans. Aber Hockey? Ja, gibt es. Sogar mit einem Bezug zu unserer National League.
In der Nähe des weltberühmten Markus-Platzes befindet sich in einer Nebengasse eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Hochmodern. Sauber. Und nur gegen ordentliche Bezahlung benützbar. «Pecunia non olet», galt nicht nur im alten Rom. Der schöne Spruch gilt heute mehr denn je: Auf Autobahnraststätten ebenso wie in Venedig.
Per Zufall streift der Chronist durch diese Gasse – und traut seinen Augen nicht. Da prangt doch an der Mauer fast auf Augenhöhe ein grosser, schöner Kleber mit einem Raubtierkopf. Nein, nein, es ist nicht irgendein Raubtierkopf. Erstens ist das Kunstwerk in den SCB-Farben dargestellt und zweitens sieht das böse wirkende Tier in der Seitenansicht – mit der Zunge, die zuvorderst wie ein Hockeystock nach oben gebogen ist – irgendwie aus wie ... der SCB-Bär.
Die Frage ist nun: Ist das die Vorlage, aus der die SCB-Marketingstrategen schon im letzten Jahrhundert ihr Markenzeichen geschnitzt haben? Ist es am Ende gar eine seit Jahrhunderten in Venedig gebräuchliche Raubtierdarstellung? Oder hat hier ein SCB-Fan versucht, das Trauma der jüngsten Zeit in Venedig künstlerisch zu verarbeiten? Oder gehört das Krafttier zu einem anderen Sportklub?
Es ist zwar «nur» ein Aufkleber. Also ein Kunstwerk neueren Datums und kein Gemälde der Robustis. Aber einiges grösser als die üblichen Aufkleber. Hat der SCB-Bär am Ende einen Vorfahren in Venedig? Könnte es sein, dass auf den zahlreichen alten Darstellungen der Seeschlacht von Lepanto, der grössten der Antike, auf einem der Schiffe der siegreichen Venezianer als Symbol der Kraft ein solcher Raubtierkopf zu finden ist? Ist der SCB-Bär am Ende gar ein Krafttier der Venezianer, wie der Markus-Löwe?
Wir wollen nicht grübeln und noch einen «Spritz» bestellen. Die Reise nach Venedig war nicht für die Katz. Wir haben nicht bloss Katzen gefunden, die es angeblich gar nicht mehr gibt. Wir haben womöglich gar den Urvater des SCB-Bären entdeckt.