Mit Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher wird seit seinem schweren Ski-Unfall und der Unwissenheit um seinen Gesundheitszustand Clickbaiting im grossen Stil betrieben. Ganz aufgeregt vermeldet heute «Der Westen», dass es «Endlich gute Nachrichten!» gebe und betreibt Bauernfängerei, indem der Titel so weitergeht: «Jetzt ist klar, dass …»
Wie bitte? Endlich gute Nachrichten? Das muss ja wohl Schumachers Gesundheitszustand betreffen! Seit der Deutsche im Dezember 2013 bei einem Skiunfall schwere Kopfverletzungen erlitten hat, weiss fast niemand ausserhalb seiner Familie, wie es ihm geht.
Doch die guten Nachrichten entpuppen sich als andere. Der Erftlandring, die Kartbahn, auf der Klein Schumi einst seine grosse Liebe zum Motorsport entdeckt hatte, bleibt erhalten. Ihr hatte der Abriss gedroht.
Dass das Interesse an Michael Schumacher nicht nachlässt, macht sich auch Focus zunutze. Das Portal hat unlängst ein Video veröffentlicht, welches das Skigebiet von Méribel in den französischen Alpen zeigt. Reisserischer Titel zum Video, dessen Nutzen sich nicht erschliesst: «Über diese Felsen stürzte Michael Schumacher.» Der Erkenntnisgewinn für den Zuschauer? Überschaubar. Man weiss seit dem Unfall vor sechs Jahren, dass er mit dem Kopf gegen einen Stein geprallt war.
Die «tz» aus München weiss derweil: «So ist es wirklich». Eine vermeintlich «rätselhafte Botschaft» von Gattin Corinna verursache einen «Riesenwirbel». Liest man den Artikel, so liest man vor allem von Gerüchten. Eine Äusserung von Corinna Schumacher («Grosse Dinge beginnen mit kleinen Schritten») werde von einem Formel-1-Blog so interpretiert, dass dies ein Hinweis auf Fortschritte ihres Ehemanns sei und eine Nachricht der Hoffnung. Der Clou: Das Zitat stammt laut «tz» gar nicht von Corinna Schumacher.
Und dann sind da noch die englischen Revolverblätter. Sie melden heute Spektakuläres. «Michael ist nicht mehr so, wie wir ihn in Erinnerung haben», enthüllt ein italienischer Neurochirurg. Schumachers Zustand habe sich «sehr verändert und verschlechtert», meldet die «Daily Mail». Hat Nicola Acciari aus Bologna Schumacher medizinisch betreut?
Die englischen Zeitungen stützen sich auf Aussagen der kleinen italienischen Zeitung «Contro Copertino», die sie vor zwei Wochen verbreitet hat. Das macht stutzig. Wenn da wirklich ein Mediziner Neuigkeiten zu Schumacher hat: Wieso weiss das dann eine kleine italienische Zeitung, aber erst zwei Wochen später die ganze Welt, wenn doch alle so verrückt nach Schumi-News sind?
Es stellt sich heraus, dass die Zitate gar drei Wochen alt sind. Acciari, Neurochirurg und Formel-1-Fan, machte sie gegenüber motorsport.com und betonte gleich zu Beginn, er wisse auch nicht, wie es Michael Schumacher gehe. «Ich wähle diese Worte mit Bedacht, denn niemand hat Beweise für die Meldungen, die kursieren. Es ist schwierig einzuschätzen, aufgrund welcher klinischen Basis man ausgehen sollte», sagte Acciari. Er versuchte es dennoch und trat damit eine Lawine los, die jetzt gerade den Hang hinunterrollt. Denn diese warnende Einführung wird vom Boulevard gerne überlesen.
Auch der «Mirror» bringt die Story, verkauft sie aber mit altbekannten Nachrichten. Schaurige Fotos von Michael Schumacher in seinem Krankenbett würden Medien für eine Million Pfund angeboten. Eine unbekannte Person habe sie im vergangenen Jahr angeblich ausser Haus geschmuggelt, Corinna Schumacher habe eine Anzeige erstattet.
Klatschheftli gehen am Kiosk offenbar immer noch gut weg, wenn über Schumacher berichtet wird. «Michael Schumacher: Schock-Enthüllung! Jetzt muss Corinna ganz stark sein», berichtet «InTouch». Wir schlucken leer.
Bis wir lesen, dass der Onlineshop Schumachers mit angeblich überteuerten Fan-Artikeln locke. Wir gähnen, aber das Blatt fragt: «Eine geschmacklose Abzocke?» und echauffiert sich auch, dass zu Schumachers Geburtstag mit zehn Prozent Rabatt geworben wurde und es obendrein eine Schumi-Dächlikappe gab zu jeder Bestellung. «Ob Corinna tatsächlich damit einverstanden ist, dass mit einem Geburtstags-Rabattcode für überteuerte Schumi-Artikel geworben wird? Kaum vorstellbar ...», glaubt «InTouch».
Was wir dagegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wissen: Eines Tages werden wir Michael Schumacher wiedersehen. Das verspricht sein langjähriger Manager Willi Weber. Der Mann, der Schumi gross gemacht hat, weiss also, wie es ihm geht! Denken wir jedenfalls, als wir vor zwei Monaten diese Schlagzeile im «Express» sehen:
Dann lesen wir das Interview und stellen fest: Weber hat mit Schumachers Familie gar nichts mehr zu tun. «Ich würde gerne wissen, wie es ihm geht, und ihm nochmal die Hand geben oder übers Gesicht streicheln. Aber das wird von Corinna leider abgelehnt», erzählt Weber. Und worauf fusst dann die Schlagzeile von Schumachers Rückkehr? Auf nichts als der positiven Einstellung des Ex-Managers: «Ich glaube fest an Michaels Genesung, weil ich weiss, dass er eine Kämpfernatur ist. Wenn es eine Chance gibt, wird er sie nutzen. Das kann nicht das Ende sein. Ich bete für ihn und bin überzeugt, dass wir ihn wiedersehen.»
Auch wenn dir der Finger zuckt, weil es dich interessiert, es bleibt dabei: Solange seine Familie kein offizielles Statement abgibt, so lange kannst du Meldungen über Michael Schumachers Gesundheitszustand ignorieren.
Was gäbe die BILD oder BLICK um titeln zu können: »Schumi: Jetzt spricht die Nachbarin der Exfrau seines Chefarztes«
Ich hoffe sehr, dass dies wirklich seinen aktuellen Wünschen entspricht und er nicht nur eine leere, am "Leben" erhaltene Hülle ist. Ich war nie Schumacher-Fan, aber ich wünsche ihm wirklich, tatsächlich ein lebenswertes Leben führen zu können.