Knöcheltief ist der Schlamm in einem Wald im österreichischen Leogang. Besonders lustig, da mit einem Mountainbike herunter zu fahren, wirkt das nicht. Doch Hadern bringt nichts: Wer ins wunderbare Regentrikot schlüpfen will, muss durch den Dreck.
Die Strecke verlangte den Athleten alles ab. «Ich bin noch nie ein so schwieriges Rennen gefahren», betonte Camille Balanche im SRF-Interview. Die 30-Jährige meisterte die Aufgabe besser als alle Konkurrentinnen und wurde Weltmeisterin. «Im Training bin ich bei jeder Fahrt gestürzt und ausgerechnet im Rennen ging alles auf», freute sie sich. «Wahrscheinlich hatte auch ich ein bisschen Glück.»
Und mit Balanche feierte im Ziel Emilie Siegenthaler. Im Schweizer Team war sie eigentlich als Medaillenanwärterin vorgesehen – bis ein Trainingssturz kurz vor dem Rennen dazu führte, dass Siegenthaler nicht an der WM teilnehmen konnte.
«Manchmal soll es einfach nicht sein», postete sie vor dem Rennen. Im Januar hatte sie eine Knieoperation, die rechtzeitig verheilt war. Nun ist Siegenthaler darüber besorgt, erneut einen Kreuzbandriss erlitten zu haben. «Es ist verheerend, wenn ich daran denke, dass wohl schon wieder eine langwierige Phase der Rehabilitation vor mir steht.»
Und so könnte die Gefühlswelt von Emilie Siegenthaler am Sonntagnachmittag nicht verzerrter sein. Denn Weltmeisterin Camille Balanche ist mehr als nur eine Teamkollegin – seit drei Jahren sind die zwei Fahrerinnen ein Paar. Die Senkrechtstarterin und die Erfahrene. «Sie hat die Fähigkeit, schnell zu lernen», beschreibt Siegenthaler ihre Freundin. Balanche gibt das Lob der Lehrerin zurück: «Sie kann mir gut helfen mit ihrer Routine.»
Balanche ist ein sportliches Multitalent. Als Juniorin wird sie Schweizer Meisterin im Fechten. Mit dem Eishockey-Nationalteam nimmt sie 2010 in Vancouver an den Olympischen Spielen teil. Dazwischen betreibt die Tochter von Ex-Skispringer Gérard Balanche (einmal Dritter im Weltcup) unter anderem Leichtathletik und Volleyball.
Von dieser Vielseitigkeit profitiere sie heute auf dem Bike, ist sie überzeugt. Ganz allgemein habe sie durch Erfahrungen in verschiedenen Sportarten ihre Koordinationsfähigkeit verbessert, so Balanche. «Vor allem habe ich aber gelernt, mir die spezifischen Bewegungsformen einer Sportart schnell anzueignen. Dank dieser Fähigkeit ist es mir gelungen, im Downhill so schnell Fuss zu fassen.»
Erst 2017 hatte sie diese Sportart für sich entdeckt, seither wurde sie Jahr für Jahr besser. 2018 gewann sie bereits Bronze an den Europameisterschaften, im vergangenen Jahr den EM-Titel und nun als Krönung WM-Gold. Mehr geht nicht, olympisch sind im Mountainbike nur die in der Schweiz bekannteren Cross-Country-Rennen.
Nun werden weniger Balanches physische Fähigkeiten von Bedeutung sein, dafür die psychologischen, damit Freundin Siegenthaler aus ihrem Verletzungstief herausfinden kann. Selten liegen Glück und Pech in einer Liebesbeziehung so nahe beieinander wie in den paar Stunden im österreichischen Leogang.