Griechenland hat die nächste Underdog-Story. An der Fussball-EM 2004 gewann die griechische Nationalmannschaft überraschend den Titel, nun konnte Giannis Antetokounmpo die Milwaukee Bucks zum ersten NBA-Titel seit fünfzig Jahren führen. Der 26-Jährige wurde dabei zusätzlich als bester Spieler der Finalserie ausgezeichnet. Im Vergleich zu den Fussballern ist der Titelgewinn von Antetokounmpo aber noch unwahrscheinlicher.
Der Sohn nigerianischer Einwanderer wurde 1994 in Griechenland geboren. Seine Eltern kamen illegal nach Athen – Antetokounmpo wuchs im dortigen Armenviertel Sepolia auf. In seiner Kindheit hatte die Familie nicht nur mit Rassismus, sondern auch mit der Angst vor der Ausschaffung zu kämpfen. Bis zu seinem 18. Geburtstag war Giannis staatenlos, erst durch den Basketball wurde er als griechischer Staatsangehöriger anerkannt.
Bis dahin musste er sich alles hart erarbeiten. Der mittlere von fünf Söhnen arbeitete unter anderem als Strassenverkäufer, um seine Familie zu unterstützen. Zum Basketball fand er erst mit 13 Jahren, als ihn Spiros Velliniatis, ein Jugendtrainer in Athen, entdeckte. Im ersten Training waren die Mitspieler verwirrt, denn Giannis konnte nicht Basketball spielen. Doch die Beweglichkeit überzeugte Velliniatis – diese und der unbändige Siegeswille. «Giannis hasste es, zu verlieren.»
Der Hunger nach Siegen trieb den «Greek Freak» an. Er wollte der beste Basketballer der Welt werden, damit er seine Familie versorgen kann, wie er gegenüber NBA-Insider Adrian Wojnarowski erzählte. Dafür übernachtete er sogar manchmal in der Trainingshalle, damit er spät abends nicht mehr nach Hause musste. Auf den Strassen waren zu der Zeit oft faschistische Gruppierungen unterwegs, die Immigranten bedrohten und attackierten. Doch davon liess sich der Grieche nicht abhalten: Er trainierte wie ein Besessener, um sein Ziel zu erreichen.
Giannis reflected on his journey and hopes to inspire people from all over the world 🙏 @Giannis_An34 pic.twitter.com/74OpA5TGKF
— ESPN (@espn) July 21, 2021
In der Basketball-Hochburg USA war lange wenig bis nichts über ihn bekannt. Noch zum Zeitpunkt des Drafts 2013, in dem die Milwaukee Bucks ihn auswählten, war Giannis ein Mysterium. Es gab nur wenige Informationen über den Spieler aus der zweiten griechischen Liga und auch Highlight-Videos waren Mangelware. Dennoch liess sich Milwaukees damaliger General Manager John Hammond nicht davon abhalten, den 2,11-Meter-Mann an 15. Stelle auszuwählen. Der NBA-Neuling konnte beim Draft vor Ort dabei sein, da er kurz zuvor die griechische Staatszugehörigkeit erhielt.
In den USA angekommen hatte er zu Beginn noch Probleme mit dem deutlich höheren Niveau. Zudem musste der schmächtige Grieche auch körperlich deutlich zulegen. Doch er arbeitete unbeirrt an sich weiter – Jahr für Jahr verbesserte er sich in allen Belangen. Er legte stark an Muskeln zu und wurde zu einem der athletischsten Spieler der NBA. So wurde er vom Shooting Guard und Small Forward zum Power Forward. In seiner vierten Saison wurde er zum ersten Mal All-Star, zudem konnte er die Auszeichnung als «Most Improved Player» einheimsen.
«The Alphabet», wie er wegen seines langen Nachnamens genannt wird, war aber noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung. Entgegen aller Voraussetzungen wurde er zu einem der besten Basketballer der Welt an beiden Enden des Courts. Antetokounmpo wurde zweifacher MVP und neben Michael Jordan und Hakeem Olajuwon der einzige Spieler, der in derselben Saison als bester Verteidiger sowie wertvollster Spieler der NBA ausgezeichnet wurde.
Doch der Hunger des 26-Jährigen war noch nicht gestillt – er wollte mehr. Dieser unbändige Wille ist in ihm eingebrannt. Nach dem Gewinn des ersten MVP-Titels sagte er: «Nennt mich nicht MVP, solange ich die Auszeichnung nicht ein zweites Mal gewonnen habe.» Als er auch dies erreichte, wollte er die Bezeichnung nicht mehr hören, bis er NBA-Champion ist. Nun hat er auch dies erreicht, und zwar mit den Milwaukee Bucks. Etwas anderes kam für ihn nicht infrage.
Trotz der Enttäuschungen in den letzten beiden Jahren, als Milwaukee in den Playoffs in der Eastern Conference bereits früh scheiterte. Beide Male ging die Franchise aus Wisconsin als bestes Team der Regular Season ins Rennen. Beide Male scheiterten sie als Favorit gegen einen vermeintlich schlechteren Gegner. Coach Mike Budenholzer stand unter Beschuss, ausserdem sei Co-Star Khris Middleton nicht für eine solch grosse Rolle geeignet. Doch auch Giannis Antetokounmpo war vor der Kritik nicht gefeit.
Sein bis heute schwacher Distanzwurf passt nicht zu einem Franchise-Player in der modernen NBA, wo der Dreier immer wichtiger wird. Zudem brachen die schlechten Freiwurfquoten den Bucks gerade zum Ende der Spiele öfters das Genick. Der für provokante Aussagen bekannte Colin Cowherd sprach ihm noch in den diesjährigen Playoffs die Eignung als bester Spieler eines Titel-Teams ab. Der Sportmoderator listete ihn nicht einmal in den zehn wertvollsten Spielern der Playoffs.
Doch weder der Grieche noch die Bucks liessen sich davon beirren. Vielmehr setzten beide Parteien in der Offseason 2020 alles auf eine Karte. Milwaukee holte mit Jrue Holiday einen dritten Starspieler, für den sie mehrere Erstrundenpicks aufgeben mussten. Antetokounmpo unterschrieb seinerseits einen Fünfjahresvertrag, der ihm zwar rund 210 Millionen Franken zusicherte, ihm aber die Möglichkeit der freien Wahl im folgenden Sommer nahm.
Nun hat es sich für beide ausgezahlt. Die Milwaukee Bucks sind zum zweiten Mal in ihrer Geschichte NBA-Champion. Der Junge aus Athen hat die Franchise, die ihn gedraftet hat, dorthin geführt. Dies war sein Wunsch – zu einem anderen Team zu gehen, um sich mit anderen Superstars zusammenzutun, ist nicht seine Art. Das wäre «zu einfach», wie er nach dem Titelgewinn sagte. Er wollte den harten Weg gehen und «das haben wir getan». Mit seiner Leistung in den Playoffs gehört er nun endgültig zu den allerbesten Basketballern der Welt. Das entscheidende Spiel der Finalserie gegen die Phoenix Suns war eine Machtdemonstration des «Greek Freaks». 50 Punkte, 14 Rebounds und fünf Blocks, dazu verwandelte er 17 von 19 Freiwürfen.
Damit ist er erst der siebte Spieler, der in einem Finalspiel mindestens 50 Punkte erzielte. Noch nie zuvor konnte ein einzelner NBA-Star mindestens 50 Punkte, zehn Rebounds und fünf Blocks auflegen. Es war eine historische Performance des Power Forwards. Doch schon die gesamten Playoffs über zeigte er sich von seiner besten Seite. Im Duell mit Kevin Durant und den Titelfavoriten der Brooklyn Nets konnte er über die sieben Spiele im Schnitt 31,9 Punkte skoren und traf 57,4 Prozent seiner Würfe. In den Finals war er sogar noch effizienter: 35,2 Punkte bei 61,8 Prozent Trefferquote.
Giannis Antetokounmpo hat damit jegliche Kritik an seiner Spielweise verstummen lassen. Selbst ohne Sprungwurf ist er kaum zu verteidigen – zu zwingend ist er beim Zug zum Korb. Zu gross ist auch der Hunger nach Erfolg. Mit dem NBA-Titel hat der Grieche einen weiteren Meilenstein erreicht, doch auch das wird ihm noch nicht reichen. Denn sein grösstes Ziel gab er ja bereits zu Beginn seiner Karriere aus: Er will der beste Basketballer aller Zeiten werden.