Wurde die Gehaltsgrenze ausgetrickst? NBA wird von Skandal erschüttert
28 Millionen Dollar über vier Jahre sind in der NBA kein ungewöhnlicher Lohn. Das verdienen selbst Durchschnittsspieler. Im Falle von Kawhi Leonard sorgt dieser Betrag in der Basketball-Welt aber gerade für Aufruhr. Denn der Superstar der Los Angeles Clippers erhält die umgerechnet rund 22 Millionen Franken angeblich fürs Nichtstun. Und zwar von dem mittlerweile insolventen Unternehmen Aspiration, das auch ein Sponsor der Clippers war und in welches auch Steve Ballmer, der Besitzer des NBA-Teams, investiert hat.
So soll die Franchise aus Los Angeles die in vielen US-Sportarten geltende Gehaltsobergrenze ausgetrickst haben. Herausgefunden hat das der Investigativ-Journalist Pablo Torre. Seit er seine Erkenntnisse vor etwa zwei Wochen im Podcast «Pablo Torre Finds Out» öffentlich gemacht hat, steht die NBA-Welt Kopf – und dringen immer neue Details ans Licht. Aber erst einmal der Reihe nach.
Wer ist Kawhi Leonard?
Kawhi Leonard ist ein 34-jähriger Basketballer, der seit 2011 in der NBA spielt. Nach sieben Jahren und einem Titelgewinn bei den San Antonio Spurs wechselte er per Trade zu den Toronto Raptors, die er direkt zum Titel führte. Danach lief sein Vertrag jedoch aus und er unterschrieb 2019 für drei Jahre und gut 103 Millionen Dollar (81 Mio. Franken) bei den Los Angeles Clippers, wobei das letzte Jahr eine Spieleroption war, die Leonard nicht zog. Seit nunmehr sechs Jahren spielt der sechsfache All-Star und zweifache Finals-MVP sowie zweimalige Verteidiger des Jahres für die Clippers, wo er aber, auch aufgrund von Verletzungen, nicht den gewünschten Erfolg brachte.
Worin bestehen die Vorwürfe?
2021 unterschrieb Kawhi Leonard einen von Experten als «team-freundlich» angesehenen neuen Vertrag über vier Jahre und 176 Millionen Dollar (138,5 Mio. Franken). Dies überraschte viele, da er ein Jahr später für fast 60 Millionen Dollar mehr hätte unterschreiben können. 2024 – erneut zog Leonard die Spieleroption nicht – akzeptierte der damals 33-Jährige eine Vertragsverlängerung über drei Jahre, die ihm insgesamt knapp 150 Millionen Dollar (117,7 Mio. Franken) einbringen wird. Erneut verzichtete er auf das Maximalgehalt und damit rund 70 Millionen Dollar.
Pablo Torre berichtet nun aber, dass Leonard acht Monate nach seiner Vertragsverlängerung im August 2021 auch einen Werbedeal mit dem Unternehmen Aspiration unterschrieben habe, der ihm über vier Jahre 28 Millionen Dollar einbringen solle. Zudem erhielt er 20 Millionen Dollar in Aktien. Dies ging aus Dokumenten der Firma, die im Verlauf des Insolvenzverfahrens öffentlich wurden, hervor.
Ausserdem bezieht sich Torre auf sieben anonyme ehemalige Mitarbeiter von Aspiration. Einer davon arbeitete in der Finanzabteilung und berichtet nun, wie ihm von Leonards Deal erzählt wurde: «Mir wurde gesagt, dass ich keine Fragen dazu stellen solle, weil es darum gehe, die Gehaltsobergrenze zu umgehen.»
Leonard war neben unter anderem Rapper Drake sowie Schauspieler Robert Downey Jr. zwar nur eine von vielen berühmten Persönlichkeiten, die von Aspiration gesponsort wurden, doch wurde der Deal mit dem NBA-Star nie öffentlich gemacht. Ausserdem gibt es keine Videos, Social-Media-Posts oder ähnliches, in denen Leonard für das Unternehmen wirbt – obwohl er im Vergleich zu Drake und Co. deutlich mehr Geld kassierte.
Der Mann der wenigen Worte hatte eine Klausel in seinem Werbevertrag, die ihn berechtigte, «alle Inhalte sowie deren Verbreitung zu kontrollieren und genehmigen». Leonard musste also nichts tun, was er nicht wollte. Oder wie Torres anonyme Quelle sagt: «Er musste gar nichts tun.» Ausserdem hatte Aspiration das Recht, den Vertrag zu künden, «falls Leonard aus irgendeinem Grund nicht mehr bei den Clippers angestellt ist».
Sollte dieser Werbedeal tatsächlich dazu gedient haben, die Gehaltsobergrenze der NBA auszutricksen, wäre dies ein schwerwiegender Verstoss gegen die Grundsätze der Basketball-Liga, die durch das Begrenzen der Gehälter, die ein Team seinen Spielern bezahlen darf, für Chancengleichheit sorgen will. Kurz: Leonard und den Clippers wird Betrug vorgeworfen.
Was ist Aspiration und was haben die Clippers damit zu tun?
Aspiration wurde von Joe Sanberg und Andrei Cherny gegründet und bot «sozialverträgliche und nachhaltige Bankdienstleistungen und Anlageprodukte» an. Ausserdem versprach es, für jede aufgerundete Zahlung einen Baum zu pflanzen. Unter anderem die Schauspieler Leonardo DiCaprio, Orlando Bloom und Robert Downey Jr. sowie Model Cindy Crawford investierten in das Unternehmen. So wie Clippers-Besitzer Steve Ballmer.
Der frühere Microsoft-CEO, dessen Vermögen auf über 155 Milliarden Dollar (122 Mia. Franken) geschätzt wird, investierte im September 2021 50 Millionen Dollar (39 Mio. Franken) in Aspiration – Leonard kassierte später 48 Millionen in Form von Werbegeld und Aktien –, kurz darauf wurde das Unternehmen als Sponsor der Los Angeles Clippers und ihrer neuen Arena vorgestellt. 300 Millionen Dollar (236 Mio. Franken) solle Aspiration dafür bezahlen und die neue Spielstätte zur «nachhaltigsten Arena der Welt» machen, wie Ballmer sagte.
In der letzten Woche enthüllte Journalist Pablo Torre, dass auch Dennis Wong, Minderheitsaktionär bei den Clippers, zwei Millionen Dollar in Aspiration investiert habe. Neun Tage später flossen 1,75 Millionen Dollar an Kawhi Leonard. Zu dem Zeitpunkt stand es um die Digitalbank schon ziemlich schlecht. Am Tag der vierteljährlichen Überweisung an Leonard wurde ein Fünftel der Angestellten, rund 100 Leute, entlassen. «The Athletic» berichtete kürzlich, dass Ballmer im März 2023 dennoch weitere zehn Millionen Dollar in Aspiration investiert habe.
Und obwohl es gemäss einem der ehemaligen Mitarbeiter einen Zahlungsstopp gegeben habe und sich die Angestellten gefragt haben, ob sie ihre Löhne noch erhalten, wurde jemand immer bezahlt: Kawhi Leonard. Oder besser gesagt sein Onkel und Berater Dennis Robertson, der in diesem Fall eine spezielle Rolle spielt – mehr zu ihm gleich.
Im März 2025 meldete Aspiration Konkurs an, die Schulden wurden auf 170 Millionen Dollar beziffert. Mitgründer Sanberg bekannte sich im August des Betrugs schuldig. Gemäss der US-Staatsanwaltschaft habe er Investoren und Kreditgeber um 248 Millionen Dollar betrogen.
Welche Rolle spielt «Uncle Dennis»?
Dennis Robertson ist Kawhi Leonards Onkel und Berater. Als solcher ist «Uncle Dennis» in der NBA berüchtigt – und nicht unbedingt aus guten Gründen.
Schon 2019, als der damalige Finals-MVP und Champion Leonard neben seinem bisherigen Team Toronto auch mit den beiden Teams aus Los Angeles verhandelte, gab es Berichte über unlautere Forderungen. So habe Robertson unter anderem Anteile am Team, Zugang zu einem Privatjet, ein Haus und garantierte Werbeeinnahmen neben dem Spielfeld gefordert. ESPN fand nun heraus, dass «Uncle Dennis» dieselben Forderungen auch den Clippers stellte. Von den Toronto Raptors habe Robertson gemäss «Toronto Star» zudem Anteile an externen Unternehmen und Sponsoring-Verträge, bei denen Leonard für das Geld nichts tun müsste, verlangt.
Kawhi Leonard’s uncle, Dennis Robertson, reportedly wanted the Lakers to give him part ownership of the team, access to a private plane, a house, and guaranteed off-court endorsement money, per @Baxter
— NBACentral (@TheDunkCentral) September 17, 2025
“Acquiring George was one of several requests made by Leonard and his camp,… pic.twitter.com/mSbNqhMLJK
All diese Forderungen verstossen gegen die von der NBA und der Spielervereinigung abgemachten Regeln. Die Liga fand bei ihrer Untersuchung aber keine Beweise, dass die Clippers darauf eingegangen sind.
Wie reagierten Ballmer und die Clippers?
Vor Veröffentlichung seines Podcasts kontaktierte Pablo Torre auch die Los Angeles Clippers. Diese teilten ihm Folgendes mit:
Später wies die NBA-Franchise die Vorwürfe erneut zurück und erklärte: «Die Behauptung, dass Steve Ballmer in Aspiration investiert hat, um Geld an Kawhi Leonard zu schleusen, ist absurd.» Vielmehr habe Ballmer investiert, weil Aspiration versprach, «das Richtige für ihre Kunden zu tun und gleichzeitig die Umwelt zu schützen». Es sei nicht ungewöhnlich, dass Teamsponsoren mit Spielern individuelle Deals schliessen. Ballmer und das Team hätten keinen Einfluss auf die Einigung zwischen Leonard und Aspiration gehabt.
Ballmer richtete sich in einem ESPN-Interview selbst an die Öffentlichkeit und erklärte dort ebenfalls, nichts von Leonards Vertrag mit dem Unternehmen gewusst zu haben. Die Clippers hätten sich stets an die Regeln bezüglich der Gehaltsobergrenze gehalten, «weil es das Richtige ist». Über sein Investment in Aspiration sagte er:
Kawhi Leonard selbst äusserte sich bislang nicht zu den Vorwürfen.
Was macht die NBA?
Die NBA kündigte eine neue Untersuchung an. Commissioner Adam Silver erklärte, dass er «sehr weitreichende Befugnisse» habe, die Clippers und Leonard zu bestrafen, sagte aber auch, dass er ohne stichhaltige Beweise «nur ungern handeln» würde.
Gemäss der Einigung zwischen Liga und Spielern könnte Silver auch ohne klare Beweise für eine Beteiligung der Clippers oder Ballmers Strafen aussprechen. Dies zum Beispiel, sollte ein Spieler von einem Teamsponsor mehr Geld als marktüblich erhalten und damit mutmasslich für Basketball-Aktivitäten entlohnt werden, auch wenn es als Gehalt für Nicht-Basketball-Aktivitäten gekennzeichnet ist. Bei 28 Millionen Dollar fürs Nichtstun scheint dies gegeben zu sein. Silver sagte aber klar, dass ihm das ohne Beweise nicht reichen würde.
Am Dienstag sprach Silver erneut über die Untersuchung und versprach: «Wir werden der Sache auf den Grund gehen.»
Wie könnten die Strafen aussehen?
Es gibt in der NBA nur einen Präzedenzfall für die Umgehung der Gehaltsobergrenze: Joe Smith bei den Minnesota Timberwolves im Jahr 1999. Damals wurden dem Team Erstrundenpicks in fünf Drafts weggenommen, eine Busse von 3,5 Millionen Dollar aufgedrückt und sowohl der Besitzer als auch der General Manager gesperrt.
Damals gaben die Beteiligten ihr Fehlverhalten aber zu, was sie bisher von den Clippers unterscheidet. Sollte die NBA nun keine klaren Beweise finden, dass Ballmer, sein Team oder Leonard die Gehaltsobergrenze ausgetrickst haben, werden sie womöglich mehr oder weniger ungeschoren davonkommen. Ansonsten drohen aber drastische Strafen.
«The Athletic» listete auf, welche Strafen Commissioner Silver aussprechen könnte:
- Die Clippers mit bis zu 7,5 Millionen Dollar büssen
- Kawhi Leonard mit bis zu 350'000 Dollar büssen
- Draftpicks der Los Angeles Clippers streichen
- Ballmer oder andere Clippers-Verantwortliche für maximal ein Jahr sperren und mit bis zu einer Million Dollar büssen
- Leonards Vertrag für ungültig erklären und ihm verbieten, erneut bei den Clippers zu unterschreiben
- Leonard dazu zwingen, das von Aspiration erhaltene Geld zurückzuzahlen
Die Clippers verfügen derzeit nur über fünf Erstrundenpicks, diese könnten sie alle verlieren, was das Team sicher schmerzen würde. Die Bussen bewegen sich für die Betroffenen hingegen eher im Bereich von Peanuts. Interessant wäre vor allem, wenn Leonards Vertrag für ungültig erklärt würde. Dies könnte den Clippers nämlich zum Vorteil gelangen, da der verletzungsanfällige Leonard viel zu selten spielen kann und das Team dessen eigentliches Gehalt dann anderweitig verwenden könnte. So muss sich die Liga in diesem Fall überlegen, ob das Gehalt in Höhe von 50 Millionen Dollar für die Obergrenze dennoch berücksichtigt wird.
Erst einmal gilt es aber, die Untersuchung abzuwarten. Die neue NBA-Saison beginnt am 22. Oktober. Bis mindestens dahin dürfte der seismische Effekt der Enthüllungen von Pablo Torre weiterhin zu spüren sein.
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