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Interview

Rad-WM in Ruanda: Wie sich das Schweizer Team auf Kigali vorbereitet hat

Muhanga, Rwanda, February 26, 2019: Stage 3 of Tour Du Rwanda cycling race in the city of Muhanga, Rwanda
Schnappschuss von der Ruanda-Rundfahrt.Bild: www.imago-images.de
Interview

Erste Rad-WM in Afrika – «In Italien würden sie sich solche Strassen wünschen»

Für den Schweizer Delegationsleiter Tino Eicher ist die erste Rad-WM in Afrika nicht nur ein sportliches, sondern auch ein logistisch-organisatorisches Abenteuer. So blickt er den Titelkämpfen in Ruanda entgegen.
18.09.2025, 11:0018.09.2025, 13:02
Dominik Moser / Keystone-SDA

Zum ersten Mal in der über hundertjährigen Geschichte finden die Rad-Weltmeisterschaften auf der Strasse auf dem afrikanischen Kontinent statt. Vom 21. bis 28. September 2025 trifft sich die Weltelite des Radsports in Kigali, der Hauptstadt Ruandas.

Tino Eicher, die Strassen-WM findet erstmals in Afrika statt – ein Schritt, der gelobt, aber auch kritisiert wurde. Wie stehen Sie zu diesem Entscheid?
Tino Eicher: Ich habe mich ehrlich gesagt sehr gefreut. Es ist eine echte Herausforderung, aber auch eine Chance. Ruanda ist ein Land mit einer radsportbegeisterten Bevölkerung, das merkt man sofort. Dass die WM diesmal nicht in einem klassischen Radsportland wie Belgien, Frankreich oder Italien stattfindet, sondern zum ersten Mal auf dem afrikanischen Kontinent, finde ich spannend und erfrischend. Natürlich gibt es auch politische Aspekte, wie bei jedem Grossanlass, aber aus sportlicher Sicht überwiegt für mich klar die Freude.

Wie haben Sie und Ihr Team sich auf eine WM in Afrika vorbereitet? Was war diesmal anders?
Die logistische Planung ist deutlich komplexer. Während wir in den beiden Jahren zuvor in Glasgow und Zürich alles per Landweg transportieren konnten, muss in diesem Fall alles geflogen werden, mit entsprechenden Gewichtslimiten und engen Zeitplänen. Das bedeutet: präzise Koordination, hohe Kosten und viele Unwägbarkeiten.

Hinzu kommt, dass wir zu Beginn kaum wussten, was uns vor Ort erwartet: Wie ist der Hotelstandard? Wie läuft die Zollabfertigung? Gibt es sauberes Trinkwasser, wie ist das Essen? Dazu kommen klimatische Bedingungen wie Hitze, Höhenlage und bei Regen auch sehr rutschiger Asphalt. Es gab und gibt viele kleinere und grössere Unsicherheiten, mit denen wir umgehen müssen.

Tino Eicher von Swiss Cycling
Tino Eicher.Bild: Swiss Cycling

Sie waren im vergangenen Herbst zu dritt von Swiss Cycling bereits nach Kigali gereist, um zu rekognoszieren. Welche Eindrücke haben Sie dabei gewonnen?
Sehr positive. Die Strassen sind in ausgezeichnetem Zustand. Wir haben in der ganzen Stadt kein einziges Schlagloch gesehen. Ich wage zu sagen: In Italien würden sie sich solche Strassenverhältnisse wünschen. Auch die Hotels sind top, auf westlichem Standard. Die Stadt ist extrem sauber. Es gibt ein Plastiktütenverbot, und einmal im Monat müssen alle Bürger beim Strassenputzen helfen. Die Menschen sind sehr freundlich, hilfsbereit und der Radsport ist wirklich präsent. Das hat unsere Vorfreude nur noch gesteigert.

Gab es besondere Punkte, auf die Sie im Vorfeld genau geachtet haben, zum Beispiel was die medizinische Versorgung, Sicherheit oder Ernährung betrifft?
Ja, vor allem beim Thema Gesundheit haben wir gemeinsam mit unserem Ärzteteam klare Empfehlungen erarbeitet. Zwar sind keine Impfungen zwingend erforderlich, aber gewisse Prophylaxen werden empfohlen – auch was das Thema Malaria betrifft. Die Meinungen dazu gehen allerdings auseinander, auch innerhalb anderer Nationen.

Zusätzlich nehmen wir einen eigenen Koch mit, der mit der Hotelküche zusammenarbeitet. Das Essen war bei unserem Besuch sehr gut und verträglich. Wir haben auch entsprechende Medikamente im Gepäck, sicher mehr als bei einer WM in Europa, um auf alles vorbereitet zu sein.

epa12241406 Swiss rider Mauro Schmid of Team Jayco AlUla looks on after finishing second in the 11th stage of the Tour de France cycling race over 156.8km around Toulouse, France, 16 July 2025. EPA/CH ...
Landesmeister Mauro Schmid ist einer der Schweizer im Strassenrennen.Bild: keystone

Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, dass die WM erstmals auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet? Ist das Symbolpolitik oder ein echter Schritt?
Ich glaube, es ist ein bedeutender Schritt für den Radsport. Für Ruanda und ganz Afrika ist das ein riesiger Anlass – vermutlich das grösste Sportereignis seit der Fussball-WM 2010 in Südafrika. Und auch wenn wir in Europa nun einmalig höhere Kosten und mehr Aufwand haben, der afrikanische Kontinent war 100 Jahre lang nie WM-Gastgeber. Viele afrikanische Teams konnten früher nicht einmal teilnehmen, weil sie keine Visa bekamen. Deshalb finde ich, dass es uns nicht zusteht, uns jetzt zu beklagen. Wir sollten diese WM als Chance und als Zeichen der Öffnung begreifen und unsere Rolle als etablierte Radsportnation auch mit einem gewissen Verantwortungsbewusstsein wahrnehmen.

Für die Menschen vor Ort ist diese WM enorm bedeutend. Wenn Topstars wie Tadej Pogacar nach Kigali reisen, ist das für die Bevölkerung ein Riesending. Ich bin überzeugt, dass es ein Volksfest wird, und dass es junge Menschen inspirieren kann, mit dem Radsport zu beginnen, auch unter einem sportlichen Aspekt. Viele nutzen das Velo ja ohnehin schon als alltägliches Transportmittel.

Welche Erwartungen haben Sie an diese WM?
Meine Hauptverantwortung liegt im Organisatorischen. Mein Ziel ist es, dem Team optimale Rahmenbedingungen zu bieten, damit es die bestmögliche Leistung abrufen kann. Aus sportlicher Sicht hoffe ich natürlich, dass wir die eine oder andere Medaille holen können. Ich denke, wir haben einige gute Trümpfe, sowohl im Nachwuchs als auch bei der Elite.

Unabhängig vom Resultat wünsche ich mir vor allem, dass starke Bilder aus Kigali um die Welt gehen – Bilder eines reibungslosen Anlasses mit grosser Begeisterung. Die Stimmung wird mit Sicherheit aussergewöhnlich. Man kennt das ja von den eritreischen Fans: Wenn Biniam Girmay startet, ist an der Strecke richtig etwas los. Ich erwarte ein echtes Velofest.

Worauf freuen Sie sich persönlich am meisten?
Wenn das gesamte Material heil angekommen ist und wir startklar sind, freue ich mich besonders auf den Moment, wenn ich im Rennen mit dem Begleitauto durch die gesäumten Strassen fahre und die erwartungsvoll aufgeladene Stimmung in der Stadt aufsaugen kann. Vor allem der gepflasterte Anstieg kurz vor dem Ziel wird sicher für Gänsehautmomente sorgen. Darauf freue ich mich sehr.

Chancen und Risiken

Die Strassen-WM 2025 in Ruanda ist ein sportlicher Meilenstein und ein politischer Balanceakt. Die Premiere auf afrikanischem Boden eröffnet Chancen und birgt zugleich Risiken.

Kigali bringt vieles mit: Eine topografisch anspruchsvolle Strecke, grosse Radsportbegeisterung in der Bevölkerung und ein Land, das sich mit der mittlerweile etablierten Tour du Rwanda sowie gezielten Nachwuchsprogrammen längst auf die internationale Radsport-Bühne vorgearbeitet hat. Ruanda will sich als Gastgeber von Weltniveau präsentieren, nicht zuletzt auch als afrikanisches Erfolgsmodell. Das Land, das 1994 durch einen verheerenden Völkermord erschüttert wurde, hat seither einen rasanten Wandel durchlaufen, den es nun auch international sichtbar machen will. Für den globalen Radsport könnte das ein wichtiges Signal sein.

Doch genau dieser politische Kontext macht die WM heikel. Präsident Paul Kagame, seit fast 25 Jahren an der Macht, regiert das Land autoritär. Menschenrechtsorganisationen kritisieren Repressionen gegen Opposition, Medien und Zivilgesellschaft. Im Vorfeld der WM forderte sogar der Europarat die UCI dazu auf, dem Land die Austragung zu entziehen – mit Verweis auf die ungenügende Menschenrechtslage und die Einmischung am militärischen Konflikt in Kongo-Kinshasa. Der Vorwurf: Die WM drohe, das Image eines repressiven Regimes aufzupolieren, also ein klassischer Fall von sogenanntem «Sportswashing», der gezielten Nutzung sportlicher Grossereignisse, um von innenpolitischer Repression oder geopolitischen Konflikten abzulenken.

Die zentrale Frage lautet: Wer profitiert langfristig von dieser WM? Der afrikanische Radsport? Junge Talente? Das Image des Gastgeberlandes? Oder vor allem die UCI, die sich als globaler Player inszenieren will und dafür politische Kompromisse eingeht? Eine ähnliche Debatte gab es bereits bei der Rad-WM 2016 in Katar. Auch dort wurde eine neue Region erschlossen. Was blieb, waren extreme Temperaturen, ausbleibende Zuschauer und kaum nachhaltige Effekte.

Doch diesmal ist die Ausgangslage eine andere. Während die letztjährige WM in Zürich im Vorfeld von Einsprachen und Anwohnerprotesten geprägt war, dürfte Kigali die Radstars mit offenen Armen empfangen. Die Frage bleibt, wie nachhaltig dieser Schwung für den afrikanischen Radsport sein wird. Und ob die Begeisterung auf sportlicher Ebene weitergetragen werden kann.

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quelle: keystone / michele limna
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