An der eigenen Dreierlinie erhält Caitlin Clark von ihrer Mitspielerin den Ball, in der Vorwärtsbewegung prellt sie diesen zweimal, steigt dann in die Luft und wirft. Obwohl sie noch weit hinter der Dreierlinie steht, fliegt der Ball durch die Reuse. Natürlich, möchte man bei ihr sagen. Schon einige Male hat die Basketballerin bewiesen, dass sie auch aus grosser Distanz eine sichere Schützin ist. Doch dieser Wurf ist ein besonderer.
Denn dank der drei Punkte ist Clark die Frau mit den meisten Zählern auf dem höchsten Niveau im College-Basketball. Wenige Wochen später übertrifft die 22-Jährige auch den legendären «Pistol Pete» Maravich. Mit derzeit 3830 Punkten ist sie also die beste Skorerin der Geschichte des College-Basketballs – egal, ob Frau oder Mann. Gleiches gilt für die meisten getroffenen Dreipunktewürfe in einer Saison, wo sie mit momentan 181 selbst NBA-Scharfschütze Stephen Curry übertroffen hat.
Doch auch abgesehen von ihren Skorerqualitäten ist Clark, die in Anlehnung an Maravich auch «Ponytail Pete» genannt wird, eine herausragende Spielerin. So brilliert sie mit 8,8 Assists pro Spiel auch als Passgeberin, wobei ihr hilft, dass sie lange Fussball gespielt hat. Während der Highschool hörte sie damit dann auf, um sich vollständig auf Basketball zu fokussieren. Und das hat sich ausgezahlt.
Dank ihrer Leistungen an der Universität des Bundesstaats Iowa, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, hat Clark mittlerweile eine eigene Cornflakes-Sorte sowie Verträge mit Unternehmen wie Nike oder Gatorade. Insgesamt soll sie 2024 damit rund 3,1 Millionen Dollar verdienen. Zum Vergleich: In ihrem ersten Profijahr in der WNBA – die aktuelle Saison ist Clarks vierte und letzte am College – wird ihr Gehalt rund 75'000 Dollar betragen.
Clark ist aber bei weitem nicht die einzige Profiteurin von der grossen Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwird. Der gesamte College-Basketball der Frauen erfreut sich derzeit eines Hypes. Wo sie mit den Iowa Hawkeyes spielt, sind die Hallen voll, oftmals gar ausverkauft. Der neue Fernsehvertrag, den der College-Verband NCAA mit Sender ESPN unterschrieben hat, rechnet dem derzeit laufenden Abschlussturnier der Studentinnen in Zukunft einen Wert von jährlich 65 Millionen Dollar zu. Im bisher gültigen Vertrag war es noch ein Zehntel davon. Daran haben auch Spielerinnen wie Angel Reese, Paige Bueckers oder Juju Watkins einen Anteil, doch ist Caitlin Clark das grösste Zugpferd.
Fast schon bezeichnend ist jedoch, wie Clark und Reese erstmals der ganz grossen Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Trotz der brillanten Leistungen dieser beiden Athletinnen reichte der Sport dafür alleine nicht. Es war schon eine Kontroverse nötig. Diese ereignete sich im letzten April am Ende des Finals von «March Madness», dem viel beachteten Abschlussturnier im College-Basketball.
Dort traf Clark mit Iowa auf Angel Reese und die Louisiana State University (LSU). Als feststand, dass sich LSU durchsetzen würde, verhöhnte Reese ihre Gegenspielerin mit einer Geste, welche Clark in einem früheren Spiel gezeigt hatte. Ausserdem zeigte Reese auf ihren Ringfinger, um zu signalisieren, dass dort bald der im US-Sport übliche Championship-Ring hinkommen wird. Anders als bei Clark zuvor, prasselte nun eine Menge Kritik auf Reese ein.
ANGEL REESE HIT CAITLIN CLARK WITH THE "YOU CAN'T SEE ME" 👀 pic.twitter.com/Zj3mqIzkk9
— ESPN (@espn) April 2, 2023
Es entstand eine Debatte darüber, ob die unterschiedlichen Reaktionen womöglich mit der unterschiedlichen Hautfarbe der beiden Athletinnen zusammenhängen könnte. So sagte Reese: «Wenn andere so etwas tun, sagt ihr nichts. Aber ich bin dann gleich zu ghetto.» Clark sprang ihr öffentlich zur Seite, indem sie sagte: «Sie sollte dafür überhaupt nicht kritisiert werden.» Provokationen und Trashtalk seien Teil des Sports. «Männer tun es ja auch immer», sagte Clark und fügte an: «Auch Frauen und Mädchen sollten mit diesen Emotionen spielen dürfen und das auch tun. Denn das macht den Sport attraktiver.»
Gleichzeitig erklärte Clark: «Ich habe nichts als Respekt für sie und bin ein grosser Fan.» So nahm sie auch jenen den Wind aus den Segeln, welche aus der Rivalität zwischen dem Iowa-Guard und Reese mehr machen wollten, als es ist. Reese erklärte gegenüber Women's Health später ebenfalls: «Ich finde es super, dass wir konkurrieren können, aber uns danach trotzdem verstehen – trotz der vielen Nebengeräusche.»
Dass Clark das richtige Mass an Konkurrenzdenken hat und es in ihrem Ehrgeiz nicht übertreibt, war nicht immer so. Das musste ihr jüngerer Bruder feststellen, als er von Caitlin Clark beim Basketballspielen Kopf voran in eine Wand geschubst wurde und im Spital genäht werden musste. Da waren beide noch Kinder. Als Clark 13 war, erhielten ihre Eltern gemäss der Washington Post einen Anruf von der Mathematiklehrerin, die befand: «Caitlin muss sich entspannen.» Clark hatte in einem Test nur das zweitbeste Resultat der Klasse erzielt und war deshalb am Boden zerstört.
Es zeigt, dass Clark schon immer nur ein Ziel hatte: die Beste zu sein. Das war sie schon als Mädchen, als sie noch in einer Liga für Jungen gespielt hatte. Viele Eltern der gegnerischen Spieler ärgerten sich darüber, dass Clark teilnehmen durfte – vor allem, weil die Teams ihrer Söhne meist unterlegen waren. Am Ende der Saison wurde Clark zum MVP, also der wertvollsten Spielerin, ausgezeichnet.
Am College konnte sie sich zu Beginn ebenfalls nicht immer zügeln. So nervte sie sich beispielsweise, wenn ihre Mitspielerinnen einen Fehler machten oder sie eine Entscheidung der Trainerin als falsch empfand. Noch heute lässt sie ihr Temperament manchmal durchblicken, wenn sie sich über die Schiedsrichter ärgert oder nach einem Fehlwurf laut flucht. «Ich werde wütend», gibt Clark zu und erklärt: «Es gibt Reaktionen in der Hitze des Gefechts, die auch mir nicht immer gefallen. Aber ich bin voller Leidenschaft in allem, was ich tue.»
Doch sie kann ihre Wut mittlerweile besser kanalisieren und wird dafür unter anderem von NBA-Star Kevin Durant gelobt: «Ihr Biss, gepaart mit ihren Fähigkeiten und ihrer Spielintelligenz, macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung.» Sie sei eine herausragende Spielerin, die aber auch eine kämpferische Seite an sich hat und «alles für ihr Team tut, weil sie nicht verlieren kann». Durant ist bei weitem nicht der Einzige, der in höchsten Tönen von Clark spricht.
Und wenn sie Rekorde bricht, schauen ihr nicht nur LeBron James, Steph Curry und Co. zu. Auch Stars wie der Rapper Travis Scott wollen dabei sein. Der extrem erfolgreiche Künstler bezeichnete Clark bei einem Besuch eines Spiels der Hawkeyes als «einen der grossartigsten Menschen der Geschichte».
"Caitlin Clark. She's one of the greatest humans of all time."
— NBC Sports (@NBCSports) March 3, 2024
Travis Scott (@trvisXX) was in Iowa City to see history. pic.twitter.com/qOybBBHzt1
Mittlerweile ist Clark der grösste Star im College-Basketball – auch grösser als die männlichen Teilnehmer am Abschlussturnier. Dieses geht an diesem Wochenende so langsam in die entscheidende Phase. Am heutigen Samstag (20.30 Uhr) trifft Iowa im Achtelfinal auf die Colorado Buffaloes, wo Clark und Co. erneut als Favorit gelten. Es ist die letzte Chance für das College-Phänomen doch noch den begehrten Titel bei der «March Madness» zu holen, nachdem sie in den letzten drei Saisons immerhin jeweils die Big 10 Conference gewann.
Ab Mai spielt Clark dann in der Profiliga WNBA – ihre Schatten wirft sie aber bereits voraus. Das Interesse an Tickets bei den Indiana Fever, die den ersten Pick im Draft haben, ist im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich gestiegen, seit Clark angekündigt hat, dass sie das College verlassen wird. Vielleicht führt sie dann auch die WNBA in neue Sphären.
Bei College Football kommt mir allerdings immer Cartman mit seinen Student Athletes in den Sinn 😆