Am Montag fiel das lang erwartete Urteil der NFL im Fall von Deshaun Watson: Der 26-Jährige wird für die ersten sechs Spiele der Saison 2022 gesperrt. Zu diesem Entscheid kam die Richterin Sue L. Robinson, die von der NFL und der Spielerorganisation NFLPA als Disziplinarkommissarin eingesetzt wurde. Watson sowie die NFLPA haben bereits verlauten lassen, das Urteil zu akzeptieren.
Watson spielt auf der Position des Quarterbacks in der American-Football-Liga NFL. Nach fünf Jahren bei den Houston Texans wurde er im März zu den Cleveland Browns getradet. Im Gegenzug bekam Houston mehrere Draft-Picks. Im Anschluss erhielt Watson einen Vertrag, der ihm über fünf Jahre fast 230 Millionen Dollar einbringen wird. So viel Geld wurde in der NFL noch nie einem Spieler zugesichert, meistens ist nur ein Teil des Lohns bereits bei Unterschrift garantiert.
Der Vertrag sorgte bei einigen Fans für Kritik und Unverständnis. Wurde Watson doch der sexuellen Belästigung in mehreren Fällen beschuldigt. Die erste Klage wurde im März 2021 eingereicht, seither absolvierte Watson kein Spiel mehr. Gemäss der Klagen soll Watson bei Massagen zwei Frauen zu Oralsex gezwungen, auf drei Masseurinnen ejakuliert, vier Frauen begrapscht und eine ungefragt geküsst haben, wie «The Athletic» schreibt. Zudem soll er mehrere Masseurinnen mit seinem Penis berührt haben.
Zwar hatte ein texanisches Gericht entschieden, keine Strafanzeige zu erstatten, doch blieben die Anklagen der 22 Frauen weiterhin offen. Kurz darauf unterschrieb Watson seinen neuen Vertrag. Zwei der Klägerinnen äusserten sich daraufhin in einem Interview mit HBO. Sie seien «entsetzt». «Es fühlt sich an wie ein grosses ‹Ihr könnt uns mal›. Als würde es sie nicht interessieren, Hauptsache, er kann rennen und werfen.»
Anfang Juni kamen Klagen von zwei weiteren Frauen hinzu. Auch sie seien von Watson belästigt worden. Eine Recherche der «New York Times» ergab, dass der Quarterback in den 17 Monaten zwischen Herbst 2019 und Frühling 2021 mindestens 66 verschiedene Frauen für Massagen anheuerte. Davon haben Watson 24 Frauen angeklagt. Drei weitere haben Vorwürfe erhoben, ohne den Football-Star anzuklagen, und 15 dieser Frauen unterstützten Watson auf Anfrage seiner Anwälte öffentlich. Er habe sich ihnen gegenüber während der Massagen korrekt verhalten.
Die Recherchen der US-Zeitung zeigten aber auch, dass die Texans, Watsons damaliges Team, zumindest davon wussten, dass ihr Spieler Massagen von Frauen erhielt, die nicht beim Verein angestellt waren. Zudem sollen sie ihm eine Geheimhaltungsvereinbarung zur Verfügung gestellt haben, die Watson den Masseurinnen zur Unterschrift vorlegen konnte. Einige der Massagen hätten auch in Räumlichkeiten stattgefunden, welche die Texans für Watson organisiert hätten.
Watson dementierte die Aussagen der «New York Times» und sagte auch: «Ich habe nie jemanden angegriffen, respektlos behandelt oder belästigt.» Wenig später einigte er sich mit 20 der Klägerinnen aussergerichtlich. Nach der Veröffentlichung der Recherchen wurden auch die Houston Texans angeklagt. Im Rahmen einer aussergerichtlichen Einigung bezahlte die Organisation einen unbekannten Betrag an 30 Frauen.
Seit Montag ist nun das Urteil der NFL bekannt. Vier Klagen bleiben jedoch aktiv. Finanziell ist dies für Watson kein grosser Verlust: Weil sein Gehalt in diesem Jahr «nur» eine Million Dollar beträgt, muss er auf 345'000 Dollar verzichten. Das Handgeld von 45 Millionen Dollar erhält er trotzdem. Es ist davon auszugehen, dass der Vertrag in Hinsicht auf eine mögliche Sperre so ausgehandelt wurde. Ab der nächsten Saison beträgt das Gehalt Watsons gemäss Spotrac nämlich 46 Millionen Dollar.
Die Reaktionen auf die Sechs-Spiele-Sperre fielen unterschiedlich aus. Jimmy und Dee Haslam, das Besitzerpaar der Browns, schreibt in einem Statement: «Wir respektieren die Entscheidung von Richterin Robinson.» Trainer Kevin Stefanski hielt sich ebenfalls zurück: «Wir haben versucht, mit den Informationen zu operieren, die wir hatten. Ich lasse Deshaun zu gegebener Zeit lieber selbst darüber sprechen.»
Eine Aussage von John Harbaugh, dem Trainer von Cleveland-Rivale Baltimore, lässt hingegen tief blicken: «Ich habe eine klare Meinung dazu, nur kann ich diese noch nicht preisgeben.» Zudem bedankte er sich bei den Verantwortlichen des Teams für die «Null-Toleranz-Policy», die in Baltimore bei solchen Themen herrsche.
In den sozialen Medien kam zudem der Vergleich mit Calvin Ridley auf. Der Wide Receiver von den Atlanta Falcons wurde für die gesamte Saison gesperrt, weil er Wetten auf sein Team platziert hatte, während er gar nicht spielte. Die Frage nach der Verhältnismässigkeit kam immer wieder auf.
Calvin Ridley was suspended an entire season for gambling $1500 on NFL parlays. Deshaun Watson got six games for 30 women accusing him of sexual assault.
— Clay Travis (@ClayTravis) August 1, 2022
Richterin Robinson begründete ihren Entscheid damit, dass Watson die «Policy zu persönlichem Verhalten» der NFL in drei Punkten verletzt habe:
Dass die Strafe nicht höher ausfällt, liegt unter anderem daran, dass Robinson bei Watson kein gewalttätiges Vorgehen erkennen konnte. Zudem habe die NFL ihre Policy erst festgeschrieben, nachdem Watson die Vergehen angeblich begangen hatte. «Es ist unfair, gewisses Verhalten nachträglich zu verbieten», schreibt Robinson. Während Watson und sein Team das Urteil bereits akzeptiert haben, hat NFL-Commissioner Roger Goodell noch bis Donnerstag Zeit, um dieses anzufechten.