Auf den allerletzten Metern denkt er an all die Opfer die er erbracht hat, an die vielen Stunden im Wasser, an die Menschen, die ihn unterstützt haben. «Das hier war mein Ziel, die Mission ist erfüllt», sagt Roman Mityukov. Der Genfer gewinnt in Paris über 200 Meter Rücken Bronze und als erst vierter Schweizer Schwimmer eine Medaille bei Olympischen Spielen.
Vor ihm war das erst den Genfern Etienne Dagon 1984 in Los Angeles, und Jérémy Desplanches 2021 in Tokio sowie dem Tessiner Noè Ponti, ebenfalls vor drei Jahren in Japan, gelungen. Auch sie waren jeweils Dritte geworden. Gold geht an den Ungar Hubert Kos, Silber an den Griechen Apostolos Christou.
Roman Mityukov gilt als Perfektionist, der nie zufrieden ist. Sein Start? Eine Schwäche. Die Wenden? Da habe er Luft nach oben. Dazu habe er Schwierigkeiten, die Bahn zu halten, sagt er nach dem Halbfinal. Dabei war er dort die zweitschnellste Zeit aller Finalisten geschwommen. 25 bis 30 Stunden trainiert der 24-Jährige in der Woche. Er sagt: «Wenn es hart ist, denkst du, du stirbst und es geht nur noch ums nackte Überleben. Man muss diesen Sport lieben, um dieses Niveau zu erreichen.»
Schon in Tokio war Roman Mityukov Sechster geworden. Dass er 2022 bei den Europameisterschaften in Rom gleich dreimal Vierter geworden war, bezeichnete der 24-Jährige als «Albtraum», der ihn lange verfolgt habe. Und zugleich als Ansporn. In Paris wollte er nicht wieder ohne Medaille abreisen. 2023 gewann er WM-Bronze, 2024 in Doha Silber, mitten in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. Nur 0,10 Sekunden fehlten ihm dort zu Gold. «Ich bin nicht stolz, aber zufrieden», sagte er danach.
Eine Medaille in Paris wird zur Obsession. Im Vorlauf schwimmt er Bestzeit, dann gewinnt er seinen Halbfinal, schwimmt die zweitbeste Zeit aller Finalisten. In der Nacht vor dem Final findet Mityukov keinen Schlaf. «Es war schrecklich. Ich konnte nur noch an diesen Final denken. Daran, wie es sein würde, wieder nur Vierter zu werden. Oder eine Medaille zu gewinnen.» Am Ende will er nur noch schwimmen, «damit es vorbei ist». Es sei nicht der beste Tag seines Lebens, aber der beste Abend, das schon.
Danach gefragt, wie er sich nun fühle, jetzt, da das Ziel erreicht ist, sagt er: «Erleichtert. Einfach nur erleichtert.» Und ja, auch stolz. «Ich bin sehr stolz auf mich.» Das sind ungewohnt joviale Worte für einen, der von sich selbst sagt, er sei «unglaublich hart» zu sich selbst. Im Schwimmen gebe es keine Geheimrezepte, keine Magie. «Es geht um harte Arbeit. Um den Willen, besser zu werden.» Die Trainings seien zuweilen schrecklich gewesen. «Aber ich wusste, warum ich es mache.» Für eine Medaille in Paris.
Wie es der Name verrät, hat Mityukov russische Wurzeln. Der Vater ist Russe, die Mutter Usbeken. Kennengelernt hatten sie sich in der Ukraine. Vor 35 Jahren emigrierten sie nach Genf. Erst 2018 erhält Mityukov den Schweizer Pass. Mit fünf Jahren schwimmt er zum ersten Mal, mit knapp neun bestreitet er sein erstes Rennen. Gegen die Leichtathletik und fürs Schwimmen entscheidet er sich nur, weil er dort mehr Freunde hat. Auch seine jüngere Schwester und sein älterer Bruder betrieben den Sport.
Mit Wasser macht Mityukov nicht nur gute Erfahrungen. Bruder Anton verletzt sich bei einem Sprung in den Genfersee schwer. Zwar ist er nicht vollständig gelähmt, kann Auto fahren und ein wenig gehen, sitzt aber im Rollstuhl. «Er sagt, dass er heute glücklicher sei als davor», erzählte Mityukov der Zeitschrift «L'Illustré». «Er hätte aufgeben können, doch er hat sein Leben in die Hände genommen.» Anton, der Rollstuhl-Rugby spielt, sei eine Inspiration für ihn. Und ja: «Ich bin sehr stolz auf ihn.»
Auch im Olympia-Final, dem Rennen, auf das er sein Leben ausgerichtet hatte, schwimmt er, wie er das zuletzt immer tat. Und auch so, wie er als Mensch ist. Sich nicht in den Vordergrund stellen, zurückhaltend, bescheiden, vielleicht auch etwas knorrig. Bei der ersten Wende ist er Sechster, bei der zweiten Vierter, bei der letzten nur Fünfter. Erst dann, als es zählt, liegt Mityukov im dritten Rang: im Ziel. 0,53 Sekunden vor dem vierten Rang, den sie in der Romandie «Medaille en Chocolat» nennen.
Viele Schweizer Schwimmer suchten ihr Glück im Ausland, zogen wie Noè Ponti in die USA. Auch um Mityukov bemühten sich Universitäten. Doch für ihn kam das nie infrage. Seit seiner Kindheit lebt und trainiert er in Genf. Mityukov sagt: «Es bringt nichts, ins Ausland zu gehen, wenn man hier alles hat, um Erfolg zu haben.» Hier würden seine Familie und seine Freunde leben. Genf sei der Ort, wo alles für ihn stimme.
Am Donnerstag, 1. August 2024, am Schweizer Nationalfeiertag, zeigt Roman Mityukov, wie richtig er damit lag. Als er nach 1:54,85 Minuten als Dritter anschlägt und seine erste Olympia-Medaille gewinnt.