Mit 20 Olympiasiegen und insgesamt 71 Medaillen belegte das Russische Olympische Komitee (ROC) vor drei Jahren in Tokio den fünften Platz im Medaillenspiegels. Dass die Russen antreten durften, wenn auch ohne Flagge und Hymne, war schon damals umstritten. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), das sich so gerne von der profanen Politik fernhalten möchte, tut sich beim Umgang mit Russland schon seit einem Jahrzehnt äusserst schwer.
Ohne Konsequenz, zu willfährig gegenüber der autokratisch regierten Grossmacht, wie ein Blatt im Wind, das immer wieder die Richtung wechselt – das IOC hat nie eine Linie gefunden, um angemessen auf das Staatsdoping Russlands und dessen Angriff auf die Ukraine zu reagieren.
Im Februar 2014 herrscht noch eitel Sonnenschein. In Sotschi am Schwarzen Meer richtet Russland die teuersten Winterspiele der Geschichte aus. Natürlich ist Russland mit 30 Medaillen, darunter 11 aus Gold, der Dominator. Nur wenige Tage nach der Schlussfeier annektiert Russland die Halbinsel Krim – nur etwa 500 Kilometer von Sotschi entfernt – und schickt Waffen an die Separatisten in der Donbass-Region. Grund ist der Sturz der Russland freundlich gesinnten Regierung in Kiew.
Für den Sport bedeutsamer ist aber die Aufdeckung eines gross angelegten, staatlich organisierten Dopingprogramms in Russland. Dopingproben wurden im Labor in Moskau systematisch manipuliert. Gemäss einer Untersuchung betraf das Programm von 2011 bis 2015 nicht weniger als 30 Sportarten; es wurde unter anderem vom Geheimdienst FSB orchestriert.
Russland streitet die Vorwürfe bis heute ab. Doch kurz nach den Enthüllungen sterben zwei ehemalige Verantwortliche unter mysteriösen Umständen. Der ehemalige Direktor des Moskauer Doping-Testlabors, Grigori Rodtschenkow, flieht in die USA und bestätigt das Programm.
Davon unbeeindruckt, darf sich Russland als Ausrichter der Fussball-WM 2018 noch einmal auf der grossen Weltbühne präsentieren. Bei den Olympischen Spielen 2018, 2021 und 2022 müssen die Russen allerdings ohne Hymne und Flagge antreten, tun dies aber mit einigem Erfolg. Sehr zum Missfallen vieler Konkurrenten.
Nur vier Tage nach dem Ende der Winterspiele in Peking marschiert Wladimir Putins Armee in die Ukraine ein - und stellt die Sportwelt vor ein erneutes Dilemma. Die Frage lautet wie schon nach dem Dopingskandal: Dürfen einzelne Sportler, die sich vielleicht persönlich nichts zuschulden kommen lassen, für ihre Nationalität bestraft werden? Wäre es fair, Leute wie die Hochspringerin Maria Lassizkene, die das Staatsdoping stets angeprangert hat, oder die Tennisspielerin Daria Kassatkina, die Putin öffentlich kritisiert hat und derzeit nicht mehr in ihr Land zurückkehren kann, zu bestrafen?
Im Westen lautet die Antwort in weiten Kreisen: Ja. Im Rest der Welt, wo viele andere Konflikte schwelen, sieht man das nicht so eindeutig. So entsteht ein eigentlicher Flickenteppich. In einigen Sportarten wie zum Beispiel der Leichtathletik werden russische (und oft auch belarussische) Sportlerinnen und Sportler komplett ausgeschlossen. In anderen wie Tennis dürfen sie ohne grössere Einschränkungen unter neutraler Flagge spielen.
So werden in Paris nur gerade 15 russische Athletinnen und Athleten – fast die Hälfte von ihnen Tennisspieler – am Start stehen. Eine Kommission sollte sicherstellen, dass sie den Krieg in der Ukraine nie öffentlich unterstützt haben und keiner Militär- oder staatlichen Sicherheitsorganisation angehören. Russland kritisiert diese Vorgaben als diskriminierend und wirft dem IOC vor, «in Rassismus und Neonazismus abgerutscht zu sein». Im Judo oder Ringen verzichten sämtliche Russen aus freien Stücken.
Die Ukraine wiederum drohte ursprünglich, die Spiele boykottieren zu wollen, falls russische Sportler teilnehmen dürfen. Nun wird sie aber voraussichtlich mit 140 Männern und Frauen dabei sein, mit rund zehn Prozent weniger Athletinnen und Athletin als in Tokio. Für das IOC aber bleibt der Krieg ein Thema, bei dem es nicht gewinnen kann – egal, wie es sich entscheidet. (ram/sda)
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