Das Rennen um den Meistertitel in der Premier League geht langsam, aber sicher in die entscheidende Phase. Aston Villa auf Platz fünf und Liverpool auf Platz eins trennen acht Punkte (Stand heute). Manchester City liegt mit einem Spiel weniger zwei Punkte hinter dem Leader – die Chancen, dass die Nordengländer den Titel zum sechsten Mal innerhalb von sieben Jahren gewinnen, sind also durchaus intakt. Ganz zufrieden waren die Fans mit der Vorrunde der «Cityzens» dennoch nicht, auch angesichts des frühen Ausscheidens in der dritten Runde des League Cup gegen Newcastle.
So wurden auf der Insel auch Stimmen laut, die der Meinung waren, dass sich das Team aus Nordengland in der Winter-Transferperiode entscheidend verstärken müsse, um konkurrenzfähig zu bleiben – auch weil im Sommer mit Gündogan und Mahrez zwei wichtige Puzzleteile des Erfolgs den Klub verlassen hatten. Kevin de Bruynes Rückkehr Anfang Jahr könnte sich für City aber als wichtiger herausstellen als jeder Transfer. Denn er ist ein Spieler, der – um es in Guardiolas Worten auszudrücken – «aus eigener Kraft den Sieg erringen kann».
Bereits im Champions-League-Final im Juni letzten Jahres, als Manchester City mit dem Sieg über Inter Mailand die letzte Lücke im Palmares schliessen konnte, musste Kevin de Bruyne verletzungsbedingt ausgewechselt werden. Die Verletzung kam nicht von heute auf morgen – bereits seit mehreren Jahren plagten den Belgier muskuläre Probleme, die immer wieder dazu führten, dass er Partien auslassen musste. Zeit, um diese vollständig ausheilen zu lassen, gab es im dichtgedrängten Zeitplan des Profifussballers nicht.
De Bruyne entschied sich schliesslich zu einer Operation. «Es ist wichtig, dass ich diese Verletzung zu 100 Prozent auskuriere», meinte er gegenüber dem Independent. «Meine Oberschenkelmuskeln hätten jederzeit reissen können, sie waren wie ein nasses Küchenhandtuch. Letztendlich habe ich nach 700 Spielen eine grosse Wartung durchführen lassen, so wie man es mit seinem Auto macht.» Und so kam es, dass Manchester City praktisch die gesamte erste Saisonhälfte ohne seinen Regisseur im Mittelfeld auskommen musste.
Wie lange der 32-Jährige ausfallen würde, war zu Beginn unklar, auch weil der gewissermassen «präventive» Eingriff, der beim Belgier durchgeführt wurde, eher selten ist. Und so wurde bereits gemunkelt, dass de Bruynes Tage in Manchester City, je nachdem, wie lange er für eine vollständige Genesung brauchen wird, gezählt seien. Der Mittelfeldspieler wurde gar mit dem Saudi-Klub Al-Nassr in Verbindung gebracht – und drohte in der Liga parkiert zu werden, in der alternde Fussballstars gerne ihren Karriereherbst geniessen.
Anfang Jahr war es dann so weit – am 7. Januar gab die neu geölte Maschine de Bruyne ihr Comeback mit Manchester City im FA Cup gegen Huddersfield. Sein erstes Premier-League-Spiel bestritt er dann eine Woche später gegen Newcastle. Nach seiner Einwechslung in der 69. Minute brauchte er gerade mal fünf Minuten, um für sein Team den Ausgleich zu erzielen. Aus einer Distanz von 20 Metern zirkelte er den Ball durch die Beine eines Gegenspielers ins linke Eck. Und der Belgier hatte noch nicht genug. In der Nachspielzeit lobte er den Ball punktgenau in den Sechzehner auf den jungen Norweger Oscar Bobb, der die Vorlage verwertete.
Seit seiner Rückkehr hat de Bruyne nun sieben Spiele bestritten. Anlaufzeit brauchte er keine – mit einer Bilanz von zwei Toren und sieben Assists scheint er nahtlos an die Zeit vor der Verletzung anknüpfen zu können. Im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals gegen Kopenhagen legte er schliesslich noch eine Schippe obendrauf. Mit zwei Assists und einem Tor führte er sein Team zum Sieg.
De Bruyne sei «schlanker, fitter und stärker» als je zuvor, so das Verdikt der Daily Mail. Die Zeit abseits des Fussballplatzes scheint dem Belgier gut bekommen zu sein – weil er seinem Körper endlich die Zeit gönnte, zu heilen.
De Bruyne erobert den Ball im vorderen Drittel des Spielfelds, zieht in Richtung Sechzehner, seine Mitspieler sprinten los und bringen sich in Position, de Bruyne spielt einen festen Pass mit einem leichten Bogen in Richtung des langen Pfostens, Tor. Ein Spielzug, der im Spiel von Manchester City oft zu sehen ist.
Selbst wenn es von aussen betrachtet wahrscheinlicher scheint, mit einem Schuss aufs Tor erfolgreich zu sein, als mit einem Pass in den Strafraum, entschliesst sich de Bruyne zuweilen für den Pass. Und oft behält er mit seiner Entscheidung, die er in Sekundenbruchteilen trifft, recht. Mit dieser Voraussicht und seiner Fähigkeit, den Spielzug bereits zu Ende zu denken, bevor er überhaupt initiiert wurde, sorgt er als Weichensteller immer wieder für Überraschungsmomente – und wird zum Zünglein an der perfekt ausbalancierten City-Waage.
De Bruyne ist schon länger bei Manchester City als Pep Guardiola und verkörpert den Aufstieg des Teams aus dem Norden wie kein zweiter Spieler. Neben anderen, schillernden Figuren des Weltfussballs wirkt Kevin de Bruyne zuweilen unauffällig, gar schüchtern. Und manchmal blitzt er hinter der Fassade des abgeklärten Mittelfeldstrategen noch immer auf, der wortkarge Junge, der in seiner Zeit in der Fussballakademie bei einer Pflegefamilie wohnen musste, die ihn schliesslich wegschickte, weil er «zu ruhig und zu schwierig» sei.
2019 sagte de Bruyne gegenüber Player's Tribune über diese Zeit: «Ich war schon immer sehr ruhig, extrem schüchtern. Ich hatte nicht viele enge Freunde. Die Art, wie ich mich ausgedrückt habe, war durch den Fussball – und ich war damit sehr zufrieden.» Und wie er sich über den Fussball ausdrückt, ist einzigartig. Im Hinblick auf das enge Rennen, das sich an der Spitze der Premier-League-Tabelle abzeichnet, könnte die Rückkehr von Kevin de Bruyne für Manchester City der entscheidende Faktor sein.