Wozu nach diesem Spiel Fragen stellen? Die Antworten sind eh schon klar. Tatsächlich sagen die Spieler nach der Niederlage gegen Tschechien (1:2 n.P) genau das, was die Fragesteller erwartet haben: Das Wort «bitter» fällt mehrmals. Dann heisst es, man habe gekämpft, gut mitgehalten. Aber man müsse präziser und schneller spielen. Damit man sich auf dem letzten Meter vor dem gegnerischen Tor durchsetzen könne.
Viel mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Niemand hat sich etwas zuschulden kommen lassen. Es gibt keine Sündenböcke zu benennen. Keine Krise ist im Anzug. Keine Polemik zieht herauf.
Die Schweizer haben in zwei Partien plus fünf Anläufen im Penalty-Schiessen ein einziges Tor erzielt: Das 1:1 im Powerplay gegen Tschechien. Note ungenügend.
Aber sie haben in diesen zwei Partien nur zwei Tore kassiert. Zwei Eigentore. Gegen Russland hat Enzo Corvi den Puck zum einzigen Treffer ins eigene Tor abgelenkt. Gegen Tschechien ist es Yannick Weber. Das war Pech. Nicht Unvermögen. Die Note für die Defensive ist eine sehr gute.
Was sagt uns das alles? Defensiv spielen wir auf Augenhöhe mit den besten Teams der Welt. Das bedeutet: Das Spiel ohne Puck ist tadellos. Aber offensiv sind wir Mittelmass. Nur ein Powerplaytor in zwei Partien. Das Spiel mit dem Puck muss besser werden. Die Balance zwischen Offensive und Defensive stimmt noch nicht.
Aber es fehlt nicht viel. Reto Berra (spielte gegen Russland) und Leonardo Genoni (gegen Tschechien im Tor) sind «zwäg». Das Defensivsystem funktioniert. Die Disziplin ist hoch und die Fehlerquote tief. Es fehlt nicht vorne und hinten. Es fehlt nur ganz wenig vorne.
Das ist die Chance, eine Heldengeschichte zu schreiben. Wenn Partien 6:2 oder 7:5 gewonnen werden, erinnern wir uns nach ein paar Tagen höchstens noch an einen Torschützen, wenn er vier oder fünfmal getroffen hat. Aber hier kann ein einziges Tor alles entscheiden. Pleite oder Medaille. Wer hier einen Treffer erzielt, hat gute Chancen, seinen Namen im Ruhmesbuch unserer Hockeygeschichte einzutragen.
Die zwei wichtigsten Fragen: Warum haben wir so wenig Tore erzielt? Wer kann uns offensiv erlösen?
In Peking wird auf dem kleinen, rund vier Meter schmäleren NHL-Eis gespielt. Das Spiel wird dadurch «verdichtet»: Jeder einzelne hat weniger Zeit und Raum. Das bedeutet: Schneller denken, schneller und präziser spielen. Das ist ungewohnt für Stürmer aus unserer Lauf- und Tempoliga, die zur spielerischen Entfaltung viel Raum und viel Zeit lässt.
Es ist kein Zufall, dass Gaëtan Haas (unser einziger Torschütze) und Sven Adrighetto (traf gegen die Russen den Pfosten) bisher die besten Stürmer waren. Beide haben sich in der Vergangenheit länger als eine Saison in der NHL bewährt.
Gut hat sich Denis Malgin inzwischen «freigetestet»: Er ist zurück und spielt gegen Dänemark sein erstes Spiel. Auch er hat NHL-Erfahrung. Er bringt die Prise Genialität und Unberechenbarkeit ins Spiel, die die Differenz machen kann.
Zwei bittere Niederlagen. Aber noch ist das Selbstvertrauen intakt. Nach wie vor gilt: Einer Medaille so nah und doch so ferne. Nur noch eine Partie gegen Dänemark bleibt, um das Spiel zu justieren. Ausgerechnet Dänemark: Spielerisch limitiert. Aber im Spiel ohne Puck Weltklasse und defensiv schier unerschütterlich. Logisch. Der Nationaltrainer heisst Heinz Ehlers. Der defensive Hexenmeister. Die Dänen haben Tschechien besiegt (2:1) und gegen Russland auch nur 0:2 verloren. Drei Gegentreffer in zwei Spielen. Fast wie die Schweiz.
Dänemark ist der schlimmstmögliche Gegner fürs letzte Spiel der Vorrunde und vor dem Achtelfinal. Ein Sieg ist Pflicht. Wenn die Schweizer gewinnen, heisst es: Na und? Im Falle einer Niederlage erwachen hingegen die Dämonen des Zweifels. Defensivspiel ist eine Sache des Fleisses, der Disziplin und des Willens. Unserem Defensivspiel können diese Dämonen nicht schaden. Das Offensivspiel aber ist auch eine Frage des Selbstvertrauens, der Lockerheit, des schnellen, instinktiven Handelns. Da wirken Zweifel lähmend.
Es wird Zeit, dass einer ein Hockey-Winkelried wird. Einer, der seinen Mitspielern durch die gegnerischen Verteidigungen eine Gasse macht. Wie einst Winkelried unter natürlich ungleich dramatischeren Umständen seinen Mitstreitern den Weg zum Sieg durch den Wald der gegnerischen Spiesse freigemacht hat.
Es ist Zeit, dass Grégory Hofmann aufsteht und mit dem Toreschiessen beginnt.
P.S. Kehrt Dänemarks Nationaltrainer Heinz Ehlers in die Schweiz zurück? Er hat im Frühjahr 2020 seinen weiterlaufenden Vertrag in Langnau aufgelöst und ist in seine Heimat zurückgekehrt. Um dänischer Nationaltrainer zu werden.
Ein wenig Small Talk mit Heinz Ehlers:
Ist es nicht langweilig, nur dänischer Nationaltrainer zu sein?
Nein, diese Saison mit dem Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele, das olympische Turnier und der WM nicht. Aber nächste Saison wahrscheinlich schon.
Ist also die Rückkehr in die Schweiz für nächste Saison ein Thema?
Was denken Sie?
Ja, es ist ein Thema. Sie könnten beispielsweise Ajoie übernehmen.
So langweilig ist es nicht, dass ich mir das antun möchte.
Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten in der Schweiz. Oder?
Sie können mich mit Ihrer Fragerei nicht aufs Glatteis führen. Haben Sie noch Fragen zum Spiel? Ich sollte zu meiner Mannschaft in die Kabine.
Nein, keine weiteren Fragen.