Stürmer werden mit einer Währung gemessen: Skorerpunkte. Aber so einfach ist es eben nicht. Würden Skorerpunkte das alles entscheidende Kriterium sein, könnte jeder Sportchef oder der Nationaltrainer, ja jeder Chronist oder interessierte Fan den für die Offensive zuständigen Teil seines Teams nach der Liga-Skorerliste zusammenstellen.
So funktioniert es natürlich nicht. Jeder Stürmer hat in diesem so schwierig zu berechnenden Spiel seine Rolle. Die besten Vollstrecker und Spielmacher haben zwar in der Regel ihre WM-Nomination auf sicher. Aber schon ab der zweiten Sturmlinie spielen andere Kriterien eine wichtigere Rolle. Und erst recht, wenn es um den letzten offensiven Platz im Aufgebot geht. Um den 13. Stürmer, der bei normalem Spielverlauf damit rechnen muss, dass er gar nicht aufs Eis geschickt wird oder sogar auf der Tribüne Platz nehmen muss. Es ist die Rolle des «Edelreservisten».
Vom «Edelreservist» eines WM-Teams wird nicht erwartet, dass er als «Joker» entscheidende Tore erzielt und Spiele entscheidet. Von zentraler Bedeutung für das Funktionieren eines Teams ist seine Bereitschaft, jede Aufgabe, die ihm der Coach zuweist, klaglos zu erfüllen. Je erfahrener ein Spieler, desto naht- und geräuschloser kann er sich ins Innenleben des Teams und falls erforderlich auf dem Eis ins Spielsystem einfügen. Weil er Gänge und Läufe im Tagesprogramm während einer WM und das Spielsystem aus jahrelanger Erfahrung kennt. Unter gar keinen Umständen darf er ein «Störfaktor» sein.
Deshalb macht ein Routinier in der Rolle des 13. Stürmers am meisten Sinn. Der perfekte Routinier für diese Rolle ist … Andres Ambühl. Mit seiner Erfahrung aus 19 WM-Turnieren. Aber es gibt noch mehr Argumente als seine Erfahrung. Er ist nach wie vor einer der leichtfüssigsten, beweglichsten und smartesten Läufer der Liga. WM-Hockey ist mehr noch als unser Liga-Hockey ein Lauf- und Tempospiel.
Andres Ambühl ist noch immer in der Lage, WM-Tempo auszuhalten und hat die Beine, den Sauerstoff und die Spielintelligenz dafür. Er hat in den Playoffs für den HCD 16:05 Minuten Eiszeit geschultert. Im Halbfinal gegen die ZSC Lions, das beste Team Europas, sogar 16:35 Minuten pro Spiel. Noch weitere Fragen zu seiner Kondition und Schnelligkeit oder gar Zweifel? Nein, es gibt keine.
Es wäre aber schon gut, wenn der 13. Stürmer, wenn er denn zum Einsatz kommt, ab und an das Tor treffen oder doch wenigstens eines vorbereiten könnte. Andres Ambühl hat in zehn Playoff-Partien fünf Punkte beigesteuert. Im Halbfinal gegen die ZSC Lions – gegen Simon Hrubec, den besten Torhüter der Liga – hat er in sechs intensiven Spielen dreimal (!) getroffen. Selbst wenn wir berücksichtigen, dass er für eines dieser Tore gar nichts kann (das Eigentor der ZSC Lions zum 1:1 im dritten Spiel, das ihm zugeschrieben worden ist), sind es immer noch zwei.
Noch weitere Fragen zu seinen Skorerqualitäten oder gar Zweifel? Nein, es gibt keine. Sollte Patrick Fischer Andres Ambühl tatsächlich als 13. Stürmer für die WM aufbieten, wird Kritik nicht zu vermeiden sein: Jetzt schlägt's aber 13! Nichts als Hockey-Romantik! Ja eigentlich Folklore! Ein Geschenk zur Krönung der Karriere! Die beiden stürmten doch damals gemeinsam unter Arno Del Curto im HCD-Meisterteam von 2002! Kumpels halt!
Ja, eine 20. WM für Andres Ambühl hätte etwas mit Romantik zu tun. Gäbe es denn einen schöneren Karriere-Abschluss als eine WM? Nein. Und es wäre ein hochverdientes sportliches Schlussfeuerwerk für einen der besten, populärsten und verdienstvollsten Spieler unseres Hockeys. Sein WM-Aufgebot hätte zudem erheblichen Prestige- und Werbewert für unsere Hockeykultur: Er ist mit 338 Länderspielen nicht nur Schweizer Rekordhalter vor Mathias Seger (305) – mit 141 WM-Partien hält er auch einen famosen Weltrekord. Diese Bestmarke ist wohl für die Ewigkeit. Der aktive Spieler, der ihm am nächsten kommt, ist der ehemalige Lakers-Kultstürmer Roman Cervenka mit «nur» 97 WM-Spielen für Tschechien. Er ist im Dezember auch schon 39 geworden.
Andres Ambühl würde also bei seiner 20. WM in den Gruppenspielen einer der von der internationalen Medienwelt meistbeachteten Spieler sein. Sozusagen der Gordie Howe des internationalen Hockeys. Gordie Howe beendete seine NHL-Karriere im Alter von 52 Jahren. Noch weitere Fragen oder Zweifel an der Romantik? Nein, es gibt keine.
Wäre der Kandidat für die 13. Stürmerposition 23 Jahre alt, hätte er keinen berühmten Namen, wäre er nicht Captain in seinem Klubteam, hätte er in den Playoffs mehr als eine Viertelstunde Eiszeit pro Spiel zugeteilt bekommen und in zehn Playoff-Partien vier Tore und ein Assist bei einer Plus-Bilanz (+1) erzielt – dann würde seine Nomination unter den medialen Radarschirmen durchfliegen, wäre höchstens eine Randnotiz wert. Weil klar wäre: ein guter Kandidat! Die Nomination macht Sinn! Keine Diskussionen! Alles klar!
Andres Ambühl hat allein schon aufgrund seiner Leistung in der aktuellen Saison unbesehen von Berühmtheit und Status eine WM-Nomination verdient. Dass sie sogar noch mit viel Romantik und Medienpräsenz garniert werden könnte – umso besser. Seine Nomination wäre nicht eine zwischen Realität und Romantik. Sondern eine realistische mit Romantik.
Allenfalls lieber Hofmann streichen, der müsste vermutlich eh wieder früher retour zu seiner Frau gehen.