In 67 Tagen ist es so weit. Die Heim-EM wird angepfiffen, der Ball im Basler St. Jakobspark rollt. Die grosse Mehrheit der Schweizer Nationalspielerinnen, die im Eröffnungsspiel gegen Norwegen auf dem Platz stehen, ist bei ausländischen Klubs unter Vertrag.
In Ligen, die im Frauenfussball weiter sind als die Axa Women's Super League (AWSL). Doch auch hierzulande ist der Frauenfussball merklich gewachsen. Wie weit sind die Klubs in der höchsten Schweizer Liga wirklich? Eine Tour durch die Super League der Frauen macht sichtbar, was sich verändert hat – und wo noch Aufholbedarf besteht.
Kein Kraftraum, kein eigener Kunstrasenplatz, keine Garderobe. So sieht die Realität bei den Frauen des FC Aarau aus. «Betreffend Infrastruktur haben wir innerhalb der Liga enorme Unterschiede», sagt Rahel Graf, Leiterin Frauenfussball beim FC Luzern.
Offensichtlich werden die Unterschiede im Playoff-Viertelfinal zwischen Aarau und Basel. Die FCB-Frauen trainieren auf einem nicht öffentlichen Trainingsplatz und haben einen Physio-Raum. Der Kontrast zeigt sich auch auf dem Platz: Basel gewinnt über zwei Spiele mit insgesamt 6:1.
Während Aarau-Leaderin Vanesa Hoti zwar sagt, dass die Infrastruktur gar nicht so wichtig sei, um gut abzuliefern, ist die Baslerin Marion Rey anderer Meinung: «Dinge wie eine eigene Garderobe machen etwas aus. Wenn man nicht immer alles zusammenpacken muss, wird einem vieles erleichtert.»
Was für einen Unterschied solche Infrastrukturen machen, wird sich in der nächsten Saison an den Frauen des FC Thun zeigen. Bis anhin waren sie als FC Rot-Schwarz ein unabhängiger Klub. Ab kommendem Sommer laufen sie sportlich unter dem Dach des FC Thun. Trainiert wird schon jetzt mehrheitlich in der Stockhorn Arena des FC Thun.
Ob die Frauen in der nächsten Saison also im Rennen um den Meistertitel anstatt im Abstiegskampf sein werden? «So hoch sind die Ziele für die erste Saison nicht», sagt Assistenztrainer Thomas Rothenbühler, der für die Organisation der Frauen-Teams zuständig ist. Aber man erhoffe sich viel von der Integration, auch wenn die Thun-Spielerinnen weiter auf eine eigene Garderobe warten müssen.
Es ist bereits Abend, wenn die Fussballerinnen der höchsten Schweizer Liga mit dem Training beginnen. Ganz nach dem Motto: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Zumindest bei den meisten Klubs.
«Wir könnten gar nicht nachmittags mit dem Training beginnen», sagt Rahel Graf. Denn die Spielerinnen üben tagsüber einen Job aus, die meisten in einem 80-100-Prozent-Pensum. «Als Frauen müssen wir immer noch etwas mehr kämpfen. Es heisst: Aha, ihr müsst auch noch trainieren?»
Gleich sieht das bei den Red Boots aus Aarau aus, die für ihre Trainings meist nicht einmal einen ganzen Platz zur Verfügung haben und das Training erst um kurz vor 19 Uhr beginnen. «Hat ein Breitensportteam unter der Woche Match, müssen wir das Feld dann auch noch vor Ende des Trainings räumen», so Marcello Stellato, der Sportchef der Aarauerinnen.
Eine andere Welt herrscht in Basel. Das Training beginnt um 15 Uhr, auf einem nicht öffentlichen Trainingsplatz, der mit Concordia Basel geteilt wird. «Das macht schon einen Unterschied», weiss Vanesa Hoti. Die Leaderin der Red Boots ist Basels Rekordspielerin, kennt also beide Welten bestens. «Wenn man erst abends trainiert, kommt die Regeneration einfach etwas zu kurz.»
Was bei den Männern undenkbar wäre, ist bei den Frauen gang und gäbe: Fussball nur als «Nebenjob». Nur rund zwanzig Spielerinnen können in der Schweiz vom Fussball leben. Beim FC Luzern, den Red Boots und dem FC Thun arbeiten alle Spielerinnen, meist Vollzeit.
«In der Vergangenheit hatten unsere Spielerinnen nicht einmal richtige Verträge, nur Vereinbarungen», erzählt Rothenbühler vom FC Thun. Das habe sich nun geändert, das Budget sei durch die Integration um 400 Prozent gestiegen. Von diesem Budget finanziert wird auch der Staff des AWSL-Teams.
Ein Videoanalyst, ein Physiotherapeut und verschiedene Trainer werden ab Sommer für die Frauen arbeiten. Der neue Cheftrainer voraussichtlich sogar mit einem 100-Prozent-Pensum. «Das ist ein grosser Schritt», so Rothenbühler.
Für die Baslerinnen ist das hingegen nichts Neues. Der Klub hat nebst einem in Vollzeit angestellten Staff auch Spielerinnen im Team, die nicht arbeiten müssen. Eine von ihnen wäre Marion Rey. Doch die 26-Jährige entschied sich dagegen, arbeitet zu 50 Prozent als Bauingenieurin. «Ich möchte mein Studium anwenden», begründet sie den Entscheid und ergänzt: «Es ist eine gute Abwechslung zum Fussball, und auch für meine Zeit nach der Karriere wichtig.»
An diesem Punkt steht Graf gerade, die 2022 als Spielerin vom FC Luzern zurückgetreten ist. Auch sie hat während ihrer Aktivkarriere stets Teilzeit gearbeitet. Dass es so wenige Profispielerinnen gibt, sei sicher ein grosser Unterschied zum Ausland.
Doch: «In Deutschland ist beispielsweise auch das Leben billiger, und man kann von einem niedrigeren Lohn leben.» Und auch andere Kosten, wie die für Trainer oder Infrastrukturen seien niedriger. Das mache es für Vereine einfacher, professionelle Strukturen zu etablieren.
Seit die Axa im Jahr 2020 das Sponsoring der Women's Super League übernommen hat, ist viel gegangen. Auch betreffend Zuschauenden. «Es ist sehr schön, dass uns mittlerweile mehr Menschen zusehen», so Marion Rey, die die Entwicklung innerhalb der Super League miterlebte. Es helfe sicher, dass auch Spiele in den Stadien der Männer ausgetragen werden, sagt sie weiter.
Dass sie damit recht hat, zeigt sich mehrfach. Am Cupfinal zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich sassen über 8000 Leute im Letzigrund, und die YB-Frauen stellten vor kurzem mit über 11'000 Zuschauenden im Wankdorf einen neuen Rekord auf.
Selbst bei Spielen in kleineren Stadien, wie zum Beispiel dem Playoff-Viertelfinal zwischen Basel und Aarau, das im Leichtathletikstadion St. Jakob ausgetragen wurde, waren knapp 1500 Menschen vor Ort. Und laut Rothenbühler seien die Zahlen selbst beim FC Thun gestiegen, «von vielleicht 50 auf über 300, auch wenn das stark wetterabhängig ist».
Damit diese Entwicklung anhält, sei es wichtig, weiterhin Sichtbarkeit zu generieren. Zum Beispiel durch Doppelspiele, bei denen erst die Männer und dann die Frauen zweier Klubs aufeinandertreffen. Sowohl Graf als auch Rothenbühler sehen diese Doppelspiele als essenziell, wenn es um die Förderung des Zuschauerinteresses am Frauenfussball geht.
Nicht nur im Stadion machen sich die Zuschauerzahlen bemerkbar. Seit der Saison 2020/21 überträgt SRF AWSL-Spiele, in dieser Saison sind es zehn, teils im TV, teils via App und Website. Drei der bisher gezeigten Spiele wurden auf SRF 2 ausgestrahlt, eines auf SRF Info. Wie SRF auf Anfrage sagt, schauten diese Fernsehspiele im Schnitt 24'000 Menschen.
Zum Vergleich: Bei den Männern ist an jedem der 38. Spieltage ein Match auf SRF 2 zu sehen, rund 88'000 Menschen sehen sie sich an. Wenn man beachtet, dass die Spiele der Männer zur Primetime, um 20.30 Uhr, im Fernsehen laufen und nicht wie die der Frauen bereits nachmittags, stellt man fest: Der Unterschied zu den Männern ist gar nicht so gross, wie er teilweise scheint.
«Ich will mich dafür einsetzen, dass ein junges Mädchen, das Profifussballerin werden möchte, die gleichen Chancen erhält wie ein Junge», sagt Rahel Graf. Dass das bei ihr nicht der Fall gewesen ist, lässt sich an ihrem Unterton erahnen. Auch deswegen setzt sich die ehemalige Spielerin beim FC Luzern stark für den Nachwuchs ein.
«Das Ziel von uns ist es, unsere Spielerinnen gut genug auszubilden, damit sie den Sprung in das AWSL-Team und allenfalls ins Ausland schaffen.» Die grössten Talente sollen dafür in einem von Graf ins Leben gerufenen Projekt individuell begleitet werden, denn die Innerschweiz habe riesiges Potenzial, was den Nachwuchs betreffe.
«Wir wollen nicht wie andere Schweizer Vereine im Sommer einige Ausländerinnen holen und mit denen dann um den Titel spielen», so Graf. Ein AWSL-Team aus dem eigenen Nachwuchs, nur mit gezielten Verstärkungen aus dem Ausland, lautet ihr Ziel.
Dass das durchaus möglich ist, zeigen Teams wie GC oder die YB-Frauen. Beide investierten in den Nachwuchs, spielen nun um die Meisterschaft und brachten grosse Talente wie Sydney Schertenleib, Naomi Luyet oder Iman Beney hervor.
Auch der FC Basel setzt sich für den Nachwuchs ein. Eine individuelle Talentförderung besteht seit eineinhalb Jahren. Während das Fanionteam um den Titel spielen will, integriert man die jungen Spielerinnen mit Geduld, ohne Druck ins Team. Auch bei ihnen mit dem Ziel, den Nachwuchs bestmöglich aufzustellen.
«Besonders GC hat gezeigt, was möglich ist. Sie haben zuletzt viel in die Frauen investiert und nun im Viertelfinal der Playoffs Servette, die mit vielen Ausländerinnen spielen, besiegt», so Rothenbühler. Weiter ergänzt er: «Ein oder zwei Ausländerinnen pro Team sind sicher gut, die Schweizerinnen können von ihnen auch profitieren.» Aber viel mehr, das mache die Liga kaputt, da Schweizer Talente in dem Fall nicht mehr gefördert würden.
Am gleichen Punkt wie der Männerfussball sind die Frauen in der Schweiz noch nicht. Rothenbühler sagt: «Über die Integration der Frauen waren zuerst wohl nicht alle glücklich.» Dennoch war die Entwicklung des Frauenfussballs in den vergangenen Jahren gross.
«Die EM 2022 in England hat einen grossen Auftrieb gegeben», so Graf. Für sie sei es früher unvorstellbar gewesen, die Trainingskleider nicht selbst waschen zu müssen oder bereits um 18.00 Uhr trainieren zu können. «Mädchen heute können sich das oft gar nicht mehr vorstellen. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»
Graf hofft, dass die kommende EM einen ähnlichen Effekt auf die Schweiz hat wie jene vor drei Jahren auf England. Aber sie warnt. «Die Entwicklung muss nachhaltig sein. Die Euphorie rund um das Turnier muss für langfristige Veränderungen genutzt werden. Wir müssen nicht alles gleichzeitig umsetzen, aber jetzt ist der Moment für Veränderung.» (aargauerzeitung.ch)
Bei Männer-Teams war es vor nicht allzu langer Zeit auch noch üblich, dass Spieler in der 2. höchsten Liga einem normalen Job nachgingen.
Wie gross ist der Unterschied der Trainingsinfrastruktur des Fc Aarau und des Fc Basels bei den Männern? Ebenfalls sehr gross.
In meinem Fussballinteressierten Umfeld interessieren sich die allerwenigsten für Frauenfussball. Das ist schade, aber man kann das Interesse nicht erzwingen.
Wenig Interesse = fehlende Zuschauer & Sponsoren
Eine Querfinanzierung durch die Männerteams sollte nur eine Übergangslösung sein.
Bezüglich Publikumsaufmarsch in den Stadien müsste man der Vollständigkeit halber schon auch erwähnen, dass die Ticketpreise deutlich unter jenen der Männer liegen.
Nur schon in der Women`s Super League dürften vom Leistungsvermögen her, eigentlich maximal 8 Teams teilnehmen, wenn man von den erreichten Punkten aus der Qualifikation, auf die Qualität in der Breite der höchsten Liga in der Schweiz schaut.