Im Hintergrund läuft gepflegte Musik, es wird angeregt diskutiert, etwas getrunken und gegessen. Ferienstimmung. Wir erreichen Samuel Widmer am Handy. Er ist entspannt. Er geniesst den Abend mit Freunden und Familie auf der Insel Kauai westlich von Honolulu. «Ich bin wieder unter den Halblebigen», sagt er und lacht. Angesichts der Leistung ist seine Analyse kaum übertrieben.
Eine Woche ist seit dem Zieleinlauf verstrichen. Am vergangenen späten Dienstagabend überquerten Ingvar Groza, Jan Hurni, Yassin Boussena und der Aargauer im Bunde, der Döttinger Samuel Widmer, die Ziellinie. Sie haben Geschichte geschrieben.
Die 4444 Kilometer legte das Schweizer Extremruder-Quartett auf dem offenen und oftmals wilden Pazifik in Weltrekordzeit zurück. Vom kalifornischen Monterey nach Hawaii in etwas mehr als 25 Tagen. Der «World’s Toughest Row», wie das Rennen, oder je nach Betrachtung, der Wahnsinn, genannt wird, zählt zu den grössten sportlichen Herausforderungen.
Die Tortur hat bei Samuel Widmer Spuren hinterlassen. Was nicht weiter erstaunt: Während der dreieinhalb Wochen teilten die vier Abenteurer ihre Einsätze in Fünfstunden-Schichten ein. «Drei Stunden Rudern, zwei Stunden Pause», erklärt der 30-Jährige. Wobei Pause ein relativer Begriff ist. Angesagt war das Behandeln von Blasen an den Händen und Füssen. Oder irgendetwas am Boot reparieren. «Wenn es hoch kam, blieb noch eine Stunde für den Schlaf», sagt Widmer.
Der Verschleiss und die Abnützungen sind für Normalsterbliche schwer nachvollziehbar: Schmerzen an den Fussgelenken, an den Knien, Verkürzungen der Sehnen an den Händen und Oberschenkeln. Platzwunden und Hautverbrennungen von der Sonne.
Weil der Energieverbrauch deutlich höher war als die Kalorienzufuhr, mussten die Ruderer kräftig Energie zuführen. Widmer und seine Kollegen nahmen täglich rund 7000 Kalorien zu sich, in Form von Astronautennahrung, also in Beuteln abgepackte Mahlzeiten. «Experten empfahlen uns sogar noch mehr. Doch irgendwann ist der Körper gar nicht mehr in der Lage, mehr aufzunehmen», sagt Widmer. Trotzdem verlor der Aargauer während der Überfahrt sieben Kilo an Körpergewicht.
Die Strapazen haben sich – nimmt man die Zielsetzung als Mass für Widmer und seine Teamkollegen – gelohnt. «Unser Gameplan ist voll aufgegangen», zieht Samuel Widmer zufrieden Bilanz. Sie wollten den Sieg und den bestehenden Weltrekord brechen. Beides gelang. Die bisherige Bestmarke lag bei 29 Tagen, 17 Stunden und 29 Minuten. Die neue vom Team «Swiss Raw» bei beeindruckenden 25 Tagen, 2 Stunden und 21 Minuten.
Mit ihrer Rekordfahrt überraschte das Team nicht nur sich, sondern auch Freunde und Familie. Diese verpassten schlicht die Ankunft von Groza, Hurni, Boussena und Widmer. Die vier erreichten in ihrem Temporausch Hawaii einen Tag früher als ihre Liebsten.
Inzwischen hat sich Samuel Widmer erstaunlich gut von den Anstrengungen erholt. «Die Beweglichkeit kommt zurück und ich bin fast schmerzfrei», sagt der Döttinger. Auf dem Tagesprogramm stehen Golfen und Tennisspielen. Auch den Schlafrhythmus bezeichnet er beinahe wieder als normal. Und Gewicht hat Widmer seit der Ankunft ebenfalls zugelegt. «Drei Kilogramm», gibt er an.
Die nächsten Tage und Wochen verbringt er noch im Pazifik, ehe der Polizist Anfang August wieder seinen Dienst antritt. Zeit, um sich bereits Gedanken für ein nächstes Projekt zu machen? «Nein», sagt Samuel Widmer. Und falls ihn irgendwann die Abenteuerlust wieder packen sollte: «Die bleibt, aber sicher nichts mehr mit Rudern», sagt er. (hkl/aargauerzeitung.ch)