Ein böser Spruch geht in Schwingerkeisen um: Der Kanton Zug sei ein Geberkanton und das Eidgenössische in Zug (2019) sei ein Geberfest gewesen. Der Kanton Basel Landschaft sei hingegen ein Nehmerkanton und so sei halt das Eidgenössische 2022 in Pratteln ein Eidgenössisches Nehmerfest geworden. Das erste übrigens der Geschichte (seit 1895). Es ist fast wie bei der Nationalbank, einer anderen eidgenössischen Institution: Alle erwarten Gewinne, aber dieses Jahr gibt es wohl ein Minus.
Tatsächlich hat das Eidgenössische 2019 in Zug unter der Führung von Zugs Finanzdirektor Heinz Tännler einen bäumigen siebenstelligen Gewinn abgeworfen. Die Entschädigung an die Helferinnen und Helfer konnte verdoppelt, dem Eidgenössischen Schwingerverband (ESV) der statutarisch festgelegte Anteil der Ticketeinnahmen (16 Prozent oder eine vorher ausgehandelte Pauschalsumme) überwiesen werden und darüber hinaus blieb eine Million zur Gründung einer Stiftung. Seit Anbeginn der Zeiten (seit 1895) gilt das Eidgenössische als «Gelddruckmaschine».
Die Organisatoren von Pratteln 2022 mussten hingegen soeben eine «Gewinnwarnung» veröffentlichen: Es müsse im schlimmsten Fall mit einem Verlust von bis zu 10 Prozent des Budgets (42 Millionen) gerechnet werden. Bei börsenkotierten Unternehmen ist die «Gewinnwarnung» bei einem sich abzeichnenden Verlust Pflicht. Das als Verein konstituierte Sägemehl-OK von Pratteln ist dazu nicht verpflichtet. Die Meldung erfolgt aus verhandlungstechnischen Gründen. Soll das Defizit verhindert werden, sind Verhandlungen mit allen Partnern der Einnahme- und Ausgabenseite – Sponsoren, Firmen, Behörden, SBB – erforderlich. «Wir öffnen den Fächer und führen mit allen Beteiligten Gespräche» sagt Verbands-Geschäftsführer Rolf Gasser. Also auch mit solchen, deren Rechnungen schon bezahlt sind oder die ihre Rechnungen schon bezahlt haben. Es wird also nicht so sein, dass nur jene die Dummen sind, die noch offene Forderungen haben.
Dieses Vorgehen funktioniert nur, wenn in aller Öffentlichkeit bekannt ist, dass ein Defizit droht. Solche Überlegungen mag Rolf Gasser zwar nicht bestätigen, räumt aber ein: «Die Ankündigung eines möglichen Defizites ist sicherlich im Sinne der Transparenz und aller Beteiligten.» Der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) ist in der Sache nicht Partei. Aber bei den Verhandlungen helfend präsent.
Interessant dabei: Die staatliche Eisenbahn (SBB) ist einer der grössten Sägemehlgläubiger. Wer ein Ticket für Pratteln kaufte (400'000 Besucherinnen und Besucher kamen, sehr viele mit der Bahn), durfte gratis mit der Eisenbahn fahren. Im Gegenzug musste das Schwingfest-OK die Eisenbahn pauschal mit einer schönen siebenstelligen Summe entschädigen. Ohne diesen Eisenbahn-Zuschuss wäre das drohende Defizit weitaus geringer. Was für künftige Organisatoren die Frage aufwirft: Ist es eigentlich unsere Aufgabe, den öffentlichen Verkehr zu subventionieren? Für die SBB ist es für ein Entgegenkommen wohl höchste Eisenbahn.
Anders als für viele andere Veranstaltungen dieser Dimension gibt es beim Eidgenössischen Schwingfest keine Defizitgarantie. Das bedeutet: Im schlimmsten aller schlimmen Fälle würde einfach die als Verein konstituierte Organisation, die das Fest durchgeführt hat, dem Konkurs verfallen. Zum ersten Mal in der Geschichte gäbe es bei einem Schwingfest nebst Preisen vom Gabentempel auch noch Verlustscheine.
Ein hohes Defizit, unbezahlte Rechnungen oder am Ende gar ein Konkurs des OK – das sind natürlich keine Optionen. Es ist völlig undenkbar, dass sich die «Sägemehl-Ajatollahs», die sich ja auch als Gralshüter eidgenössischer Rechtschaffenheit verstehen, solchen Unfug im Zusammenhang mit einem Eidgenössischen zulassen. Der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) ist juristisch in der Sache zwar nicht haftbar. Er hat das Fest nur vergeben. Juristisch also nicht zur monetären Hilfeleistung verpflichtet. Moralisch-politisch hingegen schon. Kommt dazu eine gewisse Eitelkeit: Jene, die das Defizit, die roten Zahlen zu verantworten haben, wären ja künftig in Schwingerkreisen als «die Roten von Pratteln» geächtet.
Der ESV hat ein liquides Vermögen von gut und gerne zwei Millionen und ein Jahresbudget von rund einer Million. Die Einnahmen aus dem Ticketverkauf für eidgenössische Feste machen rund ein Drittel der Einnahmen aus.
Der ESV ist also dazu in der Lage, helfend einzuspringen und bei der Defizitreduktion helfend tätig zu werden. Rolf Gasser schliesst bereits aus, dass die Sanierung auf dem Rücken des Volkes organisiert wird, indem die Helferinnen und Helfer des Eidgenössischen leer ausgehen. Die Gewinne privatisieren, die Verluste sozialisieren – das geht im Schwingen nicht. Hingegen hütet er sich auch bei mehrmaligem Nachfragen wie der Teufel vor dem geweihten Wasser vor der Aussage, sein ESV werde helfend mit einem «Pratteler-Batzen» eingreifen. Er muss es ja nicht sagen. Alle wissen: Der ESV wird helfen.
Die Ausgangslage ist allerdings politisch heikel. Der ESV muss im Rahmen der Delegiertenversammlung Ende März 2023 Budget und Rechnung genehmigen lassen. Ein teilweiser Verzicht auf die festgeschriebene Entschädigung aus dem Ticketverkauf des Eidgenössischen kann einfach als ein Posten unter vielen in der ESV-Verbandsrechnung ausgewiesen werden und geht sozusagen in der Genehmigung von Budget und Rechnung unter. Wer schaut denn schon genau nach? Ungefähr so, wie bei einer Gemeindeversammlung im Rahmen der Budget- und Rechnungsgenehmigung manchmal eine Steuererhöhung durchrutscht, ohne dass kritische Bürgerinnen und Bürger intervenieren.
Will heissen: Die Delegiertenversammlung zügig leiten, mit der Aussicht auf feines Essen die Debattierlust der Delegierten dämpfen – und schon ist die Sache geregelt. Eine solche frivole Argumentation empört Rolf Gasser. «Es mag ja sein, dass so etwas bei einer Gemeindeversammlung im Emmental hinten geht. Aber sicher nicht bei uns.»
Aber als Spross einer der berühmtesten Schwinger-Dynastien im Bernbiet ahnt er sehr wohl: So funktioniert es. Aber man muss es ja nicht allen auf die Nase binden. Oder noch anders gesagt: Es gibt keine juristische Defizitgarantie für das Eidgenössische 2022. Aber eine politisch-moralische durch den Eidgenössischen Schwingerverband ESV. Auch er wird helfen, dass am Ende alles gut kommt. Bis zum Weihnachtsfest soll und wird alles geklärt sein.
Rolf Gasser würde dazu in seinem breiten Berndeutsch sagen: «Rächt hesch, aber schwyge sötsch ...»
es muss auch niemand mit der "subventionierung" der bahn kommen! wären all diese leute mit dem pkw angereist, wäre das chaos und die indirekten kosten deutlich höher gekommen. also dass die zugfahrten, welche im ticket inbegriffen sind, bezahlt werden müssen ist doch klar.
Ein komisches Verständnis haben Sie, Herr Zaugg.
Subventionieren des ÖV, davon kann nicht die Rede sein. Die Festgäste fahren durch die Pauschalentschädigung durch das OK gratis ans Fest.
Ich sehe nicht ein, wieso die SBB diese Last tragen soll.
Man kann darüber diskutieren, ob das OK den Transport bezahlen soll oder das eine Privatangelegenheit jedes Gastes ist. Das OK hat sich schlicht verzockt.