Die Nationalhymne im Zielraum in Lenzerheide ertönte noch vor der eigentlichen Startzeit. Früh am Morgen hatten die Athleten die Gewissheit, dass die letzte Abfahrt wetterbedingt entfällt. Zuoberst auf dem Podest stand, natürlich, Beat Feuz, der König der Abfahrer. Vom Himmel fielen Flocken, unten am Podest klatschte die in beträchtlicher Zahl aufmarschierte Belegschaft von Swiss-Ski in den roten Verbandsjacken. Auf der anderen Seite der Abschrankung tummelten sich ein paar Helfer und ein paar Journalisten.
Der Rahmen an diesem verschneiten Mittwoch am Weltcup-Finale passte so gar nicht zum grossen Erfolg, den Feuz feierte. Zum vierten Mal in Folge wird der 34-Jährige am Donnerstag mit dem Super-G seine Saison als bester Abfahrer beenden. Ein Kunststück, das vor ihm einzig Franz Klammer in den Siebzigerjahren geschafft hatte. Und ein Kunststück, das man dem Emmentaler vor zehn Jahren aus guten Gründen nicht oder allenfalls nicht mehr zugetraut hatte. Alles andere als selbstverständlich sei das, meint auch Feuz, als er mit seiner vierten Kugel zwischen den Händen beim Interview steht. «Dass es vor mir nur einem Fahrer gelungen ist, zeigt, wie schwierig es ist. Das macht mich schon auch stolz.»
Feuz spürt nicht nur stolz, sondern auch Demut. Er, der heute mit Freundin Katrin Triendl und Tochter Clea im österreichischen Oberperfuss lebt, weiss selbst am besten, dass es auch komplett anders hätte kommen können - wegen seiner eigenen Vita und auch derjenigen seiner Freundin. Triendl hatte als Juniorin ebenfalls WM-Medaillen gewonnen, musste aber ihre Karriere 2010 aus gesundheitlichen Gründen bereits mit 22 Jahren beenden. Ein Jahr zuvor hatte sie einen Kreuzbandriss erlitten.
Feuz' Weg ist ein ganz spezieller. Gesegnet mit einer unverschämt grossen Portion Talent und dem Vorteil, die Skipiste in Schangnau vor der Haustür zu haben, fuhr Feuz seinen Gegnern schon im Kindesalter um die Ohren. Noch vor seinem zweiten Geburtstag stand er erstmals auf Ski. Anschubhilfe brauchte er dabei nicht. Alles habe intuitiv funktioniert, schilderte Feuz' Mutter einst. Schon bald fuhr der kleine Beat den Lift alleine hoch und talwärts allen davon. Als Siebenjähriger gewann er sein erstes Rennen.
Feuz, der «Kugelblitz», war immer einer, dem das Skifahren scheinbar in die Wiege gelegt wurde. «Der Spitzname begleitet mich schon seit der Kindheit», sagt er. Als er 2007 als 20-Jähriger an der Junioren-WM Gold in der Abfahrt und im Super-G sowie Bronze im Slalom holte, schien der Weg in den Weltcup bereitet. Doch es kam anders. Der Umweg wurde steiniger und steiniger.
Von Sepp Brunner, dem damaligen Trainer, stammt der markige Satz, Feuz sei zwar ein Rohdiamant gewesen, aber auch ein fauler Hund. Tatsächlich hielt der Körper des ehemaligen Maurer-Lehrlings den Belastungen im Weltcup nicht stand. Vor dem Saisonstart 2007 riss sich Feuz das Kreuzband im linken Knie. Als er sich 2008 zurückmelden wollte, kostete ihn ein kaputter Meniskus einen weiteren Winter.
Es dauerte bis 2011, ehe der erwartete Durchbruch mit dem ersten Sieg in Kvitfjell schliesslich gelang - mit einem Fondue im Bauch, wie der «Blick» genüsslich schrieb. Doch erneut bremste ihn eine Knieverletzung aus und verpasste er 2012/13 eine komplette Saison. Eine Infektion nach einem Knorpel- und Meniskusschaden gefährdete die ganze Karriere. Für den schlimmsten Fall zogen die Ärzte eine Amputation in Erwägung.
Dass es für konstanten Erfolg auf höchster Stufe auch hartes Training braucht, musste Feuz auf die harte Tour erfahren. Es gibt Stimmen, welche die gute Gesundheit und die Konstanz in den letzten Jahren auch Triendl zuschreiben. Dank ihr führe der Genussmensch Feuz ein professionelleres Leben. Auch lernte er, die Belastung zu steuern. Vor allem die Umfänge innerhalb eines Tages müsse er reduzierter gestalten im Vergleich zu den weniger gezeichneten Athleten, erklärte er vor vier Jahren in Lake Louise, als der Winter der ersten Kristallkugel bevorstand.
Seit Feuz auf Stufe Weltcup von weiteren Verletzungen verschont blieb, stellen sich die Erfolge auch regelmässig ein. Mit 34, einem Alter, in dem er sich vor zehn Jahren nicht mehr als Skirennfahrer wähnte, bestätigte er sich abermals als Nummer 1 unter den Abfahrern. Und nicht nur das. Mit dem Doppelsieg in Kitzbühel, dem «Highlight der Saison» (Feuz) schloss er auch eine weitere Lücke im Palmares. Zu den Kristallkugeln und den Auszeichnungen für die Siege am Lauberhorn und in Kitzbühel gesellen sich zwei Olympia- und drei WM-Medaillen, darunter WM-Gold. Im Weltcup hält Feuz bei 15 Siegen und 52 Podestplätzen, und die Geschichte ist noch nicht fertig geschrieben. (nih/sda)