Sie sind das beste Beispiel für echte Männer-Freundschaft im Spitzensport. Das Verbindende zwischen den Norwegern Aksel Lund Svindal und Kjetil Jansrud geht über das normale Mass an Kollegialität zweier Teamkameraden hinaus. Sie sind zwei Kumpels, die zusammen durch dick und dünn gehen, sich für den anderen freuen, sich unterstützen, respektieren und zu Höchstleistungen antreiben. Neid und Missgunst gibt es nicht.
Das gegenseitige Anspornen sorgt für bestmögliche Qualität schon im Trainingsalltag. Üben auf Wettkampfniveau, Simulieren des Ernstkampfes: Der tägliche Versuch zweier bestandener Athleten, aus dem teaminternen Duell als Gewinner hervorzugehen, ist der perfekte Nährboden für Erfolg. Das ist die positive Seite des Tuns der Skirennfahrer Svindal und Jansrud.
Was aber, wenn sich die Leistung des einen auf jene des anderen ungewollt hemmend auswirkt? Oder schon allein die Präsenz des einen beim anderen dazu führt, nicht mehr die gewohnte Leistung abrufen zu können? Oder wenn der eine den Eindruck hat, in diesem Zweikampf nur noch mit Sonderefforts entgegenhalten zu können, das Limit überschreiten zu müssen? Zusätzliches Risiko bedeutet höhere Fehleranfälligkeit. Von der grösseren Sturz- und Verletzungsgefahr ganz zu schweigen.
Nach Abfahrt und Super-G am letzten Wochenende in Lake Louise war der Verdacht, dass sich Jansrud mit der Rolle des Jägers schwer tun könnte, nicht ganz unbegründet. Er, der in der vergangenen Saison im Weltcup der Dominator in den schnellen Disziplinen war, sah seine Pfründe bedroht. Kaum war Svindal wieder da, würde er den Nummer-1-Status wieder eingebüsst haben. Jansrud wollte seine Regentschaft unter keinen Umständen hergeben. Seine Marschroute in der kanadischen Station im Banff Nationalpark war klar – eine noch direktere Linie wählen, noch aggressiver zu Werke gehen als in den Trainings trotz zwei Bestzeiten.
Die Umsetzung des Plans missriet vollends und endete auf den Plätzen 9 beziehungsweise 7. «Kjetil (Jansrud) wollte nicht wahrhaben, dass die an den Tagen zuvor gezeigten Leistungen zu einem Spitzenergebnis reichen würden», sagte Reto Nydegger. Der Berner Oberländer, vor seinem Wechsel vor zwei Jahren nach Norwegen während zehn Saisons für Swiss-Ski tätig, ist nach zwei Wintern als Coach des Europacup-Teams für die Speedtruppe der Nordländer verantwortlich. «Mit dosiertem Risiko hätte es ihm sogar zum Sieg reichen können, zumal Aksel (Lund Svindal) ja mehrere Fehler unterlaufen waren.»
Als Indiz für die These, dass sich Jansrud mit der Rolle des Schattenmanns schwer tun beziehungsweise in Wettkämpfen ohne Svindal befreiter auftreten könnte, könnte seine Erfolgsbilanz dienen. Jansrud hat sieben seiner bisherigen zehn Weltcup-Siege im vergangenen Winter errungen – als Svindal wegen des im Oktober letzten Jahres erlittenen Achillessehnenrisses einzig in der Abfahrt und im Super-G an den Weltmeisterschaften in Beaver Creek am Start gewesen ist. Im Nobelort in Colorado ist der Weltcup-Tross in dieser Woche wieder zu Gast, mit Svindal als Leader vorne weg.
In Beaver Creek hatte der Olympiasieger und fünffache Weltmeister vor sieben Jahren ein ebenso imposantes Comeback wie zuletzt in Lake Louise gegeben. Zwölf Monate, nachdem er auf der «Birds of Prey» im Abfahrtstraining schwer gestürzt war, feierte er in Abfahrt und Super-G ebenfalls einen Doppelsieg. Zurückgekehrt war er auch damals nach einjähriger Zwangspause. Den neuerlichen Triumph versucht Jansrud zu verhindern. Die Rückkehr nach Europa soll für den Vorjahresgewinner in der Abfahrt nicht durch Mutmassungen belastet sein. (si)