Der beste Abfahrer der nahen Zukunft? Da muss man kein Prophet sein: Marco Odermatt. Eine Weltcupabfahrt hat der 26-Jährige zwar noch keine gewonnen, doch er ist Weltmeister und führt die Saisonwertung an. Der erste Weltcuptriumph in der Königsdisziplin ist eine Frage der Zeit. Die nächsten Chancen bekommt er am Donnerstag und Samstag in Wengen.
Odermatt ist der designierte Thronfolger in der Liste der Könige. Dass er Schweizer ist, erstaunt nicht. Statistisch gesehen dominieren Athleten von Swiss-Ski die Königsdisziplin seit Jahren. Während die stolze Skination Österreich in den vergangenen 14 Wintern nur einmal (2012 mit Klaus Kröll) die Abfahrtswertung gewinnen konnte, sammelten Athleten aus der Schweiz sechs Abfahrtskugeln (viermal Beat Feuz, zweimal Didier Cuche).
Odermatt ist erst 26 Jahre alt. Seine Vormachtstellung wird er wohl nicht so schnell hergeben. Trotzdem denkt man bei Swiss-Ski bereits weiter. Wie gelingt es, dass der dominierende Abfahrer auch nach Odermatt aus der Schweiz kommt? Der Versuch einer Anleitung anhand von drei Beispielen.
Ist er der neue Beat Feuz? Vergleiche sind schnell gemacht. Aber selten erfüllen sie sich. Franjo von Allmen ist 22. Im Weltcup hat er bisher vier Abfahrten bestritten. Sein Bestergebnis: Rang 12. Es ist aber weder dieser beeindruckende Einstand noch nicht seine Herkunft – von Allmen ist wie Feuz im Kanton Bern geboren –, die Parallelen zum Abfahrtsgrossmeister zulassen. Vielmehr erinnert von Allmen in seiner lockeren Art an Feuz.
Ein Vorteil? Reto Nydegger, Cheftrainer der Schweizer Abfahrer, sagt: «Wir müssen schauen, dass wir unseren Sport nicht zu kompliziert machen. Man kann Dinge auch zu Tode analysieren. Diese Lockerheit, sich selbst und gewissen Dingen einfach zu vertrauen, bringt Franjo mit. Aber der wichtigste Faktor ist Zeit.»
Damit die jungen Schweizer Abfahrer diese Zeit erhalten, hat Swiss-Ski eine Zwischengruppe zwischen Europacup und Weltcup geschaffen. Nydegger sagt: «Wenn man in der Weltcupgruppe ist, hat man immer das Gefühl, liefern zu müssen. In der Zwischengruppe hat man das nicht. Da kann man auch einen Schritt zurückmachen, um vorwärtszukommen.» Diese Geduld zu etablieren, ist eine der Kernaufgaben des Trainerteams.
Mit Marco Odermatt teilt er den Vornamen und das Alter. Das wäre es aber gewesen mit den Parallelen zwischen Marco Kohler und dem Dominator des Skiweltcups. Während Odermatt die Pisten der Welt im Sturm eroberte, brauchte Kohler, der als Junior höher gehandelt wurde als Odermatt, viel Geduld. Erst vor einem Jahr – mit 25 – debütierte er im Weltcup.
Die Geschichte von Kohler ist die vieler Skitalente. Frühe Verletzung, langer Weg zurück. 2020 stürzte Kohler als Vorfahrer in Wengen. Die Diagnose: Totalschaden im Knie. Die Operation verlief gut. Doch dann kamen die Rheumaschübe. An diesem Donnerstag in Wengen bestreitet er erst seine sechste Weltcupabfahrt. Sein attestiertes Talent stellte er allerdings unter Beweis. In dieser Saison fuhr er zweimal in die Top Ten.
Nydegger sagt: «Grundsätzlich gilt: Wir lassen unsere Athleten nach Verletzungen nicht fallen. Aber entscheidend ist der Biss, den der Fahrer selbst mitbringt. Er muss bereit sein, die harte Arbeit auf sich zu nehmen. Und wichtig ist auch, dass die Athleten lernen, auf ihren Körper zu hören.»
Vor einem Jahr fuhr Alexis Monney in Wengen in seiner erst zehnten Weltcupabfahrt auf Rang zehn. Damit überflügelte er zwei Stars. Marco Odermatt und Beat Feuz brauchten beide elf Abfahrten, bis sie erstmals die Top Ten erreichten. Monney wurde dann eine Woche später auch noch Elfter in Kitzbühel und qualifizierte sich für die WM. Was für ein Raketenstart.
Nach einem verhaltenen Auftakt in die Saison kam der 24-Jährige zuletzt in Fahrt. In Bormio klassierte er sich auf Rang 13. Dabei hätte Monney 2019 beinahe aufgehört. Der Freiburger kam im Nationalen Leistungszentrum (NLZ) in Brig nicht mit einem wichtigen Trainer klar. Der «NZZ» sagte er: «Ohne Trainer schafft es niemand nach oben.» Das NLZ wechselte den Trainer. Monney fand die Freude wieder und startete durch.
Nydegger sagt: «Eine gute Stimmung im Team ist essenziell. Darum war es mir wichtig, dass wir im Sommer drei Wochen nach Südamerika reisten. Die Bedingungen waren schlecht, aber dem Teamgefüge hat die Zeit sehr geholfen.» Nach den Rücktritten von Beat Feuz und Mauro Caviezel fehlen dem Abfahrtsteam die klaren Leader, weil sich Odermatt zwischen den Welten bewegt. Dieses Vakuum zu kompensieren, hatte für Nydegger Priorität. Er sagt: «Es ist nicht alles rosig. Wir müssen nicht alle Freunde sein. Aber es ist wichtig, dass sich alle gleichberechtigt behandelt fühlen.» (aargauerzeitung.ch)