Alles war angerichtet für die grosse Show der Mikaela Shiffrin: Nach dem frühen Aus im Olympia-Riesenslalom vor zwei Tagen wollte es die 26-jährige Slalom-Queen in ihrer Spezialdisziplin allen zeigen und ihr insgesamt drittes Olympiagold holen. Ihr Trainer Mike Day hatte den Kurs gesetzt, doch statt die erhoffte Demonstration folgte die grosse Ernüchterung.
Shiffrin legte zwar los wie die Feuerwehr, leistete sich am vierten Tor aber einen verhängnisvollen Innenski-Fehler und schied nach bloss vier Fahrsekunden aus. Mit angezogenen Beinen und den Kopf zwischen den Händen vergraben, setzte sich die vierfache Slalom-Weltmeisterin an den Pistenrand und weinte bittere Tränen. Zuletzt war Shiffrin vor über zehn Jahren – im Dezember 2011 – in zwei aufeinanderfolgenden Technik-Rennen ausgeschieden.
«Es fühlt sich an wie viel Arbeit für nichts», sagte Shiffrin im Zielraum mit feuchten Augen. Es sei zwar «nicht das Ende der Welt und eigentlich zu dumm, um sich so sehr darüber zu ärgern. Aber ich habe das Gefühl, dass ich jetzt vieles infrage stellen muss. Es lässt mich die vergangenen 15 Jahre im Skifahren hinterfragen – alles, was ich dachte, über mein Skifahren und meine Einstellung zu Rennen zu wissen.»
Die 26-Jährige erklärte, dass sie nun gerne ihren 2020 tödlich verunglückten Vater Jeff anrufen würde, der sie nach Rückschlägen oft getröstet habe. Dass das nicht mehr möglich ist, mache es alles noch viel schlimmer. «Ich bin ziemlich sauer auf ihn», sagte sie und weinte.
Aufmunternde Worte erhielt Shiffrin im wohl schwierigsten Moment ihrer Karriere immerhin von ihrer einstigen Rivalin Lindsey Vonn. «Das tut mir sehr leid für Mikaela. Dies ändert nichts an ihrer grossartigen Karriere. Lass den Kopf nicht hängen», schrieb die 82-fache Weltcupsiegerin auf Twitter.
Gutted for @MikaelaShiffrin but this does not take away from her storied career and what she can and will accomplish going forward. Keep your head high ❤️ pic.twitter.com/fSgqSii0JA
— lindsey vonn (@lindseyvonn) February 9, 2022
Als sie sich wieder etwas gefasst hatte, erklärte Shiffrin gegenüber SRF: «Es war eigentlich der perfekte Ski-Tag. Das Warm-up und auch die Trainings der letzten Tage liefen super. Es gab keinen Grund, mich zurückzuhalten. Ich wollte Vollgas fahren.» Sie fühle sich nun richtig schlecht, dass ihr das passiert sei. «Ich glaube, ich bin einfach ausgerutscht, doch es war nicht wirklich eine Stelle, um wegzurutschen.»
Offenbar gab es doch etwas, was Shiffrin in ihrer Vorbereitung gestört hatte: «Es geschieht derzeit viel mehr, als meine Leistung im Skifahren», erklärte sie, ohne weiter darauf einzugehen. Beschäftigt hatte Shiffrin zuletzt sicher die schwere Verletzung von Teamkollegin Nina O'Brien, die sich bei einem heftigen Sturz im Riesenslalom das Schien- und Wadenbein gebrochen und sich mehrere Bänderrisse zugezogen hatte. Ihr sei das Herz zerbrochen, schrieb sie bei Instagram.
Noch sind die Olympischen Spiele von Peking für Shiffrin aber nicht gelaufen. Sowohl im Super-G vom Freitag, wie auch in der Kombination und in der Abfahrt hat die dreifache olympische Medaillen-Gewinnerin noch Chancen, sich für die verpatzten Technik-Wettbewerbe zu rehabilitieren.