Er hatte es ja geahnt, dass eine Welle über ihn hereinbrechen würde, dass vieles sich verändern würde, nachdem er auf der grössten Tennisbühne der Welt eine Kostprobe seines Talents abgegeben hatte: Bei den US Open erreichte Dominic Stricker die Achtelfinals und schaltete auf dem Weg dorthin nicht nur den zweifachen Grand-Slam-Finalisten Stefanos Tsitsipas aus, sondern begeisterte die Menschen auch mit seinem Unverkrampften auftreten.
Beim letzten Seitenwechsel vor dem Erfolg gegen Tsitsipas verdrückte er einen Energieriegel und trällerte bei Whitney Houstons «I Wanna Dance with Somebody» mit und grinste bis über beide Backen. Die Bilder davon gingen um die Welt. Darauf angesprochen, sagte der Berner: «Ich sang, um locker zu bleiben. Ich weiss gar nicht mehr, welcher Song es war.» Der Hit von Whitney Houston stammt von 1987, Stricker kam 2002 zur Welt.
Sympathien brachte Stricker in New York auch das Geständnis ein, nicht auf Schokolade verzichten zu können. Dass es nicht so weitergehen würde, hatte Stricker befürchtet, aber dass er seither, seit Ende August, auf einen Sieg warten muss, das hätte er dann doch nicht erwartet. Sponsoren und Medien seien Schlange gestanden und auf der Strasse werde er nun öfter angesprochen. «Das sind alles tolle Sachen, aber man denkt dann auch viel darüber nach und verliert die ein, zwei entscheidenden Prozent im Kopf.» Und bei den kleineren Turnieren, die er seither spielte, war er plötzlich der Gejagte.
In Basel ist das wieder anders, da ist Stricker wieder der Jäger und nicht der Gejagte. Hier will Stricker an die «guten Erinnerungen» aus dem Vorjahr anknüpfen, als er die Achtelfinals erreichte. Für den 21-Jährigen geht es darum, die Saison in den Top 100 der Weltrangliste zu beenden (derzeit liegt er auf dem 96. Rang), sich damit für die Australian Open und zuvor für die Next-Gen-Finals in Saudi-Arabien (Ende November) zu qualifizieren. Strickers erster Gegner ist der Deutsche Benjamin Hassan (28, ATP 163).
Als er vor zwanzig Jahren in den Tenniszirkus kam, galt Stan Wawrinka als zurückhaltend und schüchtern, zuweilen haftete ihm, aufgewachsen auf einem Bio-Bauernhof im 700-Seelen-Dorf Saint-Barthélemy, das Etikett des Eigenbrötlers an. «Ich war immer der, den man übersieht», sagte er einst über seine Kindheit, die er an einer Rudolf-Steiner-Schule in Crissier verbrachte. Auch dann, als er zum dreifachen Grand-Slam-Sieger reifte, blieb Wawrinka sich treu und blieb ein Mann der leisen Töne.
Doch wird der inzwischen 39-Jährige nach seiner Meinung gefragt, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Keiner kritisierte die Reformen im Davis Cup schärfer als er. Und wenn von einem Turnier irgendwo auf der Welt Bilder auftauchen, die desolate Plätze zeigen, oder wenn sich wie in diesem Jahr Verletzungen an Schultern und Handgelenken häufen, weil ständig mit neuen Bällen gespielt wird, gehört er zu den Ersten, die dies anprangern.
Ein Wandel? Nicht unbedingt, sagt Wawrinka: «Ich habe schon immer gerne, Dinge angesprochen, die mir nicht gefallen. Ich will Veränderungen provozieren.» Dass er heute mit mehr Nachdruck auf Missstände hinweise, habe damit zu tun, dass er zuweilen die Geduld verliere. «Denn ich habe das Gefühl, dass wir heute immer noch über die gleichen Themen diskutieren wie damals, als ich neu auf der Tennistour war.»
Dass Wawrinka, anderthalb Jahre nach einer einjährige Pause, wieder im Mittelpunkt steht, hat aber vor allem mit seinen Leistungen zu tun. Anfang Jahr noch die Nummer 147 der Welt, wird er nun in den Top 50 geführt. 25 Siege stehen 2023 zu Buche. Das ist nur einer weniger als in den drei Jahren davor kumuliert. Wawrinka ist damit im Jahr 1 nach dem Rücktritt von Roger Federer wieder die klare Schweizer Nummer 1. Sein Traum ist es, den ersten Titel seit 2017 in Genf zu gewinnen. Vielleicht schon in Basel? «Ich weiss, dass ich jeden schlagen kann», sagt er. Die erste Hürde ist der Russe Alexander Shevchenko (22, ATP 83), ein Qualifikant.
Leandro Riedi (ATP 162) gelang am Montag bereits einer der schönsten Schläge des Turniers. Im Doppel traf der 21-jährige Frauenfelder an der Seite von Dominic Stricker auf die Doppelexperten Mate Pavic aus Kroatien und Harri Heliovaara aus Finnland. Im ersten Satz beendete Riedi einen langen Ballwechsel mit einem Schlag links am Netz vorbei ins Eck. Und auch sonst machte Riedi trotz Zweisatzniederlage (4:6, 5:7) eine gute Figur.
Lange Zeit, um sich zu ärgern, blieb ihm sowieso nicht. Denn am Mittwoch darf die Schweizer Nachwuchshoffnung auf dem Basler Center Court gegen den kanadischen Titelverteidiger Félix Auger-Aliassime (ATP 19) antreten. Sein Debüt im Hauptfeld eines ATP 500er-Turniers ist nur eine von vielen Premieren, die Riedi in diesem Jahr erlebt hat.
Im Januar spielte er erstmals ein Qualifikationsturnier eines Grand Slams. Auch in Roland Garros, Wimbledon und an den US Open startete Riedi in der Qualifikation und gewann dabei vier von acht Spielen. Im Februar feierte Riedi beim 250er-Turnier in Marseille erstmals einen Sieg auf der ATP-Tour. Im März überstand er beim Masters in Indian Wells erstmals die Qualifikation eines 1000er-Turniers. Und im September spielte Riedi gegen Grossbritannien erstmals Davis Cup für die Schweiz, wo er gegen den hochdekorierten Schotten Andy Murray (ATP 40) in drei umkämpften Sätzen (7:6, 4:6, 4:6) verlor.
Nun folgt die Premiere im Hauptfeld von Basel. Vor einem Jahr noch mit einer Wildcard für die Qualifikation ausgestattet, schenkten die Organisatoren der Swiss Indoors dem French-Open-Finalisten der Junioren 2020 für die aktuelle Ausgabe eine Wildcard. Eine Wildcard, um die Riedi noch zittern musste. Zunächst bekam am Dienstag Félix Auger Aliassime Riedis Wildcard zugesprochen. Der Kanadier hatte es versäumt, sich anzumelden. Doch als am Mittwoch Carlos Alcaraz passen musste, rückte Stan Wawrinka ins Hauptfeld nach, und Riedi erbte dessen Wildcard. (bzbasel.ch)