«Martina Hingis war mein Idol, aber ich bin Belinda Bencic und gehe meinen eigenen Weg.» Auch bei der x-ten Frage zur besten Schweizer Tennisspielerin der Geschichte, mit der sie seit Jahren verglichen wird, bleibt die erstmalige US-Open-Achtelfinalistin cool und freundlich. Die Vergleiche empfindet sie offensichtlich nicht als erdrückend und belastend, sondern als eine Ehre. In ihrem ersten Jahr auf der Profitour eilt Belinda Bencic von Erfolg zu Erfolg – und geniesst das Rampenlicht.
Die Vergleiche kommen nicht von ungefähr, auch wenn die fünffache Grand-Slam-Siegerin, die 209 Wochen an der Spitze der Weltrangliste stand, ihren ersten US-Open-Achtelfinal bereits im zarten Alter von 14 Jahren erreichte.
Seit zehn Jahren wird Bencic von Hingis' Mutter Melanie Molitor trainiert und zog dafür sogar nach Wollerau in den Kanton Schwyz. «Alles, was ich über Tennis weiss, habe ich von ihr gelernt», sagt Bencic. Im Winter besucht sie jeweils die Akademie von Chris Evert in Florida. Der Erfolg über die Weltnummer 7 Angelique Kerber am Freitag war der vorläufige Höhepunkt eines rasanten Aufstiegs, den sich der auch schon als «Wunderkind» titulierte Teenager selber nicht vorstellen konnte.
«Unglaublich», staunt sie selber. «Nur ein Jahr, nachdem ich noch bei den Junioren gespielt habe.» «Wunderkind» wird Bencic jedoch nicht gerecht. Ihr Erfolg ist in erster Linie das Resultat harter Arbeit. «Sie war schon immer sehr fokussiert und macht keine halben Sachen», lobt Vater Ivan, ein ehemaliger Eishockeyprofi aus der Slowakei, der seine Tochter an den Turnieren coacht und betreut. Der Versicherungsberater hat schon früh ein möglichst professionelles Umfeld für seinen talentierten Sprössling aufgebaut und enorm viel Zeit, Energie und Geld in dessen Karriere gesteckt.
So etwas könnte auch belastend wirken. Bis anhin schafft Bencic den Spagat zwischen übertriebenem Ehrgeiz und der nötigen Lockerheit aber verblüffend einfach. Die Fortschritte, die sie in ihrem ersten Profijahr gemacht hat, sind gewaltig. Beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres in Melbourne erstarrte die letztjährige Juniorensiegerin von Roland Garros und Wimbledon vor der Chinesin Li Na richtiggehend. Nun sagt sie selbstbewusst: «Ich glaube jetzt wirklich daran, auch gegen Top-Ten-Spielerinnen gewinnen zu können.»
Daneben vergisst sie die schönen Seiten des Lebens als Tennisprofi nicht. «Die Fifth Avenue gefällt mir schon», erzählt sie mit einem Funkeln in den Augen. Ein Geschenk von New Yorks Nobel-Einkaufsmeile wird sie sich nun leisten können. Mit dem Einzug in die Achtelfinals hat Bencic bereits 187'300 Dollar verdient und nähert sich in der Weltrangliste den Top 40. Dies ist jedoch nur ein Zwischenschritt. «Im Moment fühle ich mich wie in einem Traum», sagte sie am Freitag.
Bereits am Samstag lag der Fokus aber auf der nächsten Gegnerin, der Weltnummer 10 Jelena Jankovic. Da hat Bencic nichts zu verlieren, aber ganz viel zu gewinnen. Es wird ihre erste «Night Session» sein (1 Uhr Schweizer Zeit in der Nacht auf Montag). Die 17-jährige Ostschweizerin ist zwar weder ein Wunderkind noch eine Träumerin. Aber ganz bestimmt eine der Spielerinnen, die es in den kommenden Jahren weltweit zu beachten gilt. (dux/si)