Während 15 Jahren begleitete er Roger Federer um den Globus, war sein Trainer, Freund, Ratgeber, passte zuweilen auch auf die vier Kinder des Baselbieters auf. Mit Federers Karriere endete 2022 auch für Severin Lüthi ein prägendes Kapitel seines Lebens. Der 49-jährige Berner ist weiterhin und inzwischen seit 20 Jahren Captain des Schweizer Davis-Cup-Teams.
Trotz zahlreicher Anfragen hat Lüthi kein Traineramt mehr übernommen, seit er Anfang 2024 während weniger Wochen den Dänen Holger Rune betreute. Die Zusammenarbeit mit dem talentierten, aber impulsiven Rune endete, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Wenn man merke, dass das Timing nicht stimme, sei es besser, früh als spät aufzuhören, sagte Lüthi damals. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Heute sagt Lüthi: «Meine Zeit mit Roger ist inzwischen zwar eine Weile her, aber ich habe gemerkt, dass es für mich ein grosser Schritt ist, wieder einen Topspieler zu übernehmen. Dazu bin ich noch nicht wieder bereit.» Er wolle nicht von einem Aha-Erlebnis reden, aber das Intermezzo mit Rune sei eine wertvolle Lektion gewesen. «Was ich für mich aus der Geschichte mitnehme, ist, dass ich von Anfang an klare Ansagen mache, stärker meiner Intuition vertraue und Klartext rede mit einem Spieler.»
Mit dieser Einstellung startet Lüthi in ein Abenteuer, das nicht nur in der Schweiz, sondern global mit grossem Interesse verfolgt wird. Neuerdings arbeitet er mit einem Basler zusammen, der bei den Old Boys Basel mit dem Tennis begann, stark aufschlägt, über eine gute Vorhand verfügt, die Rückhand einhändig spielt, ein variables und offensives Spiel pflegt und bei der Sportbekleidungsmarke On unter Vertrag steht: Henry Bernet.
Angesprochen auf die Parallelen mit Roger Federer sagt Lüthi: «Ich weiss, die Menschen lieben diese Vergleiche und er ist sicher nicht an den Haaren herbeigezogen. Es gibt einige Parallelen, aber Henry wird nie der gleiche Spieler wie Roger werden. Er ist erst 18 und muss seine Identität noch finden, als Spieler und als Mensch. Er weiss selber noch nicht, was für ein Spieler er werden kann und will.» Lüthi sagt, er habe «ein paar Ideen», woran er mit dem Australian-Open-Sieger der Junioren arbeiten wolle.
Vor allem aber hat Lüthi Erwartungen. Welche? «Erstens, dass er auch bei kleineren Turnieren, wo die Bedingungen weniger gut sind, wo der Platz schlecht und das Licht nicht optimal sind und wo es nur wenige Zuschauer hat, die gleiche Motivation, Disziplin und Leidenschaft zeigt, auch wenn es einmal nicht so gut läuft. Er muss eine gewisse Reife entwickeln. Zweitens, dass er langfristig plant. Denn bei einem jungen Spieler besteht immer die Gefahr, dass er ungeduldig wird, wenn es einmal nicht vorwärtsgeht.»
Dass Henry Bernet langfristig plant, dafür gibt es viele Anzeichen. Schon vor seinem Triumph in Melbourne hat er die sportlichen Weichen gestellt. Seit Februar ist Sven Swinnen sein Trainer, der zuvor Dominic Stricker von den Junioren zu den Profis begleitet hat. Seine Trainingsbasis bleibt Biel, wo Bernet sich unter Anleitung von Beni Linder, Headcoach Athletik beim Tennisverband Swiss Tennis, physisch verbessern will. Lüthi sagt: «Das ist die Basis. Aber es bringt nichts, wenn er 100 Meter in elf Sekunden läuft. Das ist gut, aber als Tennisspieler muss er den Ball ins Feld spielen.»
Seit dem letzten Frühling steht Bernet bei Starwing Sports unter Vertrag. Die britische Agentur vertritt auch die Interessen von Australian-Open-Sieger Jannik Sinner, Gaël Monfils und Stan Wawrinka. Bei On unterschrieb er als erster Schweizer Tennisspieler, und zwar gleich für fünf Jahre. Alle Verträge – auch jener von Severin Lüthi – werden über die GmbH HB10 abgewickelt, die Vater Robert, ein Jurist, vor neun Monaten gegründet hat.
Lüthi begrüsst diese Professionalität, doch er mahnt zur Vorsicht. «Mehr ist nicht immer besser. Es besteht die Gefahr, dass man nur noch konsumiert und sich bedienen lässt. Dass man sich sagt: ‹Jetzt habe ich das beste Team um mich herum und deswegen werde ich der beste Spieler.›» Er wünsche sich, dass Bernet wie ein Unternehmer denke und Entscheidungen treffe.
Beim Tennis aber, da gibt er die Marschrichtung vor. Der Masterplan sieht so aus: Vier Mal im Jahr soll Bernet während drei Wochen an der Kondition arbeiten, wie er das nun seit dem Australian-Open-Sieg Ende Januar getan hat. «Daran führt kein Weg vorbei. Nur Turniere zu spielen, ist kein Weg.» Dazu soll Bernet allenfalls die Junioren-Grand-Slam-Turniere spielen, aber möglichst oft bei den Erwachsenen antreten. Wie beim Challenger-Turnier in Lugano, wo er in der nächsten Woche dank einer Wildcard spielen wird.
Lüthi sagt: «Bei einem 18-Jährigen musst du eine starke Meinung haben. Bei gewissen Dinge können wir Rücksicht nehmen und kann und soll er selber entscheiden, bei gewissen haben ich aber klare Vorstellungen.» Bislang habe er ein gutes Gefühl: «Henry hört zu und will weiterkommen, das empfinde ich als gutes Zeichen. Ich glaube an ihn und sein Potenzial. Er muss nun seinen eigenen Weg finden, dabei werden wir ihm helfen.»
Und dann zieht Lüthi selber den Vergleich zu Roger Federer. «Ich komme immer wieder mit ihm, ich habe halt viel Zeit mit ihm verbracht», sagt er. «Von aussen betrachtet habe ich den Eindruck, dass Grigor Dimitrov viel zu lange damit zufrieden war, der Baby-Federer zu sein. Ob es so ist, weiss ich nicht. Aber das willst du nicht. Du willst nicht eine Kopie sein.»
Auch Henry Bernet nicht. «Die Menschen wünschen sich den nächsten Roger oder Wawrinka, aber den wird es nicht geben. Ich versuche, mich auf mich zu konzentrieren», sagte er nach seinem Australian-Open-Sieg. (riz/aargauerzeitung.ch)