Er hat Trikots zuhause und Medaillen. Das sind fast die einzigen Erinnerungen an seine Karriere als Rugbyspieler, die Alix Popham noch hat. Wenn er sie anschaut, weiss er nicht mehr, wie er die Trophäen gewonnen hat.
Der Waliser, 14 Jahre lang Profi und mit Wales an zwei Weltmeisterschaften im Einsatz, bekam schon mit 40 Jahren die Diagnose gestellt: einsetzende Demenz. «Mein Neurologe stellte fest, dass ich in meinem Gehirn über 100'000 Schläge erlitten hatte», erzählte Popham bei der BBC. Subkonkussive Schläge nennt man diese Mikroerschütterungen, die wiederholt erlitten, aber nicht bewusst wahrgenommen werden. Steter Tropfen höhlt den Stein.
2003 spielte Alix Popham mit Wales in Südafrika, vor dem Spiel kam es zu einem Treffen mit dem Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela. Ein Erlebnis, das die meisten Mitspieler vermutlich noch in bester Erinnerung haben. Aber der frühere Flanker sagt: «Ich kann mich nicht daran erinnern, in diesem Stadion oder bei diesem Spiel gewesen zu sein.»
Der mittlerweile 45-Jährige mag ein besonders ausgeprägter Fall sein, aber ganz sicher ist er kein Einzelfall. Mehrere hundert Ex-Spieler haben die Rugby-Dachverbände wegen der Folgen von Kopfverletzungen verklagt. Man habe zu wenig unternommen, um diese einzudämmen, lautet der Vorwurf. Symptome können Gedächtnisverlust, Verwirrung, Depression, impulsives Verhalten, Kopfschmerzen und motorische Störungen sein, oft erst Jahre nach der aktiven Karriere.
«Wir sind immer wieder betrübt, solche Geschichten zu hören», liess der Verband World Rugby verlauten. «Das Wohlergehen der Spieler ist seit langem unsere oberste Priorität.» Man sei ständig dabei, das Spiel weiterzuentwickeln und anzupassen, um es so sicher wie möglich zu machen.
Kopfverletzungen, die unter CTE (Chronische Traumatische Enzephalopathie) zusammengefasst werden, sind auch bei anderen Kontaktsportarten ein grosses Thema, im American Football etwa, oder im Eishockey. Das Problem ist, dass die Intensität zunimmt, wenn es zu einem Aufprall kommt, weil die Sportler gegenüber früher immer athletischer und kräftiger sind.
Alarmierende Zahlen lieferte vor zwei Jahren eine Studie der Universität Boston. Sie analysierte die Gehirne verstorbener NFL-Spieler und stellte bei 345 von 376 Footballern eine CTE-Diagnose. Bei einer vergleichbaren Untersuchung mit Gehirnen von 164 «normalen» Frauen und Männern wurde der Befund nur ein Mal gestellt. Es stellte sich heraus, dass der Mann einst am College Football spielte.
In den vergangenen Jahren wurden im Football die Helme verbessert und es gibt härtere Strafen dafür, wenn man den Aufprall mit seinem Helm und dem Helm eines Gegners provoziert. Im Eishockey werden Checks gegen den Kopf bestraft, im Fussball wird das Kopfballspiel zumindest im Training nicht forciert. Zudem kennen zahlreiche Sportarten ein sogenanntes Concussion-Protokoll, um Athleten, bei denen eine Gehirnerschütterung vermutet wird, aus dem Spiel zu nehmen.
Auch im Rugby wird dieses Vorgehen angewandt. Ein unabhängiger Arzt prüft Gleichgewicht, Gedächtnis und andere neurologische Funktionen, wenn ein Spieler mit Verdacht auf eine Gehirnerschütterung vom Feld muss. Zudem werden Tackles oberhalb der Schulter strenger geahndet, und es kommen Mundschutze mit Sensoren zum Einsatz, die die Aufprallkraft messen. Werden bei einem Spieler auffällige Werte registriert, wird er auch dann medizinisch untersucht, wenn keine Symptome einer Gehirnerschütterung erkannt werden.
Zusätzlich hat World Rugby die zulässige Tackle-Höhe reduziert, um Kopfzusammenstösse zu minimieren, und die Anzahl harter Trainingskontakte eingeschränkt. Neue Regeländerungen werden regelmässig getestet, um das Spiel sicherer zu machen.
Kritiker wie Popham bezweifeln, dass diese Änderungen ausreichen, um langfristige Schäden zu vermeiden. Der frühere Rugby-Star fordert härtere Strafen bei Roten Karten. «Diese Spieler bekommen für einen Angriff zwei oder drei Wochen Sperre. Das reicht nicht, um sie dazu zu bringen, ihre Gewohnheiten zu ändern.» Das zeige für ihn, dass das Wohlergehen der Spieler eben nicht die oberste Priorität der Funktionäre sei. Die Sperre müsse sechs bis acht Wochen betragen und damit mehr als doppelt so lange sein.
Alix Popham hat «Head for Change» gegründet, eine Organisation, die sich für Opfer von Kopfverletzungen im Sport einsetzt. «Ich wünschte, ich hätte schon damals gewusst, was ich heute weiss», bedauert er. «Denn wenn man Sterne sieht, sollte man nicht weitermachen.»