Die Tennis-Schweiz sehnt sich spätestens seit dem Rücktritt von Roger Federer im Jahr 2022 nach einem Spieler, der den 20-fachen Grand-Slam-Sieger und Stan Wawrinka, der mit 39 Jahren nur noch selten für Furore sorgt, beerben kann. Das Warten auf einen neuen Schweizer Topspieler konnte auch Dominic Stricker, mit dem Triumph am French Open 2020 letzter Schweizer Sieger eines Junioren-Grand-Slam-Turniers, bisher nicht beenden. Aktuell ist Alexander Ritschard auf Platz 118 der Weltrangliste der beste Schweizer.
Da ist es wenig verwunderlich, dass Henry Bernet die Schweizer Tennis-Enthusiasten nun in seinen Bann zieht. Der 17-jährige Basler zog in der Nacht auf Freitag mit einer souveränen Leistung beim 7:6, 6:2-Sieg gegen den Finnen Oskari Paldanius als erster Schweizer in den Juniorenfinal des Australian Open ein.
Mit einem Sieg gegen den US-Amerikaner Benjamin Willwerth könnte die Weltnummer 784 am Samstag – dem Tag seines 18. Geburtstags – als erst sechster Schweizer Junioren-Grand-Slam-Champion werden. Zuvor gelang dies neben Stricker nur Stan Wawrinka (Paris 2003), Roman Valent (Wimbledon 2001), Roger Federer (Wimbledon 1998) und Heinz Günthardt (Paris und Wimbledon 1976).
Natürlich stellen sich viele nun die Frage, ob Bernet denn endlich dieser Spieler sein kann, der in die riesigen Fussstapfen von Federer und Wawrinka tritt. Oder einfach gefragt: Ist Henry Bernet der nächste Roger Federer?
Einem so jungen Spieler sollte man zwar auf keinen Fall eine solch grosse Last aufbürden – jedes Talent muss seinen eigenen Weg gehen und darf nicht zu früh mit zu grossen Erwartungen überhäuft werden. Aber dass es viele Gemeinsamkeiten gibt, ist nicht von der Hand zu weisen.
So stammen beide Spieler aus Basel, sprechen denselben Dialekt und sind FCB-Fans. Ihre Vornamen kommen aus dem englischen Sprachraum und ihre Väter heissen auch noch beide Robert. Es sind Dinge, die für die Medien zwar ein gefundenes Fressen sind, aber erstmal nichts mit Tennis zu tun haben.
Doch auch in Bezug auf den Sport sind die Parallelen unübersehbar. Wie Federer wurde auch Bernet im Tennisclub der Old Boys Basel gross. Wie der 43-Jährige spielt er mit seinem Wilson-Schläger eine einhändige Rückhand.
Auch vom Charakter scheint Bernet seinem grossen Idol zu ähneln. So beschreibt die «Aargauer Zeitung» den 17-Jährigen als «ehrgeizig, zugleich bodenständig, eloquent und freundlich». Gemäss dem «Tages-Anzeiger» verfüge er über ein «angriffiges Tennis» und sei zudem «wohlerzogen und neugierig». Bald wird er auch noch von Sven Swinnen, dem früheren WG-Partner Federers, und Severin Lüthi, dem ehemaligen Trainer der langjährigen Weltnummer 1, gecoacht. Aktuell wird Bernet noch von Swiss-Tennis-Coach Kai Stentenbach betreut.
Seine Qualitäten sind auch der Schweizer Firma On nicht verborgen geblieben. Kurz vor dem Beginn der Australian Open nahm das Unternehmen, bei dem Roger Federer – wer sonst? – als Investor, Produktentwickler und Werbefigur fungiert, den Junior unter Vertrag. Bernet ist der erste Schweizer Tennisspieler im Portfolio des Kleidungsunternehmens, das unter anderem auch Iga Swiatek und Ben Shelton umfasst.
«Ich spüre, dass sie bei On daran glauben, dass ich eine erfolgreiche Karriere mit ihnen haben kann», erklärt Bernet seinen Entscheid gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Ausserdem habe ihn überzeugt, dass das Unternehmen seine Spieler sehr selektiv aussuche. «Nicht wie Nike oder Adidas, die viele Spielerinnen und Spieler unter Vertrag nehmen und dann schauen, wer erfolgreich wird, und die anderen wieder aussortieren.» On-Tennischef Feliciano Robayna lobte Bernet dafür, «wie er die Punkte diktierte und unter Druck ruhig blieb».
Während er mit Federer die Verträge bei On und Wilson gemeinsam hat, teilt sich Bernet mit Wawrinka die Management-Agentur. So unterschrieb er kurz nach seinem Einzug in den Viertelfinal beim French Open der Junioren im letzten Frühling bei der britischen Agentur StarWing Sports, die auch die Interessen der aktuellen Weltnummer 1, Jannik Sinner, und Gaël Monfils vertritt.
Den Schritt begründete Bernet gegenüber CH Media so: «Meine Familie hat mich immer selber entscheiden lassen, schenkt mir enormes Vertrauen und unterstützt mich auch finanziell sehr. Dafür bin ich enorm dankbar. Mir war es aber wichtig, dass wir auch über anderes als nur über Tennis reden können.» Ausserdem wollte Vater Robert neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht auch noch die Karriere seines Sohns betreuen.
Spätestens mit den Erfolgen in Australien – vor dem Turnier in Melbourne holte er sich beim Juniorenturnier der Kategorie J300 in Traralgon seinen bisher wichtigsten Triumph – dürfte dies eine noch grössere Aufgabe werden als bisher. Mittlerweile ist Henry Bernet im Juniorenranking auf Platz 6 klassiert.
In dieser Saison wolle er sich langsam auf der Profitour etablieren und nur noch die wichtigsten Turniere der Junioren absolvieren. Spätestens im nächsten Jahr muss der ab morgen Samstag 18-Jährige komplett zu den Profis wechseln.
Um dort Fuss zu fassen, müsse er sich aber noch in einigen Bereichen verbessern, findet Bernet selber. So sieht der 1,91-Meter-Mann gerade bei der Physis Luft nach oben. «Ich bin relativ lange, spät und schnell gewachsen», sagt er und fügt an: «Und im Spielerischen kann ich mich überall verbessern, vor allem beim Return.»
An Ehrgeiz mangelt es Bernet, der Federer während der US Open 2024 zum bisher einzigen Mal getroffen hat, offensichtlich nicht. Gerne würde er sein Vorbild künftig öfter treffen, «aber ich weiss, dass er auch jetzt, da seine Karriere vorbei ist, viel um die Ohren hat». Ohnehin will Bernet trotz der vielen Gemeinsamkeiten seine eigene Geschichte schreiben. Sollten in Zukunft noch einige Parallelen zwischen Henry Bernet und Roger Federer hinzukommen, dürfte sich das Schweizer Toptalent kaum ärgern.