Während Novak Djokovic im Viertelfinal der Australian Open über den Russen Andrei Rublew hinwegfegte und danach im Platzinterview Roger Federer zum Duell in einem Skirennen aufforderte, und die Zuschauer für seine Mutter Happy Birthday singen liess, zogen dunkle Wolken über dem Turnier auf. Auf den Rängen der Rod Laver Arena, aber auch draussen, wo Tausende frenetisch den nächsten Sieg des Serben feierten.
Denn dort passierte das, was die Organisatoren der Australian Open im Keim zu ersticken versuchten, als sie bereits am ersten Tag ein scharfes Verbot russischer und belarussischer Flaggen ausgesprochen hatten.
Im Stadion wurde ein Mann in schwarzem T-Shirt fotografiert, das das in Russland für Kriegspropaganda verwendete «Z» zeigt. Zugang hatte er sich wohl dadurch verschafft, indem er zuvor ein weisses Shirt mit den Namen von Novak Djokovic, dem serbischen Basketballer Nikola Jokic und Lionel Messi getragen hatte. Der Mann wurde gebeten, eine Jacke überzuziehen. Später liess er das weisse T-Shirt von Novak Djokovic unterschreiben.
Draussen, auf der Treppe zwischen der Rod Laver Arena und der Margaret Court Arena, feierten hunderte Djokovic-Fans friedlich den 44. Halbfinal-Einzug des Serben bei einem Grand-Slam-Turnier – nur Roger Federer hat mit 46 noch häufiger diese Turnierphase erreicht. Auch dort kam es zu einem Zwischenfall. Vier Zuschauer schwenkten die russische Trikolore, die das Konterfei Vladimir Putin zeigt. Ein weiterer Mann hatte eine Flagge der Volksrepublik Donezk in den Melbourne Park geschmuggelt. Russland hatte das Gebiet im Donezkbecken, das im Osten an Russland grenzt, im letzten Jahr nach einem Scheinreferendum völkerrechtswidrig annektiert.
Auf Youtube erschien in der Nacht auf Donnerstag ein Video, das die Russen mit Djokovics Vater Srdjan zeigt. Dieser posiert mit der Flagge, die Wladimir Putin zeigt und soll am Ende sagen: «Lang leben Russlands Bürger.» Der Mann neben Srdjan Djokovic hat dabei ein «Z» auf der Brust. Hingegen unklar ist, ob Djokovics Vater dabei gewusst hat, dass sich auf der Flagge das Konterfei von Wladimir Putin befindet.
Der ukrainische Botschafter in Australien bezeichnete die Vorkommnisse als «Schande». Auf seine Intervention hin hatte Tennis Australia zu Beginn des Turniers russische Flaggen und das Z-Symbol verboten, nachdem bei einer Partie zwischen einer Ukrainerin und einer Russin eine Weiss-Blau-Rote Flagge Russlands an einem Zaun angebracht worden war.
Der ukrainische Botschafter Wasil Miroschnitschenko forderte, die «Politik der neutralen Flagge unverzüglich durchzusetzen». Mit dem Russen Karen Chatschanow und den Belarussinnen Wiktoryia Asaranka und Aryna Sabalenka stehen drei Spielerinnen im Halbfinal, die unter neutraler Flagge spielen.
«Vier Personen aus dem Publikum zeigten beim Verlassen des Stadions unangemessene Flaggen und Symbole», schreibt Tennis Australia in einer Stellungnahme. Zudem hätten sie Sicherheitspersonal bedroht, weshalb die Polizei des Bundesstaates Victoria eingegriffen hätten. «Die Sicherheit und das Wohlbefinden aller ist unsere oberste Priorität», heisst es weiter.
Von den Vorfällen gestört zeigte sich auch Novak Djokovic. In der letzten Woche beschwerte sich der neunfache Australian-Open-Sieger während Spielen mehrfach beim Schiedsrichter über Kommentare eines russischen Zuschauers. «Wenn jemand nur provozieren und beleidigen will und es nicht mehr um die Unterstützung des gegnerischen Spielers geht, wenn jemand diese Linie übertritt, reagiere ich darauf», erklärte Djokovic.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Australian Open 2023 als Bühne für politische Botschaften genutzt werden. In der ersten Woche machten Aktivisten auf das Schicksal der seit über einem Jahr aus der Öffentlichkeit verschwundenen Tennisspielerin Peng Shuai aufmerksam. Die Chinesin hatte im November 2021 einen ehemaligen hochrangigen Funktionär der kommunistischen Partei beschuldigt, sie sexuell missbraucht zu haben.
Und Karen Chatschanow, der im Halbfinal auf den Griechen Stefanos Tsitsipas trifft, hatte «Keep believing until the very end. Artsakh, hold on!» auf die Kameralinse geschrieben. Chatschanow ist Russe mit armenischen Wurzeln. Bei Artsakh handelte es sich um die Region Bergkarabach. Die Enklave im Südkaukasus zwischen Armenien und Aserbaidschan ist umkämpft, wird überwiegend von Armeniern bevölkert, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bezeichnet Bergkarabach aber als aserbaidschanisches Gebiet.
Der Tennisverband Aserbaidschans forderte in einem Schreiben harte Sanktionen gegen Karen Chatschanow. Dieser habe die schöne Tradition der liebevollen Botschaften auf der Kameralinse «für seine dreckigen Pläne missbraucht». Chatschanow sagte nach seinem Halbfinalvorstoss, er wisse nichts von diesem Brief und sei bisher auch nicht aufgefordert worden, die Botschaften, die er seit Turnierbeginn platziere, künftig zu unterlassen.
Vom Davis Cup und vom Billie Jean King Cup sind Weissrussland und Russland ausgeschlossen. Ausgetragen werden die Teamwettbewerbe vom Tennisweltverband ITF. Bei Turnieren der Profiorganisationen ATP und WTA hingegen sind Russinnen und Weissrussen im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten nicht vom Spielbetrieb ausgeschlossen und dürfen – wie Chatschanow, Asaranka und Sabalenka unter neutraler Flagge antreten.
Eine Ausnahme bildet Wimbledon. Das Grand-Slam-Turnier hatte im letzten Sommer Russen und Belarussinnen als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine ausgeschlossen. ATP und WTA belegten das Turnier daraufhin mit einer Geldstrafe in Höhe von einer Million US-Dollar. Dagegen hat der Ausrichter, die britische Lawn Tennis Association, Berufung eingelegt. Zudem wurden keine Punkte für die Weltrangliste vergeben. Nun deutet alles darauf hin, dass in diesem Sommer wieder Spielerinnen und Spieler aus Russland in Wimbledon antreten dürfen.
Das ändert nichts daran, dass der Umgang mit politischen Botschaften und Athleten aus Ländern, die Kriege führen, den Sport weiter beschäftigt.