Braungebrannt, die langen blonden Haare für einmal nicht kunstvoll zu Zöpfen verarbeitet, dazu eine verspiegelte Sonnenbrille im Gesicht und ein T-Shirt des Fussballvereins Paris Saint-Germain tragend, weil ihr Sohn Leo ein Anhänger des französischen Meisters ist. Wer Wiktoryia Asaranka am Mittwochabend nach ihrem 6:4, 6:1-Sieg gegen die Amerikanerin Jessica Pegula im Viertelfinal der Australian Open vor den Medien sitzen sieht, könnte meinen, sie stehe grundsätzlich auf der Sonnenseite des Lebens.
Zuvor hatte Asaranka die Zuschauerinnen und Zuschauer in der Rod Laver Arena erst mit ihrem Spiel und dann mit den Antworten unterhalten, die sie im Platzinterview gegeben hatte. Leo sei zu Hause in den USA geblieben, weil er zur Schule müsse. Wo, gegen wen und wie gut sie gerade Tennis spiele, sei dem Sohn ohnehin egal. «Er will nur, dass ich sehr bald nach Hause komme», sagte sie. Doch er müsse sich noch ein paar Tage gedulden. Und dann fiel ihr auch noch ein, dass ihr Hund an diesem Tag Geburtstag habe.
Sie war wirklich glänzend aufgelegt, die frühere Nummer 1 der Welt. Schliesslich steht Asaranka erstmals seit zwei Jahren im Halbfinal eines Grand-Slam-Turniers. Dass sie eine so lange Durststrecke zu bewältigen hatte, begründete sie auch damit, dass sie mit Panikattacken und Ängsten zu kämpfen gehabt habe. Später führte sie diese Gedanken weiter aus.
«Für mich ist es so – wahrscheinlich für alle, aber für mich besonders –, dass ein Tennisplatz viele dieser Ängste auslöst», gestand sie. «Immer, wenn ein hoher Stressmoment kommt, kommen seltsame Emotionen auf den Platz.» Manchmal denke sie: «Was zur Hölle denke ich hier auf dem Platz?» Die Furcht, zu versagen – sie sei ihr ständiger Begleiter.
Für sie gehe es darum, nicht mehr vor diesen Ängsten wegzulaufen. Nicht so, wie sie das im Frühling 2022 getan hatte. In Miami hatte sie mitten in einer Partie der Tschechin Linda Fruhvirtova die Hand gegeben. Sie war nicht verletzt. Sie habe sich verloren gefühlt, dort draussen auf dem Platz.
Clinical from start to finish 👏
— #AusOpen (@AustralianOpen) January 24, 2023
A 47th win at the #AusOpen for @vika7!@wwos • @espn • @eurosport • @wowowtennis • #AO2023 pic.twitter.com/PQLtWz12po
Sportlerinnen würden, sagte Asaranka, viel zu oft von Aussenstehenden für ihre Leistung kritisiert und vorschnell verurteilt. «Doch wir sind weder Bösewichte noch Helden. Wir sind normale menschliche Wesen, die durch viele Dinge gehen.» Asaranka weiss, wovon sie spricht. Jahrelang stritt sie mit dem Vater ihres Sohnes um das Sorgerecht und durfte ihren Wohnort Kalifornien nicht verlassen. Sie verpasste deswegen auch zweimal die Australian Open und hatte mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören.
Dass sie ausgerechnet jetzt, zehn Jahre nach ihrem zweiten und letzten Erfolg bei den Australian Open, wieder in der Erfolgsspur ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. 2013 hatte sie sich in der entscheidenden Phase des zweiten Satzes im Halbfinal gegen Sloane Stephens während zehn Minuten in der Kabine behandeln lassen. Danach nahm sie der Amerikanerin den Aufschlag ab, gewann das Spiel und danach das Turnier.
Daraufhin musste sich Asaranka die Kritik gefallen lassen, sie habe diese Auszeit in erster Linie aus taktischen Gründen genommen, um Stephens aus dem Rhythmus zu bringen. Darauf angesprochen sagte sie nun: «Das war das Schwierigste, das ich als Sportlerin je durchmachen musste. Ich brauchte zehn verdammte Jahre, um darüber hinwegzukommen.» Aber auch: «Ich bin im Frieden mit mir.» Derlei Kritik perle nun von ihr ab.
Als sie danach gefragt wurde, wie sie es geschafft habe, diese Ereignisse hinter sich zu lassen, sagte die 33-Jährige: «Ich habe eines gelernt: Und zwar, alles zu akzeptieren, was ich durchmache.» Da sei keine Wut mehr, keine negativen Emotionen, auch keine Angst. «Diesen Prozess geniesse ich.» Das sei zwar klischiert und viele würden das sagen. Auch sie habe das oft gesagt. «Aber ich habe es selber nicht verstanden. Jetzt tue ich es.»
2012 und 2013 hatte Viktoria Asaranka in Melbourne gewonnen, nach dem ersten Triumph war sie die Nummer 1 der Welt geworden. Die Rivalinnen damals hiessen Maria Scharapowa, Serena Williams, Caroline Wozniacki oder Agnieszka Radwanska. Sie alle sind schon zurückgetreten. Asaranka aber ist immer noch da. Und könnte am Samstag ihren dritten Australian-Open-Sieg feiern, zehn turbulente Jahre nach ihrem vorerst letzten.