Nachdem Novak Djokovic mit Alex De Minaur im Achtelfinal 6:2, 6:2, 6:1 bezwungen und damit den letzten verblieben Australier nach allen Regeln der Kunst demontiert hatte, da schritt der ehemalige Spieler Jim Courier zur Arbeit: «Ich werde dich nicht fragen wie, sondern weshalb du ihn so überzeugend besiegt hast», war die erste Frage des Amerikaners. Djokovic legte eine Kunstpause ein, lächelte und sagte dann: «Weil ich es wollte.»
Viele sahen in dieser Machtdemonstration eine Art Revancheakt an einem Spieler aus dem Land, das ihm im Vorjahr das Visum entzogen und ihn mit Schimpf und Schande ausgeschafft hatte. Zumal De Minaur sich damals klar positioniert hatte, als er sagte: «Wir sind müde vom ganzen Zirkus.» Djokovic entgegnete, er respektiere De Minaur wie alle anderen Spieler auch. Aber er sagte auch: «Er hat 2022 gezeigt, was er über mich denkt.»
Gesprächsthema im australischen Frühstücksfernsehen und im Melbourne Park ist am Tag danach aber nicht, dass die Australier weiter auf ihren ersten Sieger bei den Männern seit Mark Edmondson 1976 warten müssen.
Sondern das, was in der Nacht geschah, als Novak Djokovic zu serbischen Journalisten sprach. Ihm platzte der Kragen. Seit Wochen gibt es rund um ihn ein dominierendes Thema, das alles überlagert: die Verletzung am hinteren linken Oberschenkelmuskel, die er mit Entzündungshemmern und zermürbenden Behandlungen beim Physiotherapeuten bekämpft.
Hinter vorgehaltener Hand und in Anbetracht der formidablen Leistungen Novak Djokovics stellen viele Beobachter die Schwere der Verletzung in Frage. Darauf angesprochen, sagte Novak Djokovic am Montagabend:
Ähnlich empfand Djokovic vor zwei Jahren, als er auf dem Weg zu seinem neunten Triumph an den Australian Open einen 25 Millimeter langen Riss in der Bauchmuskulatur erlitten haben soll. Djokovic sagt nun: «Ich muss niemandem mehr etwas beweisen.» Und: «Es interessiert mich nicht mehr, was die Menschen denken und sagen. Ich bin es gewohnt – und das gibt mir zusätzlich Kraft und Motivation. Deshalb sage ich ihnen: Danke!»
Völlig gelassen nimmt er die Verdächtigungen indes nicht. «Wissen Sie, ich habe das MRI, den Ultraschall und alle Dokumente von vor zwei Jahren.» Vielleicht werde er diese in einem Dokumentarfilm veröffentlichen, der Mitte Jahr erscheinen soll. «Oder in den sozialen Medien. Das mache ich davon abhängig, wie ich mich fühle. Vielleicht tue ich es. Vielleicht nicht.»
Man kann es nicht anders ausdrücken als so: Novak Djokovic begibt sich in eine Opferrolle, aus der er Kraft für sein Tennis zieht. Mehr als einmal hat der 21-fache Grand-Slam-Sieger bewiesen, dass er am besten spielt, wenn sich in seiner Wahrnehmung die ganze Welt gegen ihn verschworen hat.
Was Novak Djokovic besonders irritiert, ist die Ungleichbehandlung, die er empfindet. «Es ist interessant, dass das Narrativ bei Spielern, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, ein ganz anderes ist als bei mir.» Vermutlich spricht er damit auf Rafael Nadal an. Dieser hatte sich im Vorjahr während Wimbledon einen Riss in der Bauchmuskulatur erlitten. Allerdings zog sich der Spanier im Gegensatz zu Djokovic danach aus dem Turnier zurück.
Hatte Djokovic in der dritten Runde gegen den Bulgaren Grigor Dimitrow noch einen verwundbaren Eindruck hinterlassen und sich mehrfach nach Ballwechseln auf den Boden gelegt, spielte er im Achtelfinal zwar immer noch mit einer Bandage, bewegte sich aber wie zu seinen besten Tagen. Danach sprach er von seinem besten Spiel in diesem Jahr. Mehr noch: Es sei ein perfekter Abend gewesen. Fantastisch fühle er sich. Und er glaube nun fest daran, das Turnier zum zehnten Mal gewinnen zu können. Zumal er der einzige Viertelfinalist ist, der schon Grand-Slam-Titel gewonnen hat.
Er danke seinem medizinischen Team und Gott, dass er sich offenbar gut von der Verletzung erholt habe, sagte Djokovic. Auch wenn er noch nicht jubeln wolle, weil er nicht wisse, wie er sich am Tag nach dem Spiel fühlen werde. Gegen De Minaur stellte Djokovic unter Beweis, dass ihn wohl nur eine Verletzung daran hindern kann, am Sonntag seinen 22. Grand-Slam-Titel zu feiern und mit Rekordhalter Rafael Nadal gleichzuziehen.
Djokovic: ja