Vier Tage ist es her, da sprachen in Monte Carlo alle nur vom möglichen Gipfeltreffen zwischen Novak Djokovic, dem besten Tennisspieler der letzten Dekade, und Carlos Alcaraz, dem 18-jährigen Spanier, der zuletzt in Miami als jüngster Spieler nach Michael Chang und Rafael Nadal ein Master-Turnier gewonnen hat. Nun unterlag der Mann der Stunde dem auch erst 21-Jährigen Amerikaner Sebastian Korda. Angesichts der neuen Breite im Männertennis ist das keine Überraschung. Schon in Miami hatte mit Kordas Landsmann Taylor Fritz (24) ein Emporkömmling die Gunst der Stunde genutzt und erstmals ein Masters-Turnier gewonnen.
Geplatzt war das Gipfeltreffen zwischen der Gegenwart (Djokovic) und der Zukunft des Männertennis (Alcaraz) schon am Dienstag, weil Djokovic bei seinem zweiten Turnier des Jahres gleich sein erstes Spiel verlor. Djokovic ist zwar wieder die Nummer 1 der Welt, hinterliess in Monte Carlo, wo er den dritten Satz gleich mit 1:6 verloren hatte, aber einen erschreckenden Eindruck. Physisch sei er «komplett zusammengebrochen», sagte der Serbe, der im Mai seinen 35. Geburtstag feiert. «Mir fehlte die Energie und ich konnte mich nicht mehr bewegen», bekannte er danach enttäuscht.
Djokovic wirkte zwar einigermassen ratlos, aber nicht hoffnungslos und schon gar nicht desillusioniert. Er habe gewusst, dass er Zeit benötige, um in Bestform zu kommen. «Mein Ziel ist es immer noch, diese in Paris zu erreichen», sagte er, der dort Titelverteidiger ist. Zudem erinnerte er daran, dass er zu Beginn der Sandsaison immer schon Mühe bekundet habe. Tatsächlich gewann er seit 2015 und seinem einzigen Sieg in Monte Carlo nur noch sieben Spiele und stand nur zwei Mal in den Viertelfinals. Kommende Woche strebt er in seiner Heimatstadt Belgrad den Titel an.
Neben der fehlenden Spielpraxis kämpft Djokovic auch mit den Geistern der Vergangenheit, die ihn immer wieder einholen wird. An den Australian Open konnte er nicht teilnehmen, nachdem ihn ein Gericht als Gefahr für die öffentliche Sicherheit taxiert und ihm die Einreise verweigert hatte. Mehrere Tage verbrachte er in Australien in Ausschaffungshaft, zwei Mal stand er vor Gericht. «Das beschäftigt mich täglich. Es schlummert in mir und wartet darauf, an die Oberfläche zu kommen», bekannte Djokovic.
Sein Status als Nummer 1 der Weltrangliste ist vorderhand nicht gefährdet. Denn mit Daniil Medwedew, der ihn im März während zwei Wochen an der Spitze abgelöst hatte, geht sein engster Verfolger ebenfalls am Stock. Nach enttäuschenden Ergebnissen in Indian Wells und Miami liess sich der 25-Jährige an der Leiste operieren und fällt für bis zu zwei Monate aus. Zudem fühlt sich der Russe auf Sand ohnehin nicht besonders wohl.
Ganz im Gegensatz zu Rafael Nadal: 62 seiner 91 Titel hat der Sandkönig auf seiner Lieblingsunterlage gewonnen, darunter sagenhafte 13 Mal die French Open. Zudem hat er mit seinen Turniersiegen in Melbourne, an den Australian Open und in Acapulco im Alter von bald 36 Jahren den besten Saisonstart seiner Karriere hingelegt. Dennoch geht auch der Spanier am Stock: Wegen einer Rippenverletzung verpasste er Monte Carlo. Auch in Barcelona wird Nadal nicht antreten. Es sei noch unklar, «wann er dieses Jahr sein erstes Turnier auf Sand» bestreiten werde, erklärte sein Manager.
Derzeit ist lediglich Training im Kraftraum, nicht aber auf dem Tennisplatz möglich. Zunächst war Nadal von einer Pause von vier bis sechs Wochen ausgegangen. Verletzungsabsenzen ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Karriere, doch wenn im Frühling auf seiner bevorzugen Unterlage Sand gespielt wurde, war Nadal immer bereit. Von den Turnieren in Monte Carlo, Barcelona, Madrid und Rom verpasste er in den letzten 18 Jahren nur eines: 2010 in Barcelona verzichtete er wegen Übermüdung. Insofern hatte bereits die Absage für Monte Carlo historische Tragweite.
Novak Djokovic ist mit sich selbst beschäftigt, Rafael Nadal und Daniil Medwedew mit ihrem Körper, wie auch der zweifache Paris-Finalist Dominic Thiem, oder der Sieger von 2015, Stan Wawrinka, der eben erst nach einjähriger Rekonvaleszenz nach zwei Operationen zurückkehrte.
Monte Carlo offenbart, was seit längerer Zeit offenkundig ist: die Zukunft des Männertennis ist zur Gegenwart geworden. Trotz oder gerade wegen des geplatzten Duells zwischen Novak Djokovic und Carlos Alcaraz. (aargauerzeitung.ch)