Nach der Disqualifikation von Novak Djokovic sind die US Open nicht zu Ende. Sie haben gerade erst richtig begonnen, die Karten werden neu gemischt. Erstmals seit 1981 (!) bei den Australian Open hat keiner der Viertelfinalisten bei den Männern zuvor schon ein Grand-Slam-Turnier gewonnen.
Letztmals feierte mit Marin Cilic bei den US Open 2014 ein Spieler seinen ersten Erfolg bei einem der vier Major-Turnieren. Er ist neben Stan Wawrinka (3 Grand-Slam-Titel), Andy Murray (3) und Juan Martin Del Potro (1) einer von vier Spielern, die in den letzten 15 Jahren die Phalanx von Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer brechen konnte.
Seit den French Open 2005, wo Rafael Nadal erstmals die Coupe des Mousquetaires gewann, triumphierten die drei bei 52 von 60 Grand-Slam-Turnieren. Der Generationenwechsel fand nie statt. Es mussten eine Pandemie ausbrechen, die Titelverteidiger Nadal und Stan Wawrinka von einer Teilnahme absehen liessen. Es musste Roger Federer verletzt fehlen, Novak Djokovic disqualifiziert werden, Andy Murray mit einer künstlichen Hüfte spielen, damit der Weg frei war für einen neuen Sieger.
Wer sind die Kandidaten auf den Titel? Und wie stehen ihre Chancen?
Der 27-jährige Österreicher stand zuletzt zwei Mal im Final von Roland Garros, wo er gegen Rafael Nadal jeweils chancenlos blieb. Einst ein Spezialist für Sandplätze, gelang ihm im letzten Jahr mit dem Titel in Indian Wells (Finalerfolg gegen Roger Federer) der Durchbruch auf Hartbelägen.
Anfang Jahr stand Thiem im Final der Australian Open, wo er eine 2:1-Satzführung gegen Novak Djokovic nicht nutzen konnte. Thiem gehört auch zur Gruppe jener Spieler, die an der Adria-Tour des Serben teilgenommen hatten, die abgesagt werden musste, nachdem es zu mehreren Coronafällen gekommen war. Thiem nahm während der Unterbrechung von März bis Mitte August an zahlreichen Schaukämpfen teil. Er nutzte die Unterbrechung auch, um an Muskelmasse zuzulegen und nahm 5 Kilogramm zu.
Er gab bisher erst einen Satz ab und besiegte zuletzt den Kanadier Félix Auger-Aliassime in drei Sätzen. Nächster Gegner ist der Australier Alex de Minaur (21, ATP 28), der erstmals in den Viertelfinals eines Grand-Slam-Turniers steht. Sein Bestresultat bei den US Open erreichte Thiem 2018, als er die Viertelfinals erreichte, wo er nach 4 Stunden und 49 Minuten gegen Rafael Nadal verlor.
Sein Stern ging vor einem Jahr bei den US Open auf, als er sich nicht nur in der Rolle des Bösewichts gefiel, sondern auch den Final erreichte, wo er einen 0:2-Satz- und Breakrückstand gegen Rafael Nadal wettmachte, ehe er doch noch als Verlierer vom Platz gehen musste.
Im Monat davor hatte er drei Finals in Folge erreicht. In Washington stoppte ihn der Australier Nick Kyrgios, in Montreal Rafael Nadal, das Masters-Turnier in Cincinnati gewann er. Medwedew wurde wegen seines unorthodoxen Stils lange leise belächelt. Der Grieche Stefanos Tsitsipas sagte der «New York Times»: «Er spielt sehr, sehr seltsam, und das meine ich nicht im negativen Sinn. Er bringt seine Gegner dazu, sich auf dem Platz unwohl zu fühlen. Er spielt die Bälle sehr flach und tief und gibt dir kaum eine Chance, mit Winkeln zu spielen.»
Medwedew bestätigte die Einschätzung: «Ich versuche, meine Gegner zu Fehlern zu verleiten. Ich habe schon viele Partien einfach deshalb gewonnen, weil mein Gegner mit meinen Schlägen nicht zurechtkam. Wenn ich mich in einem Video spielen sehe, dann frage ich mich gelegentlich selber: ‹Was tust du da?› Ich hoffe, es macht trotzdem dem einen oder andern Freude, mir zuzusehen.» Bei den US Open gab Medwedew noch keinen Satz ab. Er wäre der erste Russische Grand-Slam-Sieger seit Marat Safin 2005 bei den Australian Open. Gegner in den Viertelfinals ist ein Landsmann: Andrei Rublew (22, ATP 14).
Der Deutsche machte sich jüngst unbeliebt, als er sagte, seine Kolleginnen und Kollegen sollten sich nicht über das Protokoll zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschweren. Sie hätten schliesslich auf die Teilnahme verzichten können. In Anbetracht dessen, dass der 23-Jährige eine Suite auf der Anlage der US Open bewohnt, bereits über 23 Millionen Dollar an Preisgeld eingespielt hat, und sich einen solchen Luxus dadurch überhaupt erst leisten kann, waren die negativen Reaktionen erwartbar.
Wie wenig Gespür Zverev und seine Entourage für solche Strömungen haben, bewies man in den letzten Monaten zur Genüge. Wie Thiem, der sich immerhin entschuldigte, war Zverev einer jener Spieler, die bei Djokovics Adria-Tour antraten. Er versprach reumütig, sich in Isolation zu begeben. Nur, um Stunden später in Monte Carlo an einer Strandparty aufzutauchen. Unbestritten ist das Potenzial, das im 1,98 Meter grossen Mann steckt, der schon 11 Turniere gewonnen hat, darunter 2018 den Final der acht Jahresbesten.
Bei Grand-Slam-Turnieren tat sich Zverev indes lange schwer. Bis in diesem Jahr, als er bei den Australian Open erstmals in die Halbfinals vorstiess, wo er Dominic Thiem unterlag. Bei den US Open 2019 erreichte der Deutsche mit russischen Wurzeln die Achtelfinals. Der Protegé von Roger Federer schaltete im Viertelfinal den Kroaten Borna Coric (23, ATP 32) aus und steht so bereits im Halbfinal des Turniers.
Neben den drei Favoriten dieser Zeitung können sich noch drei weitere Spieler Chancen auf den Turniersieg ausrechnen: Der Spanier Pablo Carreño Busta (29, ATP 27, der Russe Andrei Rublew (22, ATP 14) und der Australier Alex de Minaur (21, ATP 28). Mit Ausnahme von Carreño Busta, der 2017 bei den US Open die Halbfinals erreichte, zu den Top Ten der Weltrangliste gehörte und sich als Ersatzmann für die Finals der acht Jahresbesten qualifizierte, stiess noch keiner von ihnen bei einem Grand-Slam-Turnier so weit vor.
Andrei Rublew stand 2017 bei den US Open in den Viertelfinals. Anfang Jahr gewann er ein Turnier in Doha und erreichte bei den Australian Open die Viertelfinals. Alex De Minaur gewann bereits drei Turniere, bei den Grand-Slam-Turnieren bildet ein Achtelfinal bei den US Open 2019 das Bestresultat.