«Nachträglich gesehen war das der Knackpunkt in meiner Karriere.» Jahre später sagt Raimondo Ponte diesen Satz in der Zeitschrift «Sport Magazin». Denn während die Welt dem Wechsel ins neue Millennium entgegenfiebert, zittert der Trainer des FC Zürich um seinen Arbeitsplatz. Er wird ihn verlieren.
Am 12. Dezember 1999 spielt der FC Zürich in Neuenburg, es ist die letzte Partie der Qualifikationsphase. Die besten acht Teams schaffen es in die Finalrunde, die anderen vier NLA-Mannschaften müssen im Frühling in der Auf-/Abstiegsrunde gegen die vier besten Teams der NLB ran. Der FCZ holt bei Xamax ein 1:1 und feiert – denn das Unentschieden reicht für die Finalrunde.
Doch die Zürcher rechnen nicht damit, dass der Gegner das Reglement genau studiert hat und das Matchblatt ebenfalls. Denn auf diesem sind beim FCZ acht Ausländer aufgeführt. Erlaubt sind nur sieben, weshalb Xamax einen Protest einreicht. «Irrelevant» sei dieser, glaubt Ponte da noch, «weil wir nur fünf Ausländer eingesetzt haben.» Klubpräsident Sven Hotz rechnet im schlimmsten Fall mit einer Geldstrafe.
Es dauert zwei Wochen, da fällt die Disziplinarkommission der Nationalliga ihr Urteil – und dieses ist für den FC Zürich ein Schock. Denn die Kommission bestraft den Klub wegen des Reglementsverstosses mit einer 0:3-Forfaitniederlage. Xamax rückt einen Tag vor Heiligabend in die Finalrunde nach, der FCZ fällt in die Auf-/Abstiegsrunde.
Dass Trainer Ponte schon vor dem Xamax-Match öfters die Namen von acht Ausländern aufs Matchblatt gesetzt und dies keine Konsequenzen hatte, spielt keine Rolle. Denn wo kein Kläger, da kein Richter. Und nun klagt jemand. Präsident Hotz spricht davon, dass «wieder einmal ein Exempel gegen den FCZ» statuiert worden sei.
Raimondo Ponte schweigt unmittelbar nach dem Urteilsspruch und äussert sich nach den Feiertagen. «Der Kampf um die Gerechtigkeit geht jetzt erst richtig los», kündigt der 34-fache Nationalspieler im «Blick» an. In den neapolitanischen Adern koche das Blut, schreibt das Blatt. «Mein Ruf und meine Karriere stehen auf dem Spiel», ahnt Ponte.
In seiner Verzweiflung wendet sich der Aargauer gar an FIFA-Präsident Sepp Blatter. Durch einen Schneesturm sei Ponte zu ihm gefahren, berichtet der «Blick». Blatter betont jedoch, dass er sich nicht in den Schiedsspruch der Nationalliga einmische. Er habe Verständnis für den Entscheid, «schliesslich sind Reglemente da, damit man sie einhält. So gesehen kann ich Ponte keine Hoffnung machen.»
Der 44-jährige Ponte kann wirbeln wie er will, er erreicht sein Ziel nicht. Mitte Februar bestätigt ein dreiköpfiges Schiedsgericht das Forfait-Urteil endgültig. «Dieser Entscheid ist ein Witz!», tobt Raimondo Ponte, «er hat mit Fussball nichts zu tun. Ich war überzeugt, dass das Urteil umgestossen wird.» FCZ-Jurist Urs Scherrer spricht von einem «Rückfall ins sportjuristische Mittelalter». Die Argumente seines Klubs seien überhaupt nicht berücksichtigt worden.
Einen Monat später beginnt der FCZ die Auf-/Abstiegsrunde mit einem 0:0 in Aarau. Als er Bellinzona 4:0 schlägt und in Thun gewinnt, scheint er auf gutem Weg zu sein. Doch es folgen: ein 0:3 zuhause gegen Delémont, eine 0:1-Niederlage in Sion und ein 1:2 im Letzigrund gegen Baden. Nur noch 2900 Fans verfolgen das Trauerspiel.
Es ist die letzte Partie unter Raimondo Ponte. Einen Tag später entlässt Sven Hotz seinen Trainer. Um den wartenden Reportern auszuweichen, will Ponte durch das Fenster seines Büros türmen. Aber auch dort stehen Journalisten, also steigt Ponte fluchend zurück, um das Stadion durch den normalen Ausgang zu verlassen.
Präsident Hotz ist bewusst geworden, dass Ponte nach dem Verpassen der Finalrunde im Team keinen Rückhalt mehr hat. «Auch wenn dies nie offen ausgesprochen wurde, der Groll gärte», weiss die NZZ. Die Spieler hätten Ponte den Fehler beim Ausfüllen des Matchblatts nie verziehen.
«Der Brand ist erst einmal gelöscht», formuliert Captain Urs Fischer im «Tages-Anzeiger». Dass ein Entscheid gefällt worden sei, könne dem Team gut tun. Das macht es in der Tat: Unter Nachfolger Gilbert Gress hält der FC Zürich nicht nur die Klasse, er wird sogar Cupsieger. So paradox es auch ist: Am Ende einer völlig verkorksten Saison hat der FCZ nach 19 Jahren Unterbruch wieder einmal einen Titel gewonnen.
Während der FC Zürich in den folgenden Jahren während einiger Zeit an gute, alte Zeiten anknüpfen kann (je zwei Meistertitel und Cupsiege zwischen 2005 und 2009), geht es mit Raimondo Ponte bergab. «Irgendwie hat es bei mir seither als Trainer nie mehr so geklappt wie früher», sagt er im Jahr 2007.
Carrara (Italien), Wohlen, YF Juventus, Chiasso, Bellinzona und Lugano heissen seine Arbeitgeber – ehe Ponte 2014 unverhofft in die Super League zurückkehrt. Er bewahrt den FC Sion vor dem Abstieg, muss im Wallis aber trotzdem gehen.
Im Frühling 2015 misslingt Raimondo Ponte die gleiche Mission beim FC Aarau: Die Rüebliländer steigen in die Challenge League ab. Er darf zunächst als Sportchef auf dem Brügglifeld bleiben, später wird er dann doch noch entlassen.