Ein Tennis-Champion wie Roger Federer beherrschte das Spiel auf jeder Unterlage. Dass wir das auch über Fussballer feststellen können, ist eine ungewöhnliche Erkenntnis. Denn in aller Regel ist deren Unterlage stets Rasen, häufig so akkurat gestutzt wie Federers «Teppich» in Wimbledon.
Doch Mitte April 1998 ist in Moskau nichts mit Teppich. Es hat lange geschneit, der Platz des Dynamo-Stadions liegt unter einer dicken Schneedecke begraben. Am Matchtag sieht es so aus:
Dem Akkord-Schneeschaufeln sei Dank: Das Rückspiel des UEFA-Cup-Halbfinals kann tatsächlich ausgetragen werden. Natürlich auch mit dem Hintergedanken des Gastgebers, so einen Vorteil zu haben. Inter Mailand muss eine 2:1-Führung aus dem Hinspiel verteidigen – auf einem Platz, der laut Verteidiger Giuseppe Bergomi «ein Mix aus Schnee, Schlamm und Sägemehl» ist.
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Wie gut für die Inter-Legende Bergomi, dass er an diesem Abend einmal mehr auf den besten Stürmer der Welt zählen darf. Der Brasilianer Ronaldo, 1996 und 1997 zum Weltfussballer gekürt, ist im Frühling 1998 vielleicht auf seinem Zenit. Sein Tempo und seine Technik sind Waffen, welche jeden Gegenspieler vor gewaltige Probleme stellen.
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«Ronaldos Fähigkeiten waren grenzenlos», schwärmt Bergomi noch Jahre später, wenn er an diesen Auftritt denkt. 2019 sagt er über seinen einstigen Mitspieler: «Ich sah vor Ronaldo keinen wie ihn und ich sah nach ihm keinen wie ihn. Was er bei hohem Tempo drauf hatte, bleibt brillant und unerklärlich.»
In Moskau gleicht der Platz einem Acker. Vermutlich würde es keinen Zuschauer erstaunen, bekäme er statt Fussball die russischen Meisterschaften im Radquer zu sehen. Erst kurz vor Spielbeginn ist die rund 30 Zentimeter hohe Schneeschicht weggeräumt. Das Heimteam kommt mit den Umständen erwartungsgemäss besser zurecht. Die verdiente Führung durch Andrei Tichonow ist die logische Folge.
Weil es Spartak jedoch versäumt, nachzulegen, bleibt Inter im Spiel. Kurz vor der Pause schlägt es erstmals im Moskauer Tor ein. Ronaldo reagiert blitzschnell und gleicht mit einem Abstauber zum 1:1 aus.
Im Gesamtskore liegt Inter nun mit 3:2 vorne. Ein weiterer Treffer der Mailänder und die Begegnung ist entschieden – ein Tor der Russen und es gibt Verlängerung.
Der Superstar persönlich sorgt dafür, dass es im winterlichen Moskau keine Zusatzschicht gibt. Eine Viertelstunde vor dem Ende erhält Ronaldo in der gegnerischen Platzhälfte nach einem Einwurf den Ball. Er nimmt ihn an, setzt sich von seinem Kontrahenten ab und sprintet Richtung Tor. Nach einem Doppelpass mit Ivan Zamorano ist er im Strafraum, tanzt dort zwei Verteidiger aus, lässt Goalie Alexander Filimonow aussteigen und schiebt mit links zur 2:1-Führung ein. Ein grandioses Tor – und auf dieser Unterlage schlicht ein Stück Magie.
Trainer Gigi Simoni fehlen die Worte: «So ein Tor auf so einem Platz – das ist etwas, das man nicht beschreiben kann.» Dabei hat ihm der Ausnahmestürmer vor dem Spiel angekündigt, zu treffen, wie Mitspieler Francesco Moriero verrät. «Es war absurd, das Feld war voller Schlamm und es war so kalt, dass das Aufwärmen nur drei Minuten dauerte. Ronaldo ging zum Trainer und sagte: ‹Keine Sorge, ich sorge dafür, dass wir gewinnen.› Und dann begann er, auf dem Schlamm zu tanzen.»
Ein Jahr nach dem verlorenen Endspiel gegen den FC Schalke 04 greift Inter Mailand damit erneut nach dem UEFA-Cup. Neu ist, dass der Final nicht mehr in Hin- und Rückspiel, sondern in einer Partie auf neutralem Boden ausgetragen wird. Im Parc des Princes in Paris kommt es zu einem rein italienischen Duell mit Lazio Rom. Dieses wird eine deutliche Sache: Dank Treffern von Ivan Zamorano (5.), Javier Zanetti (60.) und Ronaldo (70.) siegt Inter 3:0 und holt sich die Trophäe.
Für Neuzugang Ronaldo ist es der zweite Europacup-Sieg, im Jahr zuvor schoss er den FC Barcelona zum Triumph im Cup der Cupsieger. Bei diesen zwei Europacup-Pokalen bleibt es bis zu seinem Abschied aus Europa als 32-Jähriger. Die Champions League kann «il Fenomeno» nie gewinnen.
Dafür stemmt er 2002 den WM-Pokal in die Höhe. Nach schwierigen, von Verletzungen geprägten Jahren ist Ronaldo Luis Nazario de Lima noch einmal ganz der Alte. Er wird mit acht Treffen WM-Torschützenkönig, erzielt im Final beide Treffer zum 2:0-Sieg gegen Deutschland und wird Ende 2002 zum dritten Mal als Weltfussballer des Jahres ausgezeichnet. Nur Lionel Messi und Cristiano Ronaldo wird diese Ehre noch häufiger zuteil.