Wer kennt es nicht, das legendäre Bild von Roger Federer und Stan Wawrinka von den Sommerspielen 2008 in Peking: Wawrinka rücklings mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Boden, Federer kniend über ihm, mit den Händen wedelnd.
Der Bildband dazu zeigt, wie sich Federer über Wawrinka beugt, sich seine imaginären kalten Hände reibt und diese am brennenden Wawrinka aufwärmt. Schliesslich fallen sich die beiden in die Arme. «Er war heute so heiss, ich wollte mich noch an ihm wärmen. Er hat fast gebrannt», erklärt Federer im Nachgang.
Was vielen in der Zwischenzeit entgangen sein dürfte, ist, dass das Original nicht vom Final stammt, sondern vom Halbfinal, dem 7:6, 6:4-Erfolg gegen das hoch favorisierte Zwillingsdoppel Bob und Mike Bryan zu später Stunde. Im Final wiederholen die zwei Schweizer bloss, was sich tags zuvor bei nassen Bedingungen spontan ergeben hat.
Mit seiner Geste drückt Federer auch aus, wer die treibende Kraft hinter dem Doppel-Coup ist: jener Stan Wawrinka, den er in den Startrunden noch hat mitreissen müssen und der dann, nach dem Viertelfinal gegen die Inder Mahesh Buphati/Leander Paes, richtig heissläuft. Der Winner um Winner schlägt bis zum 6:3, 6:4, 6:7, 6:3-Sieg im Final gegen die Schweden Simon Aspelin/Thomas Johansson, so wie man es in einer solchen Regelmässigkeit noch nicht von ihm kennt.
Das Doppel mit Wawrinka ist für Federer Balsam, es hilft ihm aus einer schwierigen Phase heraus. Vor Peking ist er in Wimbledon auf bittere Weise von Rafael Nadal entthront worden, im olympischen Einzel scheitert er bereits im Viertelfinal gegen James Blake.
In den folgenden Monaten gewinnt er das US Open und bricht den Grand-Slam-Rekord von Pete Sampras. Auch für Wawrinkas Psyche ist das Olympia-Märchen mit Federer wertvoll. Der Lausanner, 2003 French-Open-Sieger bei den Junioren und im Olympiajahr erstmals in die Top 10 der Weltrangliste vorgestossen, wartet zu jenem Zeitpunkt noch auf den grossen Wurf.
2006 hat er im kroatischen Umag sein erstes ATP-Turnier gewonnen, im grossen Schatten von Landsmann Roger Federer haftet ihm aber der Ruf des notorischen Verlierers an. Immer wieder verstrickt er sich an Grand-Slam-Turnieren früh gegen unterdotierte Gegner in Abnützungsschlachten.
«Stan the Man» ist noch «Marathon-Stan», eine unberechenbare Wundertüte. Seine Bescheidenheit, die Demut vor den lange unerreichbaren Big Four Federer, Nadal, Djokovic und Murray, wird ihm als fehlender Glaube an seine eigenen Stärken ausgelegt. Bevor ihm der Trainer Magnus Norman ab 2013 definitiv jenes Selbstvertrauen einimpft, das ein Grand-Slam-Sieger braucht, erkennt Wawrinka, dass er sich auf dem Platz nicht hinter Federer verstecken muss.
Federer spricht hinterher von einem seiner schönsten Erfolge. Zu Olympischen Spielen hat er seit jeher eine besondere Bindung, obwohl diese im Tennis nicht den höchsten Stellenwert besitzen. Er verpasst keine Spiele freiwillig, schätzt die Begegnungen mit anderen Sportlern, kam 2000 in Sydney mit Frau Mirka zusammen, ist 2004 und 2008 der Schweizer Fahnenträger. Und findet nach anfänglichen sportlichen Enttäuschungen auch zum Erfolg, 2008 mit Wawrinka, 2012 in London mit Silber im Einzel.
Mit der Wiederholung des Doppel-Coups klappte es in London nicht. Doch im Davis Cup lebt der Geist von Peking nach sechs Jahren noch einmal auf. In Lille gewinnen «Fedrinka» den Final gegen Frankreich, unter anderem dank einem Dreisatz-Sieg im Doppel gegen Richard Gasquet und Julien Benneteau zum 2:1. (dab/sda)