Als Ted Ligety im Februar 2021 seinen Rücktritt bekanntgibt, tut er das als einer, der seine Sportart geprägt und auf ein neues Niveau gehoben hat. Der Amerikaner konnte im Riesenslalom Kurven fahren wie niemand vor ihm.
2006 weiss das noch niemand. Da ist der 21-Jährige aus Park City (Utah) ein aufstrebendes Slalom-Talent, das soeben seine ersten Weltcup-Podestplätze in dieser Disziplin eingefahren hat. Er reist als Mitfavorit an die Olympischen Spiele von Turin – wo er in der Kombination überraschend die Goldmedaille gewinnt.
Ligety wird in der Abfahrt lediglich 32. und triumphiert dank Bestzeit in den zwei Slalom-Durchgängen. Er profitiert auch davon, dass Topfavoriten wie Lasse Kjus, Benjamin Raich, Bode Miller oder Aksel Lund Svindal ausscheiden. Der Schweizer Daniel Albrecht verpasst das Podest bloss um sechs Hundertstel.
Wer als Skifahrer in den USA für Aufsehen sorgen will, der muss Olympiasieger werden. Entsprechend ist in den Tagen nach dem Erfolg viel los bei Ted Ligety. Er freut sich auf etwas ruhigere Tage, als der Weltcup-Tross für die ersten Rennen nach Olympia nach Südkorea disloziert. In Yongpyong stehen zwei Riesenslaloms auf dem Programm, noch ist dies Ligetys schwächere Disziplin.
Vielleicht ist es der Jetlag, vielleicht die grosse Belastung der zurückliegenden Wochen, womöglich eine Mischung aus beidem. Aber als der erste der beiden Riesenslaloms ansteht, fehlt Ted Ligety am Start. Mit der simplen Begründung: verschlafen.
«Ich habe den Wecker überhört und bin erst während des ersten Durchgangs aufgewacht», verrät Ligety. Den Trainern war erst während der Besichtigung aufgefallen, dass ihr Shootingstar nicht auf der Piste ist. Die Italiener Davide Simoncelli und Massimiliano Blardone feiern einen Doppelsieg.
Tags darauf dürfte Ligety mehr als einen Wecker gestellt haben. Wer will schon für zwei Skirennen nach Südkorea fliegen, um dann gleich zwei Mal zu verschlafen?
Der erste Durchgang gelingt Ted Ligety, aber als Achter denkt er kaum daran, dass er erstmals gewinnen könnte. Doch das tut er an diesem windigen Tag. Alle, die noch oben sind, beissen sich an seiner Zeit die Zähne aus. Am nächsten kommen ihm der Schwede Fredrik Nyberg und der Finne Kalle Palander, die zeitgleich mit drei Hundertstel Rückstand Zweite werden.
«Ich war gestern ziemlich deprimiert, aber der heutige Tag macht das wieder wett», freut sich Ligety, der sein Versäumnis rückwirkend betrachtet positiv sah. «Wenn ich gestern gefahren wäre, wer weiss, was ich heute gemacht hätte.» Der erste Weltcupsieg schmecke sehr süss, auch wenn er ihn eher im Slalom erwartet hätte. «Dass er im Riesenslalom passiert ist, ist verrückt. Ich fuhr zuletzt zwar ziemlich gut, aber nicht so wie heute.»
Dieser spezielle Erfolg ist der erste von 25 Weltcupsiegen – alle bis auf einen erringt Ted Ligety im Riesenslalom. Er gewinnt in dieser Disziplin fünf Mal die Kristallkugel für den besten Fahrer des Winters, er wird fünf Mal Weltmeister (drei Mal in Folge im Riesenslalom) und er krönt seine Karriere 2014 in Sotschi mit dem zweiten Olympiagold, dieses Mal im Riesenslalom.
Dass er noch einmal vor einem Rennen verschlafen hat, ist nicht bekannt. Ted Ligety hat seine Lektion gelernt.