Eintracht Trier ist kein grosser Name des deutschen Fussballs. Ein paar Saisons in der 2. Bundesliga, damit hat es sich. So bildet die Pokal-Saison 1997/98 den Höhepunkt der Vereinsgeschichte – vielleicht einmal davon abgesehen, dass Schlagersänger Guildo Horn, der aus Trier stammt, die Klubhymne «Hier kommt die Eintracht» kreiert hat.
Im Sommer 1997 ist diese Eintracht ein völlig durchschnittlicher Regionalligist, der in der Vorsaison Rang 9 belegt hatte. Doch nun im DFB-Pokal fährt das drittklassige Trier andere Geschütze auf. In der 1. Runde muss mit der SpVgg Unterhaching aus der 2. Bundesliga ein erster Oberklassiger die Segel streichen. Trier schlägt die Münchner zuhause mit 2:1.
Rudi Thömmes wird in dieser Partie nach der Pause eingewechselt. Doch im nächsten Pokalspiel steht der 29-jährige Offensivspieler in der Startelf. Mit dem FC Schalke 04 kommt nicht nur ein Bundesliga-Topteam, die Schalker haben wenige Monate zuvor sogar den UEFA-Cup gewonnen. Und es ist der Klub, von dem Thömmes Fan ist.
«Schalke hat uns total unterschätzt», erinnert sich Thömmes, «gleichzeitig haben wir zu 100 Prozent unsere Leistung abgerufen und sind von Minute zu Minute selbstbewusster geworden». Als beim Gegner die Unzufriedenheit zunahm und sich die Spieler gegenseitig anschnauzten, hätten sie gemerkt, «dass etwas geht», so Thömmes.
Eine Viertelstunde vor dem Ende steht es im Moselstadion immer noch 0:0, als Thömmes rund 20 Meter vor dem Tor angespielt wird. «Ich treffe den Ball super, mit dem Aussenrist links oben ins Eck», schildert er, wie er Schalke-Torhüter Jens Lehmann bezwungen hat. «In der Kabine hat Lehmann hinterher aus Frust die Tür eingetreten.»
Die Freude ist riesig und sie hält in Trier an, als die Auslosung der Eintracht den nächsten Top-Gegner beschert: Borussia Dortmund, als amtierender Champions-League-Sieger die beste Fussballmannschaft Europas.
Der BVB hätte gewarnt sein können. Doch auch er unterschätzt Aussenseiter Trier. Wieder ist Rudi Thömmes der gefeierte Held: Beim 2:1-Sieg schiesst er das herrliche 1:0 und ein Foul an ihm gibt einen Penalty, der zum 2:0 führt. «Als Schalke-Fan war es für mich natürlich wichtig, nachdem ich meinen Verein aus dem DFB-Pokal geschossen habe, das dann auch mit dem BVB zu machen. Es war eine Genugtuung», erzählt Thömmes.
Rudi Thömmes, ein Stürmer mit über 500 Spielen für Eintracht Trier und den FSV Salmrohr, schiesst nacheinander die Revier-Riesen Schalke und Dortmund ab – was für eine Geschichte! «Pokalschreck zu werden, kann man keinem beibringen», hält Thömmes philosophisch fest, «als Pokalschreck wird man an dem Tag geboren». Dazu müsse aber auch die Mannschaft stimmen und Fortuna müsse dem Underdog beistehen.
«Letztlich hatten wir zwei Riesentage und das nötige Glück. Anders ist so etwas nicht möglich.» Es liege am Gegner, dass Sensationen möglich sind, findet Thömmes. «Wenn ein Bundesligist mit der richtigen Einstellung in ein Spiel geht, hast du als kleiner Verein keine Chance – egal, wie du spielst.»
Triers Lauf im DFB-Pokal geht weiter. In den Viertelfinals muss Zweitliga-Absteiger Waldhof Mannheim dran glauben. Eintracht Trier steht im Halbfinal und ist nur noch einen weiteren Sieg vom Endspiel im Berliner Olympiastadion entfernt. Gegner dort, das ist seit dem Vorabend des Duells mit dem MSV Duisburg klar, wäre Bayern München.
Beide Teams können nicht verbergen, wie viel auf dem Spiel steht. Die Defensive steht im Fokus, und nach Duisburgs Führungstor und während sich die Spielzeit der 90-Minuten-Marke nähert, scheint es, als wäre das Trierer Pokal-Märchen vorbei. Da schiesst Dirk Fengler in der 89. Minute das 1:1, das zur Verlängerung führt. In dieser ist die Eintracht näher am Siegtor, aber es fällt nicht. So kommt es zu einem epischen Penaltyschiessen, in dem alle 22 Spieler antreten müssen. Am Ende trifft Duisburg-Keeper Thomas Gill, während Trier-Torhüter Daniel Ischdonat verschiesst. 10:9 für die «Zebras», die damit im Final stehen (den sie gegen Bayern 1:2 verlieren werden).
«Es hat eine Zeitlang gedauert, bis ich das verarbeitet hatte», gibt Rudi Thömmes, der aus elf Metern trifft, zu. «Aber man sollte auf dem Teppich bleiben. Duisburg war zu dieser Zeit eine gute Bundesligamannschaft. Es war trotz der Halbfinalniederlage eine unheimlich schöne Zeit.»