Bei der EM 1996 in England macht sich die «Goldene Generation» um Luis Figo auf, Portugal endlich in den Kreis der grossen Fussball-Nationen zu schiessen. Doch ein genialer Lob des Tschechen Karel Poborsky stürzt die Portugiesen viel zu früh ins Elend.
Drei Jahre nach der Trennung vom Bruderstaat und der Auflösung der Tschechoslowakei nimmt Tschechien zum ersten Mal als eigenständige Fussballnation an einem grossen Turnier teil. Als krasser Aussenseiter erreicht das Team von Dusan Uhrin an der EM 1996 in England sogar den Final, wo es erst nach dem Golden Goal von Oliver Bierhoff als Verlierer vom Platz muss. Am Anfang des «tschechischen Wunders» steht das Tor eines langhaarigen Draufgängers namens Karel Poborsky.
Die Tschechen kämpfen sich mit ihrem jungen Kader um Pavel Kuka, Pavel Nedved, Patrik Berger, Vladimir Smicer und Karel Poborsky mehr schlecht als recht durch die Gruppenphase. Nach der 0:2-Auftaktpleite gegen Deutschland reicht es zu einem knappen 2:1-Sieg gegen Italien und einem Last-Minute-3:3 gegen Russland. Nur dank des Siegs im Direktduell mit dem punktgleichen Italien qualifiziert sich der Aussenseiter für den Viertelfinal.
Dort wartet mit Portugal der Geheimfavorit auf den Titel. Die «Goldene Generation» um Luis Figo, Rui Costa, Sa Pinto, João Pinto, Fernando Couta und Paulo Sousa, die 1989 und 1991 Junioren-Fussballweltmeister wurde, ist erwachsen geworden und soll den WM-Dritten von 1966 endlich auch bei einem grossen Turnier zum Erfolg führen. Der Start ist verheissungsvoll und löst in der Heimat bereits eine grosse Euphorie aus: 1:1 gegen Dänemark, 1:0 gegen die Türkei und 3:0 gegen Kroatien.
Natürlich ist die Seleção im Viertelfinal gegen Tschechien der haushohe Favorit. Und die Portugiesen werden ihrem Ruf gerecht. In der ersten Halbzeit müssten sie im Villa-Park von Birmingham zwei-, dreimal in Führung gehen, doch Petr Kouba im tschechischen Tor hat etwas dagegen und pariert die Schüsse von Sa Pinto und Rui Costa mirakulös.
Kurz nach dem Pausentee verschaffen sich die Tschechen mit einem Konter wieder einmal etwas Luft. Vladimir Smicer passt auf Poborsky, der sofort den Weg Richtung Tor sucht. Mit etwas Glück wuselt sich der sonst so versierte Techniker mit den langen Haaren bis zum Strafraum durch. Ob er sieht, dass Portugal-Keeper Vitor Baia viel zu weit vor seinem Kasten steht, ist nicht überliefert.
Poborsky setzt zu einem Heber, besser gesagt zu einem Lob, an und schaufelt den Ball in hohem Bogen perfekt über Baia zum 1:0 ins Tor. Dabei bleibt es. Dank Poborskys genialem Heber ziehen die Tschechen in den Halbfinal gegen Frankreich ein, wo sie im Penaltyschiessen siegen. Der Lob gegen Portugal ist eines von nur acht Toren, die der freche Stürmer in 118 Länderspielen für Tschechien erzielen sollte.
Nach der Euro ist Poborsky – wie die anderen tschechischen Jungstars – in ganz Europa heiss begehrt. Schliesslich macht Manchester United das Rennen. Doch der Transfer kommt für den damals 24-Jährigen zu früh. Poborsky kann sich in der Premier League nicht durchsetzen.
Bei Benfica Lissabon, Lazio Rom und Sparta Prag erlebt der geniale Techniker aber doch noch erfolgreiche Jahre. Den Heber gegen Portugal bezeichnet Poborsky als einen der tollsten Augenblicke seiner Karriere: «Ich denke immer noch sehr gern daran zurück.» Portugal musste noch 20 Jahre und eine weitere Finalniederlage warten, bis ihr Traum vom EM-Titel 2016 ein Ende hatte.