Jonas Raess stellt einen neuen Schweizer Rekord auf. Der 29-jährige Leichtathlet tut dies binnen Jahresfrist sogar zweimal. Zunächst knackt er die Indoor-Bestmarke über 5000 m, dann über 3000 m. Das Aussergewöhnliche daran: Der Zürcher Langstreckenläufer ernährt sich im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit seiner Mitstreiter nicht fleischlastig, sondern seit 1.5 Jahren vegan. Heisst: Er verzichtet auf alle Nahrungsmittel tierischen Ursprungs.
Doch was passiert mit einem Körper, der auf rund 20 Stunden Training pro Woche getrimmt ist, wenn der Energiehaushalt nur noch über pflanzliche Ernährung gedeckt wird? Leistungsschwankungen habe er nicht bemerkt, erzählt Raess. Er hat aber etwas anderes festgestellt: «Ich habe rasch gespürt, dass ich mehr essen muss. Die Kaloriendichte war nicht mehr gleich hoch und ich verlor etwas an Gewicht.»
Diese Beobachtung bestätigt auch Marvin Grossmann. Er ist Facharzt für Kardiologie und Allgemeine Innere Medizin sowie Sportmediziner am Universitätsspital Zürich. Eine vegane Ernährung beinhaltet häufig Lebensmittel mit einem höheren Fasergehalt. «Diese Lebensmittel weisen eine geringere Energiedichte auf und können zu einem höheren Sättigungsgefühl führen, was wiederum eine Gewichtsabnahme und auch langfristige Gewichtsstabilität unterstützt. Allerdings müssen vor allem Sportler darauf achten, dass sie bei Ausdauerleistungen auch genügend Energie zuführen.»
Zur Umstellung bewogen haben Raess insbesondere zwei Aspekte: Ethik und Ökologie. «Ich selbst könnte kein Tier töten. Dann stellte ich mir die Grundsatzfrage: ‹Weshalb essen, wenn ich es nicht töten kann?›» Ihm sei durchaus bewusst, dass der ökologische Fussabdruck aufgrund seines Berufs alles andere als optimal sei: Trainingsgruppe in Amerika, Wettkämpfe rund um den Globus, manchmal muss er den Flieger innert wenigen Tagen mehrmals besteigen. Er versuche deshalb zu beeinflussen, was in seinen Händen liege.
Als sich der 29-Jährige für Veganismus entscheidet, stösst er immer wieder auf Produkte, auf die er nicht mehr zurückgreifen darf. Nicht immer ist es offensichtlich. Beispielsweise bei Vitaminkapseln, die mit Gelatine umhüllt werden. Häufig wird aus Kostengründen auf Rindergelatine zurückgegriffen. Mittlerweile hat er den Durchblick und bereut seine Entscheidung nicht. Nur eine geschmackvollere Alternative zu Mozzarella würde er sich wünschen.
Vegan ist grundsätzlich weder gesund noch ungesund. Die Ausgewogenheit mache den Unterschied, betont der Mediziner und Ernährungsspezialist. Eine schlecht zusammengestellte vegane Ernährung birgt das Risiko eines Mangels an bestimmten Eiweissen, Vitamin D, Eisen, Zink, Kalzium, Jod und vor allem Vitamin B12. Deswegen sei es wichtig, dies mit ausgewählten und angereicherten Lebensmitteln sowie teilweise auch durch Nahrungsergänzungsmittel auszugleichen. Eine regelmässige Blutkontrolle verschafft Klarheit.
Die korrekte Umsetzung könne gar positive Nebeneffekte bieten: «Studien haben gezeigt, dass eine pflanzlich-basierte Ernährung, insbesondere wenn sie reich an hochwertigen unverarbeiteten Lebensmitteln wie Vollkornprodukten, Obst, Gemüse und Nüssen ist, mit einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Herzinfarkt und Schlaganfälle, verbunden ist», sagt Facharzt Grossmann.
Grundsätzlich könne nahezu jede Person, egal ob Hobby- oder Profi-Sportler, auf Veganismus umstellen. Besondere Vorsicht sei jedoch bei Kindern und Jugendlichen in der Wachstumsphase, aber auch bei Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit geboten. In dieser Phase sei das Risiko für einen Nährstoffmangel besonders hoch, erklärt Grossmann. Zwar könne auch in dieser Lebensphase in Einzelfällen auf Veganismus gesetzt werden, es sei jedoch ratsam, einen Experten beizuziehen, um langfristige Gesundheitsschädigungen zu vermeiden.
Bereits seit acht Jahren verzichtet Alina Sönning auf Produkte tierischen Ursprungs. Die 22-jährige Leichtathletin ist Schweizer U23-Rekordhalterin über 10 km. «Für mich hat es viele gesundheitliche Vorteile.» Einerseits habe die Langstreckenläuferin festgestellt, dass sie sich rascher regenerieren könne, andererseits sei das Verletzungsrisiko geringer.
Hat Veganismus also gar noch entzündungshemmende Effekte zur Folge? Sportmediziner Marvin Grossmann relativiert. «Anhand der Studien in den letzten Jahren ist diese Frage bisher nicht abschliessend geklärt. Zwar konnte durch eine pflanzliche Ernährung eine Reduktion einzelner Entzündungsmarker im Blut nachgewiesen werden, die langfristigen Auswirkungen auf den menschlichen Organismus sind jedoch nicht eindeutig erforscht.»
Die meisten Schweizer Lebensmittelläden bieten inzwischen eine bunte Auswahl an veganen Lebensmitteln. Die grösste Herausforderung stellt sich den beiden Profi-Sportlern im Ausland. So musste Sönning bei ihrem kürzlichen Südafrika-Aufenthalt etwas umdisponieren. «Einer von zwei Koffern war praktisch voll mit Essen oder Ersatzprodukten», sagt sie schmunzelnd. Raess pflichtet lachend bei:
Dumme Sprüche wegen ihrer Ernährung müssen sich die beiden Schweizer Langstreckenläufern nur noch selten anhören. «Mit meinen Resultaten liefere ich die beste Antwort», sagt der 29-jährige Langstreckenläufer.
Jonas Raess findet es wichtig, dass es Vorbilder gibt, die aufzeigen, dass Höchstleistungen trotz oder gerade wegen einer angepassten Ernährung möglich sind. Sportgrössen wie Novak Djokovic oder Lewis Hamilton schwören auf Veganismus. Der Zürcher Leichtathlet ist von seinem Weg überzeugt. Den nächsten Schweizer Rekord hat er bereits fest im Blick. Nun soll die Bestmarke über 10 000 Meter fallen.
Finde die Aussage: „ Vegan ist grundsätzlich weder gesund noch ungesund“ sehr gut. So ist es mit den meisten Ernährungsformen, auch wenn Veganismus primär eine Philosophie ist.
Solche Artikel braucht es mehr! :)
Er hat es kapiert (anders als – bei allem Respekt – Odermatt).