Marlen Reusser und Demi Vollering, so heissen die letzten Siegerinnen der Tour de Suisse Women. Und sie stehen auch in diesem Jahr im Fokus, obschon die Konkurrenz erstklassig ist – zum Beispiel die Tour-de-France-Siegerin Katarzyna Niewiadoma oder die frühere Weltmeisterin Elisa Balsamo aus Italien.
Nach einem schwierigen Jahr mit einem bösen Sturz bei der Flandern-Rundfahrt (Kieferbruch, Bruch beider Gehörgänge, Zahnverlust), der mehrere Operationen nach sich zog, und der Erkrankung am Post-Covid-Syndrom befindet sich Marlen Reusser, die Vize-Olympiasiegerin im Zeitfahren 2021, in einer blendenden Verfassung.
Gleich ihr erstes Rennen für ihr neues Team Movistar gewann die 33-Jährige, Anfang Mai wurde sie bei der Vuelta Zweite (hinter Vollering). Zuletzt gewann sie zwei Etappen der Burgos-Rundfahrt, die Gesamtwertung, den Bergpreis und das Punkteklassement.
Seit einigen Monaten lebt Reusser in Andorra, wo sie kürzlich Leistungstests absolviert habe, die sie selbst in Staunen versetzt hätten. «Ich war baff. So etwas habe ich noch nie gesehen», sagte sie vor dem Start der Tour de Suisse zum Schweizer Fernsehen. «Zur absoluten Nummer 1 der letzten Rennen, Demi Vollering, fehlt nur noch ein My.»
Vollering ist die Vorjahressiegerin, gewann schon die Vuelta, die Tour de France und Klassiker wie Lüttich-Bastogne-Lüttich, Flèche Wallonne, Strade Bianche oder das Amstel Gold Race. Seit 2023 lebt die Niederländerin in der Schweiz, erst in der Region Basel, inzwischen in der Luzerner Gemeinde Meggen am Vierwaldstättersee.
Wie Reusser hat Vollering auf diese Saison hin das Team gewechselt und unterschrieb für zwei Jahre beim Team FDJ-Suez, für das auch die Schweizerin Elise Chabbey fährt. Dabei entschied sich die 28-Jährige gegen eine Offerte des Teams UAE, das ihr eine Million Franken Lohn geboten haben soll.
Auch bei den Männern zahlt das Team, das unter der Lizenz der Vereinigten Arabischen Emirate fährt und seinen Sitz in Lugano hat, die besten Löhne.
Spitzenverdiener Tadej Pogacar zum Beispiel dürfte mehr als acht Millionen Franken im Jahr verdienen. Das ist doppelt so viel, wie den besten Equipen bei den Frauen als Budget für eine ganze Saison zur Verfügung steht.
Dennoch hat sich der Frauenradsport in den letzten Jahren erfreulich entwickelt. Auf World-Tour-Stufe (15 Equipen) gibt es seit 2020 Mindestlöhne. Davor waren viele auf Preisgeld, Nebenjobs oder aber Geldgeber angewiesen, sogar Reusser.
In ihrem ersten Profijahr fuhr sie ohne Lohn, als sie 2021 Olympia-Silber im Zeitfahren gewann, erhielt die inzwischen dreifache Europameisterin gerade einmal 3500 Franken im Monat.
Zugeknöpfter gab sie sich, als sie Ende 2021 mit dem «Tages-Anzeiger» über das Thema Geld sprach, sagte aber, ihr Lohn sei nicht sechsstellig. Mit dem Wechsel zum spanischen Team Movistar dürfte sich das geändert haben.
Fahrerinnen können angestellt oder selbstständig sein. Angestellte erhalten einen fixen Lohn, sind bei Krankheit oder Unfall abgesichert und haben mehr rechtliche Sicherheit – allerdings ist der Lohn tiefer. Selbstständige Fahrerinnen verdienen zwar mehr, müssen aber ihre Sozialversicherungen selbst zahlen und tragen auch ein deutlich höheres Risiko.
Seit 2020 sind die Mindestlöhne jährlich leicht gestiegen. Von rund 15’000 auf 38’000 (angestellt) respektive 62’000 Franken für selbstständige Fahrerinnen.
Durchschnittlich verdienen Frauen in der World Tour zwischen 80’000 und 100’000 Franken im Jahr. Die Zahl der Fahrerinnen, die sechsstellige Löhne erhalten, hat sich seit 2023 verdoppelt.
Seit dieser Saison gibt es im Radsport der Frauen neu drei Kategorien: die World Tour, Pro Teams und Continental. Während bei den Pro Teams neu ein Mindestlohn von 20’000 Franken bezahlt werden muss, gibt es für Continental-Teams keine Vorgaben.
Obwohl diese, wie zum Beispiel das Schweizer Team Nexetis mit Jasmin Liechti, Ginia Caluori, Lea Huber und Noëlle Rüetschi, wie in der Tour de Suisse zum Teil die gleichen Rennen bestreiten, tun sie dies oft ohne Lohn. Gleiches Rennen, drei Realitäten also.
Eine anonym durchgeführte Umfrage der Gewerkschaft «The Cyclist Alliance» bei über 100 Fahrerinnen aus 45 Teams zeigt: Ausserhalb der World Tour erhält jede Vierte gar keinen Lohn, mehr als die Hälfte weniger als 10’000 und nur 15 Prozent mehr als 20’000 Franken. Ihre Situation ist zuweilen prekär.
Das Problem: Kleinere Teams haben maximal Budgets von 500’000 Franken. Mindestlöhne würden ihnen wohl den Todesstoss versetzen. Und so ist es wie vielerorts: Die Kluft zwischen sehr gut Verdienenden wie Demi Vollering oder Marlen Reusser und der oft aus dem Nachwuchs bestehenden Basis wächst.
Umso wichtiger ist das Schaufenster, das ihnen die Tour de Suisse bietet. Die viertägige Rundfahrt beginnt am Donnerstag erstmals vor jener der Männer und endet am Sonntag in Küssnacht am Rigi auf derselben Strecke, auf der jene der Männer startet. Zu bewältigen sind über 500 Kilometer und knapp 7000 Höhenmeter.
Das Gesamtpreisgeld bei den Frauen beträgt rund 34’000 Franken, bei den Männern, die doppelt so viele Etappen absolvieren, sind es 130’000 Franken.
Und falls nicht, führt sie ehrlich:
Frage1: Wieviel Umsatz generiert der Radsport bei Männer/Frauen im Vergleich
Frage2: Wieviel Prozent des Umsatzes entspricht die Lohnsumme des jeweiligen Geschlechts?
Dürfte spannend werden. Aber da traut sich ja eh keiner ran...
Mit dem Zusatz "im Radsport" wäre dieser Satz nur halb so unangebracht.