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Marc Hirschi fährt neu für Tudor – er spricht über den Wechsel und Ziele

Marc Hirschi gewinnt in Valencia
Marc Hirschi gewann in seinem ersten Rennen für Tudor bereits.Bild: x

Hirschi feiert für sein Schweizer Team schon den 1. Sieg: «Der Druck auf mir ist höher»

Im ersten Rennen für das Schweizer Tudor Pro Cycling Team feierte Marc Hirschi seinen ersten Sieg. Im Interview spricht er über seinen Wechsel und die mögliche Rückkehr an die Tour de France.
28.01.2025, 16:53
raphael Gutzwiller / ch media
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Ein Lachen im Gesicht, zwei Fäuste in der Luft: In seinem ersten Rennen der Saison gewinnt Marc Hirschi sogleich. Im Valencia-Klassiker sprintet der Berner Veloprofi zum Sieg – in seinem ersten Rennen für seinen neuen Arbeitgeber. Für Hirschi ist es der perfekte Beginn einer neuen Zeit, nachdem er im Winter von UAE Emirates zum Schweizer Tudor Pro Cycling Team wechselte. Im Interview spricht Marc Hirschi über den Transfer, die Verhandlungen mit seinem Mentor Fabian Cancellara und seine Ambitionen für die Tour de France.

Seit Anfang Jahr fahren Sie für ein Schweizer Team. Fühlt es sich für Sie an wie ein Nachhausekommen?
Marc Hirschi: Irgendwie schon, ja. Vor allem, weil ich die beiden Teamchefs Raphael Meyer und Fabian Cancellara schon lange kenne, sie haben mich jahrelang gemanagt. Dazu kommen auch viele andere, mit denen ich schon zusammengearbeitet habe. Im Schweizer Radsport trifft man oft wieder auf die gleichen Leute. Und dann kommt noch dazu, dass extrem viele Menschen, die jetzt bei Tudor sind, früher für Sunweb arbeiteten, wo ich bis Ende 2020 fuhr. Das gilt auch für Fahrer, die ich von damals noch kenne. Für mich war es sehr einfach, mich in dieser Gruppe einzufinden.

Bei UAE Emirates standen Sie vier Jahre lang im Schatten von Überflieger Tadej Pogacar. Nun sind Sie beim Tudor Pro Cycling Team mit dem zweifachen Weltmeister Julian Alaphilippe Leader. Wie gross ist Ihre Genugtuung?
Es ist sicher schön. Vor allem jetzt, weil ich ein so gutes Jahr 2024 hatte. Meine Siege, unter anderem bei den Klassikern in der Bretagne und in San Sebastian, haben mir gezeigt, dass ich bei den grossen Rennen vorne mit dabei sein kann. Deshalb hätte ich jetzt die Erwartung gehabt, dass ich auch bei solchen Rennen Leader sein darf. Das wäre bei UAE aber schwierig geworden. Die Entscheidung zum Wechsel kommt darum genau zum richtigen Zeitpunkt. Hier kann ich in fast jedem Rennen Leader sein. Das ist natürlich top für mich, aber es muss dann auch gut laufen.

Als Leader steigt natürlich aber auch der Druck auf Sie.
Der Druck auf mir lastet jetzt sicher höher als bei UAE. Für das Team bin ich jetzt wichtiger. Tudor ist zwingend auf viele UCI-Punkte von mir angewiesen, um es in die Top 20 zu schaffen. Bei UAE hatten wir etwa 20 Fahrer, die Rennen gewinnen können. Dann glich es sich einfacher aus, wenn ich mal weniger performt habe. Aber ich bin sehr happy und freue mich darauf fast immer Leader zu sein.

«Wenn es auf die letzten Prozente ankommt, fährt man anders, wenn man dem Leader den Erfolg gönnt, als wenn man ihn unsympathisch findet.»

Inwiefern verändert sich die Motivation für Sie als Velofahrer, wenn Sie Teamleader sind?
Es ist natürlich eine andere Motivation, wenn man weiss, dass man Leader ist. Vorher wusste ich, dass es eine kleine Möglichkeit gibt, selber angreifen zu dürfen. Vielleicht ist Tadej mal krank oder es passiert sonst etwas Unvorhergesehenes. Ich wusste, dass ich dann bereit sein muss. Aber es ist etwas anderes, zu wissen, dass ich vielen Rennen Leader sein werde.

Marc Hirschi ist der neue Hoffnungsträger des Schweizers Tudor Pro Cycling Team.
Marc Hirschi ist der neue Hoffnungsträger des Schweizers Tudor Pro Cycling Team.Bild: Tudor Pro Cycling Team

Das bedeutet aber auch: Ihre Teamkollegen müssen jetzt für Sie fahren. Inwiefern verändert sich dadurch Ihr Verhältnis zu den anderen Athleten?
Für mich ist es ohnehin schon immer sehr wichtig gewesen, ein gutes Verhältnis mit den Teamkollegen zu haben. Jetzt als Leader ist das aber sicher nochmals wichtiger. Ich bin darauf angewiesen, dass sie mir helfen und 100 Prozent ihren Job erledigen. Da kann sicher auch das Zwischenmenschliche einen grossen Einfluss haben. Wenn es auf die letzten Prozente ankommt, fährt man anders, wenn man dem Leader den Erfolg gönnt, als wenn man ihn unsympathisch findet.

Als beliebt bei seinen Teamkollegen gilt auch Tadej Pogacar. Stehen Sie noch in Kontakt mit ihm?
Ja, wir schreiben uns ab und zu. Wir verstehen uns immer noch sehr gut. Aber im Radsport ist es schwierig, sich physisch zu treffen mit den vielen Trainingslagern. Vielleicht sehen wir uns dann bei den Rennen wieder.

Jetzt ist er plötzlich einer Ihrer Konkurrenten. Hilft es, dass Sie wissen, wie die Taktik seines Teams ist?
Sicherlich hilft es, das Team zu kennen. Ich denke aber, wenn Tadej dabei ist, ist es für alle offensichtlich, wie die Taktik aussieht. Er wird einfach so hart wie möglich fahren. Jeder weiss, dass er im härtesten Moment angreifen wird. Das ist kein Geheimnis. Aber vielleicht kann es bei kleineren Rennen etwas bringen, wenn man die Sportdirektoren kennt und weiss, wie UAE das Rennen angeht.

LIEGE, BELGIUM - APRIL 25 : HIRSCHI Marc SUI of UAE TEAM EMIRATES, POGACAR Tadej SLO of UAE TEAM EMIRATES pictured during the UCI World Tour 107th Liege Bastogne Liege cycling race with start and fini ...
Bei UAE war Hirschi nur Pogacars Helfer.Bild: www.imago-images.de

Wie gross ist Ihre Rolle im Team auch als Schweizer Botschafter für ein Schweizer Team?
Ich spüre, dass das Tudor Pro Cycling Team ein Schweizer Team ist, der Fokus liegt dadurch etwas mehr auf mir. Ich habe mehr Medienarbeit zu erledigen, aber sonst ist es noch kein grosser Unterschied. Ich hoffe, dass wir es schaffen, die Menschen in der Schweiz zum Radfahren motivieren zu können. Natürlich weiss ich, dass das auch von unseren Leistungen abhängt, aber ich möchte in erster Linie Leistung bringen und mich hier weiterentwickeln.

«Ich habe mich für Tudor entschieden, weil sie mir alles bieten, was ich brauche.»

Die Verhandlungen mit Tudor zogen sich in die Länge. Lag es auch daran, dass Sie mit World-Tour-Teams verhandelt haben?
Es stimmt, dass ich Kontakt hatte mit anderen Teams, natürlich auch mit solchen von der World Tour. Aber dann habe ich mich für Tudor entschieden, weil sie mir alles bieten, was ich brauche. Ich habe meine Freiheit hier. Alle arbeiten super professionell. Zudem denke ich, dass die Struktur vergleichbar ist mit einem World-Tour-Team. Die Verhandlungen waren natürlich besonders, weil Fabian Cancellara und Raphael Meyer früher meine Manager waren. Aber im Endeffekt haben wir uns zusammengesetzt, ehrlich miteinander geredet und uns gefunden.

Zur Person
Der 26-jährige Marc Hirschi ist derzeit der erfolgreichste Schweizer Velofahrer. 2018 wird er U23-Weltmeister, zwei Jahre später sorgt er für das Team Sunweb für Furore. Er gewinnt eine Etappe an der Tour de France und sichert sich das Trikot des aktivsten Fahrers der Rundfahrt. Im selben Jahr holt er WM-Bronze und gewinnt die Flèche Wallonne. Danach wechselt er zu UAE Emirates, wo er im Schatten bleibt von Velostar Tadej Pogacar. Hirschi sorgt dennoch mit vielen Siegen für Aufsehen, unter anderem gewinnt er die Klassiker in San Sebastian und in der Bretagne. Hirschi stammt wie Fabian Cancellara aus dem bernischen Ittigen. Die Weltnummer 6 fährt neu für das Tudor Pro Cycling Team.

Vor fünf Jahren haben Sie eine Etappe an der Tour de France gewonnen. Ist das bis heute Ihr grösster Sieg?
Nein, wohl nicht mehr. Für mich war der Sieg in San Sebastian im letzten Jahr noch höher zu gewichten. Das ist ein Prestigerennen, das wirklich sehr hart war. Und wichtig für mich war auch: Ich habe es schliesslich mit meinen Beinen gewonnen. Natürlich war auch Taktik dabei, aber dort am Berg waren Julian Alaphilippe und ich einfach die beiden stärksten und sind weggezogen. Danach ist es im Sprint perfekt aufgegangen für mich.

Dennoch: Sie hatten eine traumhafte erste Tour de France, danach waren Sie nur noch als Helfer oder gar nicht mehr dabei. Wie schwierig war das für Sie?
In den ersten Jahren bei UAE hatte ich auch Probleme mit der Hüfte und so war es vielleicht auch ganz gut für mich, nicht den Druck zu haben, direkt wieder Leistung zu bringen. Danach war es auch meine Entscheidung, keine Grand Tour zu fahren, damit ich mehr Freiheit habe und wieder das Gefühl des Gewinnens bekomme. Ich wollte zunächst kleinere Rennen gewinnen. Als ich Erfolge hatte, durfte ich zum Schluss auch einige grössere Rennen mit Freiheiten bestreiten. Ich bereue es nicht, dorthin gegangen zu sein. Aber jetzt ist es der richtige Zeitpunkt weiterzuziehen.

Ob Sie in diesem Jahr an der Tour de France wieder dabei sein werden, ist noch unklar. Das Tudor-Team ist auf eine Wildcard angewiesen.
Insgesamt ist es ein grosser Vorteil für mich, dass Julian Alaphilippe bei uns ist. Durch ihn sind die Chancen gestiegen, dass wir eingeladen werden. Er hat einen riesigen Namen, viele Erfolge gefeiert. Als französischer Weltmeister bringt er in dieser Hinsicht enorm viel. Mit mir haben wir nun zwei Fahrer, die in kürzerer Vergangenheit grössere Erfolge vorweisen können. In San Sebastian belegten wir im letzten Jahr ersten beiden Plätze. Wenn wir uns jetzt für Rennen bewerben, stehen unsere Chancen natürlich gut.

«Bei allen grossen Rennen, bei denen ich vorne dabei war, war Julian Alaphilippe irgendwo auch mit dabei.»

Julian Alaphilippe könnte also das Eintrittsticket für die Tour de France werden. Welche Bedeutung hätte das für Sie?
Natürlich wäre ich liebend gerne dabei. Es ist ein Traum, dorthin zurückzukehren und vielleicht eine Etappe zu gewinnen. Bei einer Rundfahrt würde ich derzeit auf Etappensiege setzen und nicht auf die Gesamtwertung. Langfristig hängt viel davon ab, wie ich mich entwickle. Ich würde gerne versuchen, irgendwann in einer Rundfahrt vorne mitzumischen. Aber im Moment ist das nicht geplant.

Julian Alaphilippe war lange Ihr Konkurrent. Mit ihm haben Sie sich schon oft duelliert.
Das stimmt. Wir hatten immer viele Begegnungspunkte. Schon damals 2020, als es in der zweiten Etappe der Tour de France um das gelbe Trikot gegangen ist – und er dann die Etappe gewonnen hat. An der WM im selben Jahr holte er Gold und ich Bronze. Nun, bei San Sebastian wurde er hinter mir Zweiter. Und dann gibt es noch viele weitere Rennen, zum Beispiel Lüttich-Bastogne-Lüttich 2020, in denen wir uns duelliert haben. Eigentlich ist es so: Bei allen grossen Rennen, bei denen ich vorne dabei war, war Julian Alaphilippe irgendwo auch mit dabei. Das zeigt, wie ähnliche Fahrertypen wir sind.

Vom Konkurrenten zum Teamkollegen: Wie gut haben Sie es miteinander?
Wir hatten es immer gut, er hat eine riesige Energie und eine positive Art. Früher habe ich jeweils zu ihm aufgeschaut, besonders als er an der Tour de France 2019 so stark war. Ich habe ferngesehen, als er lange in Gelb gefahren ist. Ich habe immer besonders auf ihn geachtet, weil er ein sehr ähnlicher Fahrer ist wie ich. Es motiviert mich, dass ich mich in die gleiche Richtung entwickeln könnte. Ich denke, dass ich jetzt als Teamkollege auch viel von ihm lernen kann.

Wussten Sie bei Ihrer Vertragsunterschrift schon, dass Julian Alaphilippe ebenfalls beim Tudor Pro Cycling Team unterschreibt?
Nein, das kam erst später. In den Gesprächen war Julian noch kein Thema. Für mich ist es aber sehr cool, dass er dabei ist. Das Team muss wachsen, wenn wir unter die zwei besten Pro-Tour-Teams kommen möchten, um in der nächsten Saison bei allen grossen Rennen dabei zu sein. Julian und ich können viel voneinander profitieren. Wir können einander helfen, ins Finale zu kommen und können dann jeweils zwei Karten spielen. Das macht uns unberechenbarer. (aargauerzeitung.ch)

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