Stell dir sich vor, Cristiano Ronaldo würde eine Medienkonferenz in Cham veranstalten. Der Saal würde vor Medienschaffenden platzen, die schiere Fanmasse vor dem Gebäude wäre kaum zu bändigen.
Der Radsport ist da noch eine andere Welt. Das zeigt sich nirgends so gut wie an diesem Donnerstagabend. Der slowenische Radverband hat zur Medienkonferenz geladen. Mit dabei ist Tadej Pogacar, der grösste Star des Radsports. Das Auditorium im OYM in Cham ist optimistisch gewählt, rund fünfzig Medienschaffende haben sich eingefunden. Die Hälfte der Sitze bleibt leer.
Als dann der 26-Jährige gemeinsam mit seinem Teamkollegen Primoz Roglic und dem sportlichen Leiter Uros Murn den Saal betritt, wirkt er unscheinbar. Pogacar trägt ein Trainerjäckchen, seine Haare sind nicht frisiert.
Die ersten fünfzehn Minuten der Medienkonferenz finden auf Slowenisch statt, dann wechseln die Protagonisten auf Englisch. Pogacar findet lobende Worte für seine Konkurrenten Remco Evenepoel, Mathieu van der Poel und natürlich auch für das Schweizer Ass Marc Hirschi. Und er sagt:
Tadej Pogacar ist der Superstar des Radsports. Er ist der grosse Favorit auf den Sieg im WM-Strassenrennen am Sonntag. Siegt er in den 273 Kilometern von Winterthur nach Zürich, dann schafft er etwas, was vor ihm nur zwei Menschen geschafft haben: die Tour de France, den Giro d'Italia und die Weltmeisterschaft im gleichen Jahr zu gewinnen.
«Triple Crown» nennt sich der inoffizielle Titel. Bisher haben sich diese Krone nur zwei Männer aufgesetzt. 1974 die belgische Legende Eddy Merckx und im Jahr 1987 der Ire Stephen Roche.
Doch Pogacar bedeutet es wenig, in dieser Auflistung genannt zu werden. «Ich weiss nicht, wofür die Triple Crown stehen soll», sagt er. Wichtiger ist ihm, endlich das Trikot des Weltmeisters tragen zu können, das Regenbogentrikot. «Es ist etwas sehr Spezielles. Es definiert dich als besten Radfahrer der Welt. Für mich ist es ein riesiges Ziel, dieses Regenbogentrikot tragen zu dürfen.»
Dafür will Pogacar in Zürich seine Konkurrenten hinter sich lassen. So wie er es oft tut. Sein slowenischer Landsmann Primoz Roglic sagt: «Tadej gewinnt einfach fast alle Rennen.»
Spätestens seit diesem Jahr ist Pogacar nicht nur der Fahrer, der die meisten Rennen gewinnt. Er ist mittlerweile der grösste Star seines Sports geworden. Kein anderer Velofahrer hat so viele Follower in den sozialen Medien wie er, auf Instagram sind es über zwei Millionen Menschen. Pogacar ist einer dieser Athleten, die weit über den Sport hinaus berühmt werden können. Er ist das, was Cristiano Ronaldo für den Fussball ist. Oder das, was Tiger Woods für den Golf ist. Oder das, was Roger Federer für das Tennis ist.
Doch Tadej Pogacar ist ein anderer Superstar als andere. Arrogantes Auftreten ist ihm fern, stattdessen wirkt er bescheiden. Im Feld bei seinen Konkurrenten gilt er als äusserst beliebt. Wird er von den Konkurrenten kritisiert, dann höchstens dafür, dass er sie in Rundfahrten auch bei vermeintlich unwichtigen Etappen nicht gewinnen lässt.
Er hat auch ein anderes Auftreten als andere Radstars vor ihm. Er hat nicht die dominante, fast herrische Art eines Lance Armstrong. Er hat auch nicht die Präsenz eines Peter Sagans. Wenn er so da sitzt auf dem Sessel im OYM, dem Kompetenzzentrum für Spitzenathletik und Forschung, dann könnte er auch einer der ambitionierten Nachwuchssportler sein, die dort trainieren. Pogacar ist der Typ von nebenan, der plötzlich zum Superstar geworden ist.
Doch auch, wenn er in Velokreisen ein Star geworden ist, zeigt sich in der Schweiz rund um die WM: Grossen Andrang gibt es nicht. Fans kommen keine vorbei. Und in Cham hausen die Athleten nicht luxuriös, dafür verfügen sie über beste Trainingsbedingungen. Pogacar ist nicht gekommen, um in der Schweiz gemütlich zu nächtigen, sondern um zu siegen.
Dabei kann er auf die Unterstützung von Primoz Roglic hoffen, dem Sieger der Vuelta. «Wir Slowenen haben eines der besten Teams der Welt, vielleicht das beste», sagt Pogacar, der auch auch noch gut für einen Spruch ist. Auf die Frage, wer gewinnen werde, wenn nur noch er und Roglic am Schluss überbleiben würden, sagt er: