Es sind Andeutungen, die Mathias Flückiger bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit 196 Tagen macht. Aber sie wiederholen sich während der zweistündigen Medienkonferenz am Donnerstag immer wieder. Und sie weisen darauf hin, wie es um den 34-Jährigen wirklich stand, nachdem ihm am 18. August 2022, am Tag vor dem geplanten EM-Start, im Teambus in München offenbart wurde, dass er wegen eines Dopingvergehens gesperrt wird.
Etwa seine erste Reaktion. Er habe nur noch verschwommene Erinnerungen, aber später sei ihm von seinen Schreien und von der Atemnot erzählt worden. Offensichtlich war der Berner nicht mehr in der Lage, zurück ins Teamhotel zu gehen.
Stattdessen wurde er von Nationaltrainer Bruno Diethelm zurück in die Schweiz transportiert. «Ich habe nie in meinem Leben einen zerrisseneren Menschen angetroffen als in diesen Stunden», sagt der inzwischen entlassene Ex-Coach. Flückiger sagt, er sei an diesem Tag eine Stufe vor dem Abgrund gestanden. «Alle positiven Emotionen in meiner Karriere waren in einem Augenblick wertlos.»
Oder als der Olympiazweite von Tokio davon spricht, wie er in einem Zimmer mit weissen Wänden aufgewacht und alles einfach nur noch leer gewesen sei. «Ich war an einem sicheren Ort für meine Gesundheit.» Auch wenn er es nicht konkret beim Namen nennt: Mathias Flückiger befand sich in dieser Zeit in einer Klinik stationär in psychiatrischer Behandlung.»
Dass dies aus gutem Grund geschah, verrät der Sportler indirekt, wenn er sagt: «In den ersten Tagen war ich gar nicht mehr funktionsfähig. Ich habe nicht gewusst, ob ich diese Last überhaupt tragen kann oder sogar will. Doch heute bin ich dankbar, hier zu sein.»
Wie schlimm es um seine psychische Gesundheit nach diesem Schockmoment wirklich stand, wird auch offenbar, wenn der Oberaargauer erzählt, dass seine Freundin Lisa ihre Stelle als Lehrerin kündigte, um an seiner Seite zu stehen. Sie und sein älterer Bruder Lukas seien in dieser Zeit rund um die Uhr für ihn da gewesen. «Dafür bin ich ihnen ewig dankbar.»
Die Spuren der anabolen Substanz Zeranol in seiner Dopingprobe anlässlich der Schweizer Meisterschaft im Juni 2022 bedeuteten für Mathias Flückiger den Beginn einer wahrlich epochalen Leidenszeit.
Dass man ihm nicht mehr geglaubt hat, sei für ihn das Schlimmste gewesen. Selbst wenn er auf seinem Handy, als er es vier Wochen nach dem verhängnisvollen 18. August erstmals wieder einschaltete, von Hunderten Nachrichten nur zwei wirklich negative gelesen habe, sei es ihm dennoch nicht möglich gewesen, nach draussen auf die Strasse zu gehen. «Es war die pure Angst, auf Leute zu treffen, die mich verurteilen.»
Der Blick in die Zukunft sei in dieser Zeit sehr schwierig gewesen. «Ich hatte das erste Mal in meinem Leben absolut keine Hoffnung mehr», sagt Flückiger. Nach zehn Tagen wagte er sich erstmals zusammen mit Lisa in den Wald. Der Wald sollte noch für viele Tage sein Zufluchts- und Sehnsuchtsort bleiben.
Erst als die Disziplinarkammer am 17. Dezember seine provisorische Sperre aufhob, schlug das persönliche Pendel erstmals wieder in Richtung Zuversicht aus. Zuvor konnte er sich nicht vorstellen, je wieder Rennen zu fahren. «Ich hatte grosse Mühe und auch Angst, das erste Mal wieder auf das Bike zu steigen. Es war und ist zwar eine riesige Leidenschaft, aber ich fürchtete mich davor, dass ich diese verloren hätte.» Aber letztlich war die Liebe zu seinem Sport grösser.
Vergangene Woche weilte Flückiger mit dem Team in Spanien im Trainingscamp Er entschloss sich spontan, an einem Rennen teilzunehmen. «Auf einmal war mir klar: Es ist Zeit für den ersten Wettkampf. Ich hatte ein wenig Angst vor diesem Moment, aber ich wurde sehr warm und herzlich empfangen.» Sein erstes Schweizer Rennen bestreitet er in gut zwei Wochen im aargauischen Gränichen.
Aktuell nimmt er Tag für Tag, denn noch ist nicht klar, ob es zu einem ordentlichen Verfahren gegen ihn kommt oder nicht. Der 34-Jährige sagt dazu: «Wichtigstes Ziel ist, diese Geschichte eines Tages abzuschliessen und hinter mit liegen zu lassen. Ich will aber nicht, dass sie vergessen geht. Es bleibt ein Teil von mir.» (aargauerzeitung.ch)